Hamburg. Die HSV-Handballer haben in dieser Saison oft enttäuscht – weil sie an den eigenen Ansprüchen gescheitert sind. Am Sonntag steht das vorerst wichtigste Spiel ins Haus.

Zumindest für einige Minuten waren die Sorgen der HSV-Handballer am Donnerstagnachmittag vergessen. Torjäger Hans Lindberg war unverhofft zum Training in der Volksbank-Arena erschienen, abgemagert nach zwei Wochen Krankenhausaufenthalt infolge seiner schweren Nierenverletzung, aber doch guter Dinge. „Das war eine tolle Szene für die Mannschaft, aber auch für Hans“, sagt Interimstrainer Jens Häusler. Und sie hat verdeutlicht, dass es weit wichtigere Dinge im Leben gibt als dieses Spiel am Sonntag (17 Uhr, Sporthalle Hamburg).

Es gibt allerdings keine wichtigeren Spiele mehr, nicht in dieser Saison, und wenn doch, dann hängt das von diesem einen ab. Mit mindestens drei Toren Unterschied muss der HSV das Viertelfinalrückspiel gegen den schwedischen Außenseiter Eskilstuna Guif gewinnen, dann wäre wenigstens ein Klassenziel erreicht: die Endrunde um den EHF-Pokal am 16./17. Mai in Berlin. Das sollte doch zu schaffen sein!

Aber warum sollte es? Gewiss, der Handball-Sport-Verein Hamburg war vor vier Jahren deutscher Meister, er hat vor zwei Jahren die Champions League gewonnen. Die vom großen Hamburger SV geliehene Raute gilt als Qualitätssiegel, zumindest in diesem Sport. Noch. Aber genau hierin scheint das Problem zu liegen.

Denn die Mannschaft des Jahrgangs 2014/15 hat nicht mehr viel zu tun mit jener, die die großen Titel gewonnen und in den vergangenen acht Jahren ohne Unterbrechung in der Champions League gespielt hat. Aber sie schleppt das Erbe mit sich herum. Es lässt sich nicht ausschlagen wie eine Nachlassverbindlichkeit. Kleine Gegner muss der HSV doch schlagen, besser noch weghauen! Das ist die Erwartung der Öffentlichkeit, vielleicht auch die der Spieler.

„Ein typischer Effekt“, sagt der Hamburger Sportwissenschaftler und Management-Coach Olaf Kortmann: „Man kommt von ganz oben und hängt mit den Gedanken in der Vergangenheit, obwohl man nicht mehr die Qualität hat. Daraus kann sich eine Verkrampfung ergeben.“

Sie war am Mittwoch in Nürnberg zu besichtigen, wo der Tabellenvorletzte Erlangen den HSV mit 34:31 niederrang. Gegen vier der schwächsten fünf Mannschaften der Bundesliga haben die Hamburger somit schon verloren. Die Punkte dürften in der Schlussabrechnung fehlen, um einen der fünf Europapokalplätze zu ergattern.

Der frühere Volleyball-Bundestrainer Kortmann spricht in diesem Zusammenhang von einer Misserfolgsvermeidungsmotivation: Anstatt nach dem Sieg zu trachten, regiert die Sorge, den Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Völlig unangemessen sind die nicht: Gegen das Spitzenduo Kiel und Rhein-Neckar Löwen lieferte die Mannschaft ihre besten Saisonleistungen ab und verlor äußerst unglücklich. Gegen die Europacup-Anwärter Magdeburg und Melsungen gewann sie sogar souverän. Was niemand erwartet hat. Oder besser: weil es niemand erwartet hat.

Am Sonntag ist der HSV wieder Favorit, wie schon im mit 26:29 verlorenen Hinspiel. Kortmanns Empfehlung: Der HSV müsse sich vom Ergebnisdenken lösen und stattdessen auf die Handlung konzentrieren, auf die Umsetzung taktischer Vorgaben.

Darauf hat auch Häusler für Freitag und Sonnabend den Trainingsschwerpunkt gesetzt. Am Donnerstag aber verzichtete er auf das übliche Regenerationsprogramm und ließ seine Profis stattdessen verschiedene Ballspiele üben: „Wir müssen versuchen, die Anspannung aus den Köpfen zu bekommen. Ich will, dass die Mannschaft Lust auf dieses Spiel hat.“