Berlin/Hamburg. Bob Hanning, Vizepräsident des Deutschen Handballbundes, über die neue Stärke der Nationalmannschaft, das Final Four in Hamburg und den HSV.

Hans Robert „Bob“ Hanning, 47, ist ein deutscher Handballtrainer und -funktionär, heißt es im Eintrag der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Das beschreibt die Aktivitäten des Managers des Bundesligaclubs Füchse Berlin und des Vizepräsidenten Leistungssport des Deutschen Handballbundes (DHB) höchst unzulänglich. Hanning lebt und denkt Handball den ganzen Tag, sein Handy ist stets eingeschaltet. Er rettete einst den HSV Handball vor der Insolvenz, als er im Jahre 2004 den Medizinunternehmer Andreas Rudolph für das Projekt begeisterte. Nach seinem Rauswurf als HSV-Trainer im Mai 2005, fünf Wochen vorher hatte Rudolph Hannings Vertrag um drei Jahre verlängert, übernahm er den Zweitligaclub Füchse Berlin, heute einer der führenden deutschen Handballvereine mit einer herausragenden Jugendarbeit. Zum Final Four, der deutschen Pokalendrunde, an diesem Sonnabend und Sonntag in der Hamburger O2 World reisen die Berliner als Titelverteidiger an.

Seit September 2013 versucht Hanning auch den deutschen Männer-Handball wieder siegfähig zu machen. Bei den Olympischen Sommerspielen 2020 in Tokio soll die Nationalmannschaft, das ist sein Plan, um die Goldmedaille werfen können. Nach anfänglicher Unterstützung rückte Präsident Bernhard Bauer, 64, Anfang dieses Jahres von ihm ab und trat am 22. März zurück. Angebliche Alleingänge Hannings sollen der Grund gewesen sein. Im April sprach das verbliebene DHB-Präsidium Hanning das Vertrauen aus.

Hamburger Abendblatt: Der Deutsche Handballbund sucht einen neuen Präsidenten. Wäre das nicht ein Job für Sie?

Bob Hanning: Ich stehe nicht zur Verfügung und wäre für diese Aufgabe auch ungeeignet.

Das müssen Sie erklären.

Hanning : Der Präsident muss fachlich sehr breit aufgestellt sein, in alle Bereiche des Handballs wirken und sich überall einschalten können. Das können viele viel besser als ich. Mein Aufgabengebiet bleibt der Leistungssport. Da gibt es genug zu tun, und wir sind uns alle einig, dass wir den beschrittenen Weg, der uns in die Weltspitze zurückführen soll, gemeinsam fortsetzen. Und wenn es auch einige anders sehen wollen, ich bin ein absoluter Teamplayer – der aber klare Vorstellungen von dem hat, was zu tun ist.

Wie fällt Ihre Bilanz seit Ihrem Amtsantritt beim DHB im September 2013 aus?

Hanning : Wir haben vieles bewegt, Entscheidungswege verschlankt, das gesamte Nachwuchskonzept professionalisiert, den Kreis um die Nationalmannschaft auf einen Arzt und vier Physiotherapeuten deutlich verkleinert, was geholfen hat, dass wir uns auf die sportlichen Anforderungen fokussieren können. Und endlich haben wir eine engere Verzahnung zwischen der Handball-Bundesliga (HBL) und der Nationalmannschaft hinbekommen. Vor einigen Jahren wäre es doch undenkbar gewesen, dass sich die Nationalmannschaft in der Endphase der Saison zehn Tage lang auf die beiden EM-Qualifikationsspiele gegen Spanien vorbereitet. Ohne diese längere Vorbereitungszeit, davon bin ich fest überzeugt, wären wir nicht in der Lage gewesen, den aktuellen WM-Vierten im Hinspiel zu besiegen. Nachdem wir zuletzt dreimal in den Ausscheidungsrunden für internationale Turniere gescheitert sind, werden wir uns diesmal souverän für die EM im Januar 2016 in Polen qualifizieren.

Der HSV Handball hat aufgrund der Nationalmannschaftspause drei Wochen lang kein Spiel bestreiten können. Die drei Monate zuvor musste das Team jeden dritten oder vierten Tag antreten. Gibt es da keine besseren Lösungen?

Hanning : Daran wird zu arbeiten sein. Aber: Die Männer-Nationalmannschaft ist der Schlüssel zum Erfolg unserer Sportart. Das zeigen allein die Einschaltquoten im Fernsehen. Unsere Bundesliga wiederum ist die stärkste Liga der Welt, in der unsere Nationalspieler das sportliche Rüstzeug, die Härte und Durchsetzungsfähigkeit erlangen, um mit den Besten der Welt mithalten zu können. Wir müssen die Nationalmannschaft stärken, ohne die Liga zu schwächen. Das geht nur mit Kompromissen. Die mögen mal für die eine, mal für die andere Seite schmerzhaft sein, aber ohne diese inzwischen bei allen vorhandene Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, kämen wir keinen Millimeter weiter.

Ist die Nationalmannschaft wirklich weiter gekommen? Bei der WM im Januar 2015 in Katar hat sie zwar das Viertelfinale erreicht, aber unter den letzten acht stand das Team bereits 2013 bei der Weltmeisterschaft in Spanien.

Hanning : 2013 war das Erreichen des Viertelfinales ein überraschender Ausreißer nach oben, 2015 ist dieser Erfolg das Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung und der konsequenten Verjüngung der Mannschaft. Vor zwei Jahren haben wir anschließend die Qualifikation für die Europameisterschaft 2014 in Dänemark verpasst, jetzt werden wir bei der EM 2016 dabei sein. Wir sind wieder an der Weltspitze dran, aber noch nicht wieder drin. In unserer Agenda 2020, Ziel ist der Olympiasieg in Tokio, liegen wir voll im Plan.

Was fehlt noch?

Hanning : Konstanz. Gegen Spanien sind wir im Rückraum mit Paul Drux, 20, Simon Ernst, 21, und Fabian Wiede, 21, angetreten, mit drei Spielern also, die vor einem Jahr in Österreich U-20-Europameister geworden sind. Dass die drei dann mal an einem Weltklassetorhüter wie Arpad Sterbik scheitern, gehört zur Entwicklung dieser Mannschaft. Sterbik, 35, hat in seiner langen Karriere schon ganz andere Spieler zur Verzweiflung gebracht.

Nach der deutlichen 20:26-Niederlage in Spanien am vergangenen Sonntag haben Sie in León gesagt, die Mannschaft hätte noch besser gespielt als beim überraschenden 28:27-Sieg vier Tage vorher in Mannheim.

Hanning : Das Rückspiel war vom Niveau her weit besser, weil vor allem die Spanier besser waren. Wir haben dennoch mithalten können, die Niederlage ist nur deshalb so hoch ausgefallen, weil wir, wie gesagt, zu viele gute Torchancen ausgelassen haben. Was mich beeindruckt hat, war die Einstellung dieses Teams. Die Mannschaft wollte das Spiel unbedingt gewinnen, dieser Wille war schon in den Tagen zuvor in jedem Moment zu spüren. Große Mannschaften zeichnet genau diese Mentalität, dieses Selbstbewusstsein aus.

Was erstaunt, ist, dass jetzt viele junge Spieler im Aufgebot stehen. In Deutschland begannen Nationalmannschaftskarrieren jahrelang erst mit 24, 25.

Hanning : Diesen späten Karriereeinstieg haben wir durchbrechen können. Das war eines unserer wichtigsten Ziele und ist ein großer Verdienst unseres neuen Bundestrainers Dagur Sigurdsson. Als Vereinstrainer der Füchse kennt Dagur die Bundesliga bestens. Er weiß durch seine Spielbeobachtungen und Videoanalysen um das Potenzial der deutschen Spieler. Auch einer wie Niclas Pieczkowski, 25, aus Lübbecke war bislang eine unbekannte Größe. Den hatte vorher niemand auf dem Zettel. Wir hatten immer ausreichend Talente, jetzt erhalten sie in vielen Bundesligaclubs, etwa in Erlangen, Lübbecke, Wetzlar und Gummersbach auch die Einsatzzeiten, die sie brauchen, um sich zu entwickeln. Die Füchse Berlin haben in den vergangenen Jahren 15 Spieler aus der Jugend hervorgebracht, die sich in der Ersten oder Zweiten Liga durchsetzen konnten. Es wäre wünschenswert, wenn weitere Vereine all diesen Beispielen folgen.

Das könnte die Bundesliga schwächen. Im Final Four der Champions League steht mit dem THW Kiel – im Gegensatz zu den Vorjahren – diesmal nur noch eine deutsche Mannschaft.

Hanning : Das sind ganz natürliche Schwankungen. In der Endrunde des europäischen EHF-Pokals sind mit dem HSV und den Füchsen Berlin dagegen zwei deutsche Clubs vertreten. Die Bundesliga hat nichts an ihrer Stärke und Attraktivität eingebüßt, Handball bleibt nach Fußball in der öffentlichen Wahrnehmung die Ballsportart Nummer eins in Deutschland. Das zeigt jetzt auch das Final Four in Hamburg. Die Veranstaltung ist seit Langem ausverkauft, obwohl weder der HSV noch der THW Kiel dabei sind, und es fiel der Liga offenbar nicht schwer, mit Rewe einen neuen Titelsponsor zu gewinnen.

Wer gewinnt das Final Four?

Hanning : Für mich sind die Füchse der Favorit!

Das müssen Sie jetzt sagen?

Hanning: Wir haben im vergangenen Jahr gezeigt, dass wir es können. Und wir haben zuletzt so viele schlechte Spiele gezeigt, dass mal wieder zwei gute an der Reihe wären. Das Halbfinale gegen den SC Magdeburg, der eine überragende Bundesligasaison spielt, wird schwer, aber von den vergangenen zehn Spielen haben wir nur eins gegen die Magdeburger verloren.

HSV gewinnt den EHF-Pokal? Nicht auszuschließen!

Nur eine Woche später, am 16. und 17 Mai, folgt das Final Four des EHF-Pokals in Berlin. Das ist auch keine günstige Terminkonstellation.

Hanning : Vier schwere Spiele in neun Tagen sind bei unserem kleinen Kader mit vielen Verletzten sicherlich eine Herausforderung. Vor allem könnte es schwerfallen, sich in kurzer Zeit auf zwei derart wichtige Events zu fokussieren. Im Vorjahr, als wir nach dem Pokalsieg nur Dritter im EHF-Pokal wurden, ist uns das nicht gelungen.

Dann gewinnt der HSV den EHF-Pokal?

Hanning : Das ist nicht auszuschließen.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Vereins nach den Turbulenzen um die Lizenzvergabe im vergangenen Sommer?

Hanning : Der HSV wurde mächtig durchgeschüttelt, steht jetzt aber wieder fest auf den Füßen. Er hat die Lizenz für die neue Saison ohne Auflagen erhalten. Das zeigt, dass im Verein vernünftig gearbeitet wurde.

Wie beurteilen Sie nach dieser Zäsur die Perspektiven des HSV?

Hanning : Wenn es gelingt, Motivation durch Identifikation zu schaffen, man keine Luftschlösser baut, dann werden die Hamburger wieder Spaß an ihren Handballern haben. Die Bundesliga braucht den HSV, Handball gehört in die Großstädte.

Ausgerechnet Berlin und Hamburg, die beiden größten deutschen Städte, haben Schwierigkeiten, ausreichend Sponsoren für den Bundesliga-Handball zu finden.

Hanning : Die Situation ist in beiden Städten ähnlich: Wir Handballer stehen nicht nur in Konkurrenz zu Spitzenclubs aus anderen Sportarten, sondern auch in Konkurrenz zur Kultur und zahlreichen weiteren gesellschaftlichen Events. Die Füchse werden mit einem Etat von fünf Millionen Euro nicht in den Titelkampf der Handball-Bundesliga eingreifen können, wir sind jedoch in der Lage, eine wichtige Rolle in der Liga zu spielen und fähig, unser Publikum gut zu unterhalten. Ähnliche Ansprüche könnte der HSV haben.

Welche Unterstützung darf Hamburg vom Deutschen Handballbund für seine Olympiabewerbung erwarten?

Hanning : Jede denkbare. Wir wollen, dass Hamburg, nachdem es schon Berlin ausgeschaltet hat, sich auch international durchsetzt und die Spiele 2024 bekommt. Was wir dafür tun können, werden wir tun.

In Deutschland wird 2017 die Handball-WM der Frauen stattfinden, 2019 zusammen mit Dänemark die WM der Männer. Wird Hamburg ein zentraler Austragungsort dieser Titelkämpfe?

Hanning : Hierzu gibt es – wie mit anderen Bewerbern – intensive Gespräche. Aber den Standort Hamburg zu stärken muss auch die Aufgabe des Deutschen Handballbundes sein.