Hamburg. Nach neun Jahren ist Jonas Wohlfarth-Bottermann wieder beim deutschen Team. Mit dem trifft er auf einen Bald-Ex-Hamburger.
Die Terminplanung von Jonas Wohlfarth-Bottermann erforderte in dieser Woche etwas Kreativität. Damit, dass er an diesem Donnerstag (18 Uhr/MagentaSport) noch zum finalen Kreis der Nationalspieler zählt, die Deutschlands Basketballer in der estnischen Hauptstadt Tallinn einen Schritt näher in Richtung Weltmeisterschaft 2023 werfen sollen, hatte er nicht gerechnet – und stattdessen am Freitag eine Wohnungsbesichtigung in der HafenCity angesetzt.
Doch das mögliche künftige Domizil des neuen Centers der Hamburg Towers muss nun, da auch sein guter Freund und Towers-Center-Vorvorgänger Jannik Freese keine Zeit hat, ein Mitarbeiter der Geschäftsstelle inspizieren. Denn Wohlfarth-Bottermann trägt den Adler. Etwas, womit der 32-Jährige ohnehin schon gar nicht mehr gerechnet hatte. Aus 2013 stammten seine einzigen Länderspiele, neun Jahre später kommt es zum unverhofften Comeback.
Hamburg Towers: Wohlfarth-Bottermann wird dank neuem Kalender zum Nationalspieler
Die Tür dazu führte durch ein Fenster. Das Nationalmannschaftsfenster, genauer gesagt. Vor fünf Jahren stellte der Weltverband Fiba den Kalender um, sodass Länderspiele auch während der Saison und nicht wie zuvor nur im Sommer ausgetragen werden. Seitdem ist der internationale Basketball eine Zweiklassengesellschaft, da die US-amerikanische NBA und privatwirtschaftlich organisierte EuroLeague die Fenster nicht berücksichtigen und ihre Topathleten dementsprechend nicht abstellen.
Davon profitieren Akteure wie Wohlfarth-Bottermann, die bei den großen Turnieren zumeist Platz für die dann verfügbaren Stars machen müssen. Er nimmt’s sportlich. „Immerhin bin ich Nationalspieler, es ist eine gute Erfahrung für mich. Außerdem ist unser Job ein enorm wichtiger, denn wir sind diejenigen, die die anderen zu den Turnieren hinbringen.“ Während der Heim-EM (1. bis 18. September) mit Vorrunde in Köln und Endrunde in Berlin kann der 2,08-Meter-Mann dann wirklich ruhigen Gewissens andere Termine planen. Hofft er zumindest. „Es wäre doch toll, wenn Deutschland mit der bestmöglichen Mannschaft am Start ist, um weit zu kommen.“
An der Seite von Ex-Tower Hollatz gegen Bald-Ex-Tower Kotsar
Es sind keine Plattitüden, die „WoBo“ – der Name steht aus Platzgründen auch auf seinem Trikot – von sich gibt. Da spricht der reife Bundesligaveteran mit 13 Jahren Erfahrung im Profigeschäft. Ein Grund, weswegen Bundestrainer Gordon Herbert (63) auf den gebürtigen Bonner setzt. „Zu Gordie habe ich seit unserer gemeinsamen Zeit in Frankfurt 2017 bis 2019 ein gutes Verhältnis, wir schätzen uns“, so Wohlfarth-Bottermann, für den schnell klar war, dass er trotz einer langen Saison bei den Riesen Ludwigsburg mit Doppelbelastung in Bundesliga und Champions League dem Nationalteam Vorrang vor Regeneration und Individualtraining gibt. „Aus meiner Sicht gibt es im Sommer nichts Besseres als die Nationalmannschaft, um wettbewerbsfähig und in Form zu bleiben.“ Zeit für Urlaub besteht, nachdem auch das zweite Qualifikationsspiel für die Titelkämpfe auf den Philippinen, Japan sowie in Indonesien, am Sonntag in Bremen gegen Polen, absolviert ist.
Doch zunächst gilt der Fokus dem nächsten Gegner und damit dem Mann, in dessen Fußstapfen als Center Wohlfarth-Bottermann treten muss: Maik Kotsar (25). Der überragende Towers-Spieler der vergangenen beiden Saisons, der sich mit hoher Wahrscheinlichkeit einem europäischen Spitzenclub anschließen wird, ist auch in Estlands Kader der Star. „Das wird kein Selbstläufer“, so „WoBo“, ohne den das Hinspiel überraschend mit 66:69 verloren ging. Seitdem gewannen die Deutschen, für die auch der Ex-Hamburger Justus Hollatz (21) und NBA-Ass Dennis Schröder (28/Houston) dabei sind, jede Partie.
Der Job von Wohlfarth-Bottermann wird in Tallinn der gleiche sein, der ihn auch bei den Towers erwartet: solide verteidigen, Blöcke für die Mitspieler stellen, am Korb punkten, Rebounds pflücken. Man weiß seit Jahren, was man verlässlich von ihm bekommt. Auf weitere Aktionen, die außerhalb seines Kernkompetenzbereichs liegen, verzichtet der zweifache Pokalsieger – auf dem Parkett wohlgemerkt. Abseits davon ist er durch seine Intelligenz, Routine und Ruhe ein immenser Faktor für die Teamchemie.
Jonas Wohlfarth-Bottermann: Wechsel nach Hamburg war bewusste Entscheidung
Während die Entscheidung, fürs Nationalteam aufzulaufen, kurzfristig getroffen werden musste, war der Wechsel nach Hamburg eine sehr bewusste. Die Situation in Ludwigsburg, wo er zuvor drei Jahre gelebt hatte, sei auch eine gute gewesen. „Aber ich habe das Projekt der Towers immer schon mit einem Auge verfolgt und finde auch die Stadt sehr reizvoll. Zudem haben das Timing und die sportliche Ausgangsposition mit der Teilnahme am EuroCup gepasst. Letztlich hat die persönliche Komponente sogar leicht überwogen“, sagt Wohlfarth-Bottermann. Er freue sich auf ausgiebige Spaziergänge, darauf, „die Kultur aufzusaugen“. Weit zurück liegen die Zeiten von Netflix und Videospielen als Freizeitbeschäftigung.
Ganz vom Video kommt er aber nicht los. „Wir haben gleich Videobesprechung“, verabschiedet sich der Nationalmannschaftsrückkehrer am Mittwochnachmittag. Und am Freitag dürfte er das nächste Video empfangen: von seiner potenziellen Wohnung in der HafenCity.
Die Verpflichtung von Christoph Philipps (23/zuletzt Ulm), von der das Abendblatt vor zwei Wochen berichtet hatte, ist von den Hamburg Towers bestätigt worden.