Hamburg. Der HSV profitiert dank seiner starken Abwehrarbeit von dem Trend. Der Weltverband will mit neuen Regeln das Tempo wieder erhöhen.
Was sich am vergangenen Sonnabend im Schulzentrum Maurepasstraße von Henstedt-Ulzburg zugetragen hat, hat Matthias Karbowski teilweise aus seiner Erinnerung getilgt. „Im Nachhinein kommt es mir so vor, als wäre das Spiel in der Halbzeit abgebrochen worden“, sagt der Trainer des SV Henstedt-Ulzburg. Ganze vier Tore gelangen seinen Handballern im Zweitligaspiel gegen die HSG Nordhorn-Lingen anschließend noch, in den letzten 20 Minuten kein einziges mehr. Am Ende stand ein Ergebnis auf der Anzeigetafel, das man im Handball eher zur Halbzeit erwarten würde: 14:19.
Ein extremer Fall von Torknappheit, gewiss – aber doch Sinnbild für einen Trend. Die Zeit der Torflut im Handball scheint vorbei zu sein, Spiele mit 60 Toren oder mehr sind zur Ausnahme geworden. „Das Dogma des unbedingten Tempospiels gilt so nicht mehr“, sagt HSV-Geschäftsführer Christian Fitzek. Der THW Kiel etwa wurde in der Saison 2005/06 mit 1237 Toren Meister, durchschnittlich 36,4 pro Spiel. Dem aktuellen Tabellenführer Rhein-Neckar Löwen reichten durchschnittlich 29,2 Tore, um all seine zehn Spiele zu gewinnen. Ein weiteres Indiz: Das direkte Duell der beiden Topmannschaften entschieden kürzlich die Mannheimer mit 24:20 für sich. Vor sieben Jahren endete dieses Spitzenspiel noch 40:42.
Kommentar: Handball braucht klare Regeln – aber nicht mehr Tempo
Es war die Zeit, in der für einen geordneten Angriff aus den taktischen Positionen heraus kaum Zeit blieb. Nahezu alle Bundesliga-Torrekorde datieren aus den Jahren 2005 bis 2009. Inzwischen werden Tore wieder häufiger herausgespielt – und das kostet Zeit. Die schnelle Mitte, der sofortige Wiederanwurf nach einem Gegentor, ist nicht mehr so häufig zu sehen wie noch vor einigen Jahren. „Die Mannschaften haben sich darauf eingestellt, sie laufen besser zurück“, sagt Bundestrainer Dagur Sigurdsson. Von einem allgemeinen Trend mag er jedoch nicht sprechen.
Grobe Fouls sollen grundsätzlich mit Siebenmeter geahndet werden
Unstrittig scheint jedoch zu sein, dass die Abwehrarbeit an Bedeutung zugenommen hat. Dem HSV kommt diese Entwicklung zugute. Obwohl die Mannschaft durch viele prominente Abgänge in den vergangenen zwei Jahren einiges an Durchschlagskraft im Angriff eingebüßt hat, steht sie sportlich mit 11:7 Punkten gut da – weil sie nur wenig Gegentore zulässt, 25,7 im Schnitt. „Die Deckungsarbeit gehört zum Handball“, sagt Trainer Michael Biegler, „sonst verkommt unser Sport zum reinen Umschaltspiel mit ständigen Duellen Schütze/Torwart.“
Dem Weltverband scheint diese Tendenz nicht zu gefallen. Laut einem Bericht des Magazins „Handball inside“ will die IHF das Spiel durch eine neue Zeitspielregel noch dynamischer machen. Vom 1. Juli 2017 an soll spätestens nach acht Pässen der angreifenden Mannschaft auf passives Spiel erkannt werden. Bislang lag die Entscheidung im Ermessen der Schiedsrichter.
Geplant ist auch die Einführung einer Blauen Karte für Regelverstöße in den letzten 30 Sekunden eines Spiels. Sie zöge eine Sperre nach sich. Zudem sollen grobe Fouls grundsätzlich mit einem Siebenmeter bestraft werden. Möglicherweise wird bereits bei der Frauen-WM im Dezember nach den neuen Regeln gespielt.