Hamburg. Der ehemalige NFL-Profi spricht über sein Karriereende, seine beruflichen Pläne und sein am Dienstag erscheinendes Buch.
Vor sechs Wochen begann für Kasim Edebali ein neuer Lebensabschnitt. Am 26. September, einen Tag, nachdem er mit den Hamburg Sea Devils das Finale der European League of Football (ELF) mit 15:27 gegen die Vienna Vikings verloren hatte, verkündete der gebürtige Hamburger das Ende seiner American-Football-Karriere. Edebali, der von den meisten Footballfans einfach nur „Vollmaschine“ genannt wird, wuchs im Osdorfer Born auf, ehe er mit 18 Jahren in die USA ging, um über die Kimball Union Academy und das renommierte Boston College den Weg in die US-Eliteliga NFL zu finden, wo er von 2014 bis 2019 bei acht verschiedenen Teams unter Vertrag stand.
„Dream Chaser: Aus Hamburg in die NFL“, heißt das Buch, das Edebali gemeinsam mit Abendblatt-Chefreporter Björn Jensen geschrieben hat und das von diesem Dienstag an im Handel erhältlich ist. Für das Abendblatt nahm sich der
33-Jährige Zeit, um über die Karriere nach der Karriere zu sprechen.
Hamburger Abendblatt: Herr Edebali, wie fühlt sich der Football-Ruhestand an?
Kasim Edebali: Gut, vor allem für meinen Körper. Der freut sich am meisten (lacht). Abgesehen davon habe ich aber auch das Glück, dass sich für mich neue Türen öffnen. Ich freue mich, jetzt den nächsten Schritt in meinem Leben zu gehen. Ich bin fertig mit meinem Football-Kapitel als Spieler. Football war immer mein Kindheitstraum, jetzt beginnt ein neuer Abschnitt. Ich bin jetzt Mitte 30, habe eine Familie und freue mich einfach auf die Zukunft.
Was werden Sie am Football am meisten vermissen?
Ganz klar meine Jungs, die Atmosphäre innerhalb eines Teams. Und da ist es egal, ob man in der NFL zusammen im Privatjet zum Auswärtsspiel fliegt oder wir mit den Sea Devils zwölf Stunden im Bus nach Polen sitzen. Solche Momente sind immer etwas Besonderes.
Können Sie einen Rücktritt vom Rücktritt ausschließen? Oder nehmen Sie sich ein Beispiel an US-Superstar Tom Brady?
Edebali-Comeback bei den Sea Devils? „Mein Leben ist sehr spontan“
Sag niemals nie. Mein Leben ist immer sehr spontan (lacht). Nein, im Ernst: Ich gehe fest davon aus, dass ich nicht mehr Football spielen werde. Vielleicht rufen mich die Sea Devils aber nächstes Jahr noch mal an, wenn sie wieder in den Play-offs sind, und fragen, ob ich noch Lust auf zwei Spiele habe. Dann muss ich vielleicht noch mal überlegen, ein Titel fehlt mir schließlich noch.
Im nächsten Sommer wollen Sie mit Ihrer Familie von Arizona (USA) nach Hamburg ziehen. Wie ist der genaue Zeitplan?
Tatsächlich komme ich gerade von einer Hausbesichtigung in Hamburg. Der Plan ist, dass meine Töchter in den USA das Schuljahr beenden, das ist bei uns schon Anfang Mai. Zu Beginn des neuen Schuljahrs im August wollen wir dann in Deutschland sein, damit auch ich mich auf meinen nächsten Schritt vorbereiten kann. Yara kommt in Hamburg in die Vorschule, Sarai in die dritte Klasse. Das Schulsystem in den USA ist mit Deutschland eigentlich nicht zu vergleichen. Ich muss aber sagen, dass ich es in Deutschland besser finde.
Warum war es Ihnen wichtig, Ihre Lebensgeschichte in einem Buch zu verewigen?
Es ging damit los, dass ich mich mit meinem Bademantel vor die Kamera gesetzt und Geschichten aus der NFL erzählt habe. Das Ganze hieß dann „Kasims Märchenstunde“. Ich habe daraufhin so viele Nachrichten von Fans bekommen, die mir geschrieben haben, dass ich ein Buch schreiben müsse. Also habe ich mich mit Björn Jensen hingesetzt und wir haben angefangen, „Dream Chaser“ zu schreiben.
Wenn man beide von uns nach dieser Zusammenarbeit fragt, wären wir wahrscheinlich wie ein altes Ehepaar, das komplett unterschiedlich darauf antworten würde. Eine Sache, die Björn im Gegensatz zu mir in sich trägt, ist Struktur. Ich habe ständig 1000 Sachen im Kopf, die ich auf einmal erzählen könnte, er musste den roten Faden finden. Das war bestimmt nicht immer einfach für ihn (lacht).
Ihr Freund Björn Werner, der wie Sie über die Highschool und das College in die NFL kam, sagt im Buch: „Wenn aus ihm kein Celebrity-Athletiktrainer wird, dann weiß ich es auch nicht.“ Hat er recht?
Wird der ehemalige Sea-Devils-Star Edebali Schauspieler?
Das weiß ich noch nicht genau. Ich weiß nur, dass ich immer der Nase nach gehe. Die Sea Devils haben mich jedenfalls noch nicht gefragt, ob ich als Coach für sie arbeiten will. Ich könnte mir auch vorstellen, irgendwann ein kleines Gym in Hamburg zu eröffnen, um Sportler zu unterstützen. Auch als Schauspieler zu arbeiten und Filmprojekte zu machen, wäre eine Idee. Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass ich in Deutschland mehr gebraucht werde als in den USA.
Ich kenne viele ehemalige Mitspieler und Trainer, die mir ermöglichen würden, irgendwo am College oder in der NFL zu coachen. Das ist zwar alles schön und gut, ich habe aber das Gefühl, dass meine Arbeit hier in Deutschland stärker wertgeschätzt wird.
In dem Buch geht es nicht nur um gute Laune, Sie beschreiben auch sehr emotionale Momente, wie den Verlust eines Kindes in der neunten Schwangerschaftswoche Ihrer Frau Steffanie oder den Tod Ihres Opas, der Ihnen sehr nahestand. Wie schwer fiel es, die Fassade des immer gut gelaunten Football-Profis fallen zu lassen?
Es gibt viele Menschen, die immer positiv wirken, bei denen scheinbar immer ein Licht brennt. Mir war aber wichtig, auch die Tiefen meines Lebens zu beschreiben. Jeder Mensch hat diese Tiefen, auch ich. Ich würde mich freuen, wenn sich Menschen, denen es gerade auch nicht gut geht, durch diese Geschichten mit mir identifizieren können und so wieder neue Hoffnung schöpfen.
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Sie beschreiben auch, wie Sie einen Fan, der an einer Tankstelle nach Geld gebettelt hat, in Ihrem Auto mitgenommen haben und für ihn Geld abgehoben haben. Manche nennen das naiv, manche gutherzig. Haben Sie Sorge, dass Ihnen Ihre offene Art mal auf die Füße fällt?
Es gibt viele Situationen, bei denen ich im Nachhinein denke, dass das jetzt nicht meine schlaueste Aktion war (lacht). Ab und zu laufe ich einfach wie ein Glücksbärchen durch die Weltgeschichte. Wenn man aber sieht, was in Amerika gerade in Sachen Waffengewalt und Schießereien abgeht, denkt man hinterher zweimal über sein Handeln nach. Man will jeden Tag wieder gesund nach Hause kommen.
Wenn ich abends spazieren gehe, sagt mir meine Frau beispielsweise jedes Mal, dass ich meine Kapuze unten lassen soll, damit niemand die Polizei ruft und mir dann irgendwas passiert. Die große Sicherheit ist etwas, das ich sehr an Deutschland schätze.
An diesem Sonntag findet das erste NFL-Spiel in Deutschland statt. Wie viel hätten Sie dafür gegeben, selbst bei den Tampa Bay Buccaneers oder Seattle Seahawks in diesem Spiel auf dem Feld zu stehen?
Das wäre ein unfassbares Gefühl gewesen, in meiner Heimat so etwas
machen zu dürfen. Ich stelle mir immer die ganzen Kinder vor, die zum ersten Mal ein Footballspiel sehen und von dieser Sportart begeistert werden. Die Fans werden der NFL in Deutschland so nah wie nie zuvor sein. Deshalb freue ich mich schon unfassbar darauf, im Stadion dabei zu sein – wenn auch nicht auf dem Platz, sondern für das Fernsehen.
Am Ende des Buches steht der Satz: „Ich weiß, dass ich nicht vom Football definiert werde.“ Wovon werden Sie definiert?
Ich habe häufig bei ehemaligen Mitspielern gesehen, dass sie ihre Identität verlieren, wenn sie den Football verlieren. Diese Jungs dachten, dass ihr einziger Beitrag zu dieser Welt aus ihnen als Footballprofis bestehen kann. Das finde ich wirklich traurig. Für mich ist das Wichtigste, wie ich anderen Menschen als Mensch helfen kann. Manchmal bekomme ich Nachrichten von Menschen, die mir sagen, dass ich sie mit meinen Videos auf Social Media dazu gebracht habe, nicht mehr Drogen zu nehmen, sondern ins Fitnessstudio zu gehen. So etwas bedeutet mir viel mehr als jeder Multimillionenvertrag in der NFL.