Der ehemalige HSV-Profi soll die deutsche Handball-Nationalmannschaft im Rückspiel gegen Polen zur WM werfen.
Magdeburg. Wenn Michael Kraus dieser Tage über seinen Beruf spricht, klingt eine unbändige Entschlossenheit aus seinen Worten. Der Regisseur des Handball-Bundesligaclubs Frisch Auf Göppingen, der vor einem Jahr vom damaligen Champions-League-Sieger HSV Hamburg zu seinem Heimatverein zurückgekehrt war, ist voll und ganz auf das entscheidende WM-Qualifikationsspiel der deutschen Mannschaft am Sonnabend (15.15 Uhr, ZDF live) gegen Polen fokussiert. Und nichts und niemand, so scheint es, kann ihn vom Glauben abbringen, dass es die deutsche Auswahl in Magdeburg schafft und sich das Ticket für die Weltmeisterschaft im Januar 2015 in Katar sichert. Immerhin muss eine 24:25-Niederlage aus dem Hinspiel gedreht werden. „Für mich, aber auch für die anderen Jungs, zählt momentan nichts anderes“, sagt Kraus mit fester Stimme.
Weltmeister war Kraus bereits. 2007 bei der WM in Deutschland, dem „Wintermärchen“, war er die Entdeckung. Nahtlos fügte er sich ein in das Team der erfahrenen Henning Fritz, Christian Schwarzer und Markus Baur. Ein neuer Star schien geboren. Doch Kraus wurde dieser Rolle nicht gerecht. Leistungsschwankungen, ein unsolider Lebenswandel und immer wieder Verletzungen warfen ihn zurück. Er, der die anderen mitziehen sollte, brauchte plötzlich selbst Hilfe. Und bekam sie nicht. Weder von seinem Club HSV Hamburg noch in der Nationalmannschaft. „Ich brauche Vertrauen, und dies bekam ich nicht“, sagt der mittlerweile 30-Jährige im Rückblick. Vor drei Jahren schien seine Karriere im Nationaldress beendet. „So etwas ist keine leichte Zeit für einen Leistungssportler. Ich wusste, ich muss nur Kleinigkeiten ändern. Aber das war sehr schwer.“
Der Wechsel zurück nach Göppingen war ein Türöffner. „Ich bin gereifter, trage jetzt mehr Verantwortung“, sagt er. Als Bundestrainer Martin Heuberger, 50, anfragte, ob sich „Mimi“ eine Rückkehr vorstellen könne, war die Antwort eindeutig. „Ich musste nicht eine Sekunde überlegen.“ Kraus fand ein funktionierendes Team vor, das ihn mit offenen Armen aufnahm. „Es sind doch alles hervorragende Handballer, da gibt es keine Probleme.“
Die Rolle, die Kraus in Heubergers taktischem Konzept spielt, überrascht. Nicht nur zentral als Spielmacher, sondern auch im linken Rückraum wird der Rechtshänder eingesetzt, der Königsposition im Handball. Und das funktionierte in Polen sehr gut. Kraus warf fünf Tore, war der beste Schütze der Mannschaft. „So habe ich mir das vorgestellt. ‚Mimi‘ macht das, was ich möchte. Ich bin froh, ihn zurückgeholt zu haben“, lobt ihn der Bundestrainer, der sich zudem auf die Erfahrung von Kraus verlassen kann. Wann immer es nötig war, wurde dieser zum Wortführer, gab taktische Anweisungen. „Das ist keine Besserwisserei. Wenn Martin nicht mehr geredet hat und mir noch was aufgefallen war, habe ich es angesprochen.“
Vor dem Polen-Spiel ist für Kraus alles andere nebensächlich. „Ich habe gelernt, mich in mich zurückzuziehen, um mich zu konzentrieren. Ich habe zwar keine Rituale vor so einem Spiel, aber die Zeit zum Fokussieren nehme ich mir.“ Und so wird er sich Stunden vor dem Spiel in sein Bett legen und all das gedanklich durchgehen, was auf ihn und die Mannschaft zukommen kann. Denn eines ist für ihn klar: „Ich bin nicht nur für die beiden Polen-Spiele zurückgekommen. Ich will wieder zur Nationalmannschaft gehören und mit zur WM nach Katar.“
„Die Chancen dafür stehen bei 50:50“, sagt Uwe Gensheimer, 27. Der Linksaußen der Rhein-Neckar Löwen führte das deutsche Team in Danzig erstmals als Kapitän aufs Feld. „Vor uns liegt ein hartes Stück Arbeit, doch wir hoffen, dass wir es packen“, meinte Gensheimer. „Wir sind bereit und werden alles geben“, versprach auch der Berliner Torwart Silvio Heinevetter, 29, der seine muskulären Probleme rechtzeitig auskuriert hat. Heinevetter wird wie in Danzig von Beginn an im Tor stehen, der Hamburger Johannes Bitter, 31, zunächst auf der Bank Platz nehmen. Die ungeklärte Situation seines Arbeitgebers HSV scheint ihn doch mehr zu belasten, als er zugeben mag.
Heuberger bleibt derweil seinem Stil auch in Tagen höchster Anspannung treu. Zu seiner drohenden Ablösung im Falle eines Scheiterns äußert er sich nicht. „Das kann ich eh nicht beeinflussen“, sagt er. Stattdessen beschränkt sich der gelernte Diplom-Verwaltungswirt aus Schutterwald auf die sportlichen Fakten: „Wir müssen konzentriert und aggressiv ins Spiel gehen und wieder eine gute Abwehr stellen wie im Hinspiel.“ Sollte sein Team nach Olympia 2012 und der EM 2014 aber erneut ein Turnier verpassen, würde sein im Sommer auslaufender Vertrag wohl nicht mehr verlängert werden.
HSV-Trainer Martin Schwalb, 51, wird weiter als Heubergers möglicher Nachfolger gehandelt. Schwalb findet solche Diskussionen „respektlos“. Ohnehin gehe er davon aus, dass die deutsche Mannschaft gegen Polen mit mindestens zwei Toren Vorsprung gewinnt, was nötig ist, um nach Katar zu kommen. „Außerdem hängt mein Herz am HSV und der Stadt Hamburg. Ich hoffe, dass es beim HSV weitergeht.“