Hamburg. Das Rennen in Horn ist der Saisonhöhepunkt für die Buchmacher. Über Monate haben sie die Formkurve der 20 Pferde verfolgt.
Wenn sich am Sonntag gegen 15 Uhr die 20 Derbystarter auf der Horner Rennbahn mit ihren Pferdepflegern in Richtung des Führrings aufmachen, dann ist nach Einschätzung der meisten Trainer und Besitzer völlig offen, wer dieses wichtigste deutsche Galopprennen des Jahres gewinnt, das gegen 15.45 Uhr gestartet wird und mit 650.000 Euro (plus 195.000 Euro Züchterprämien) dotiert ist. Nur eines steht fest: Die meisten der drei Jahre alten Pferde, von denen 16 in Köln trainiert werden, kennen sich bereits aus verschiedenen Rennen. In München-Riem, Baden-Baden, Köln-Weidenpesch oder Berlin-Hoppegarten sind sie auf kürzeren Distanzen als die jetzt anstehenden 2400 Meter schon mal gegeneinander gelaufen, aufmerksam beobachtet von ihren Züchtern und Züchterinnen, ihren Trainern und natürlich auch den Buchmachern.
Für die Wettbranche ist das 153. Idee Deutsche Derby der Höhepunkt der Galoppersaison. Jonas Maike ist Buchmacher bei pferdewetten.de, dem größten Onlineanbieter für Trab- und Galopprennen in Deutschland. Er hat sich auf den Hengst So Moonstruck als Favoriten festgelegt – knapp vor Sammarco, obwohl dieser das Union-Rennen in Köln-Weidenpesch am Pfingstmontag, die wohl wichtigste Derby-Vorprüfung, mit kurzem Kopf Vorsprung auf So Moonstruck auf den letzten Metern für sich entschied.
Derby-Experte legt sich fest: Dieser Hengst gewinnt
„Das stimmt“, sagt Maike, „wenn man sich jedoch den Rennverlauf ansieht, ist deutlich zu sehen, dass So Moonstruck zu früh angegriffen hat, was sein Jockey Andrasch Starke später bestätigte. Damit hatte Sammarco das einfachere Rennen, was in Horn ganz anders laufen kann.“ Zumal der gebürtige Stader fürs Derby gesperrt ist. Der erfolgreichste aktive deutsche Jockey erhielt nach dem Union-Rennen wegen übermäßigen Peitscheneinsatzes ein Berufsverbot vom 20. Juni bis zum 3. Juli, dem Derby-Sonntag. „Auch aus dem Stall ist zu hören, dass So Moonstruck noch mal einen ordentlichen Satz nach vorn gemacht hat“, sagt Maike. Seine Chancen könnten auch deshalb steigen, weil mit Lanfranco „Frankie“ Dettori (51) der vielleicht weltbeste Jockey Starke vertritt. Der hauptsächlich in England reitende Italiener hat das Derby 1991 mit Temporal schon einmal gewonnen. Es war Dettoris erster großer internationaler Erfolg.
Eine Sieggarantie sei das aber nicht, dafür sei das Derbyfeld zu ausgeglichen, meint Maike und verweist auf Lavello. In München-Riem galoppierte er am 1. Mai nach 2000 Metern als Sieger ins Ziel, ließ dabei Sammarco (3.) und So Moonstruck (4.) hinter sich. Anschließend behauptete er sich in Paris-Longchamp gegen die erste Garde französischer Pferde, wurde in einem gut besetzten Rennen Dritter.
Das ist für die Buchmacher das "große Fragezeichen"
Ardakan wiederum ist für Maike „das große Fragezeichen“. Der Hengst debütierte Anfang Mai in Longchamp mit einer sehr guten, international bestätigten Form, gewann anschließend das italienische Galoppderby in Rom. „Er gehört damit für mich mit zu den vier Favoriten“, sagt der Buchmacher: „Bei allen diesen vier Pferden, die ich auf etwa gleicher Höhe sehe, könnten am Ende Kleinigkeiten den Unterschied ausmachen.“
Drei der Favoriten, So Moonstruck, Lavello und Ardakan, werden in Köln auf einer privaten Anlage von Markus Klug trainiert, der gleich sieben Derbystarter stellt; darunter auch die Stute Wagnis, die mit der Engländerin Hollie Doyle aus der zugelosten Box 20 von ganz außen starten muss, was ein kleiner Nachteil sein könnte.
Beim Start gibt es zwei Strategien
„Wenn die Startboxen aufgehen, gibt es für das Pferd in der 20 nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich drücke richtig früh auf die Tube, dass ich gleich nach vorne presche, oder ich sortiere mich hinten am Ende des Feldes ein. Dann wird in der Geraden der Weg eher schwierig. Da muss die Lücke aufgehen, oder man muss wieder nach ganz außen gehen, um am Feld vorbeizukommen. Aber wenn man ein richtiges Klassepferd hat, ist die Startbox bei einer Distanz von 2400 Metern irrelevant“, sagt Maike. Die hoch talentierte Wagnis ist neben Mylady, die bisher erst maximal 1700 Meter gelaufen ist, eine von zwei Stuten im Derby. Gegenüber den 18 Hengsten dürfen sie mit 56,5 Kilogramm Gesamtgewicht (Jockey und Sattel) 1,5 Kilo weniger tragen, um das Rennen fairer zu gestalten. Erst zwölf Stuten triumphierten in Horn, zuletzt gelang das Borgia aus dem Gestüt Ammerland im Jahr 1997.
Jeder Rennstall hat seine Stalljockeys, die fest angestellt sind. Beim Kölner Trainer Peter Schiergen gibt es zwei: der Kasache Bauyrzhan Murzabayev, dreimal in Folge in Deutschland Champion der Berufsreiter, und die Schweizerin Sibylle Vogt, die mit Nerik das zweite Pferd des Stalls reitet. Murzabayev, der die erste Wahl hatte, entschied sich für Sammarco. „Nerik ist daher meine Nummer fünf“, sagt Maike. In der langen Geschichte des Derbys haben allerdings schon zahlreiche Stalljockeys auf das falsche Pferd gesetzt.
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Ein Pferd bleibt schwer einzuschätzen
Schwer einzuschätzen bleibt für den Wettprofi Alessio. In der Kölner Union kam er sechs Längen hinter Sammarco und So Moonstruck ins Ziel, „aber sein Jockey hat ihn nicht gefordert, hat das Pferd nicht maximal unterstützt“. Im Derby sitzt mit Rene Piechulek jetzt ein Spitzenjockey im Sattel, der im vergangenen Oktober 725:10-Außenseiter Torquator Tasso zum Sieg im Prix de l’Arc de Triomphe ritt.
Abgeschrieben werden darf in diesem Derbyfeld kein Pferd, meint Maike. Assistent zum Beispiel gewann vor zwei Wochen auf der Neuen Bult in Hannover den dortigen Derby-Trial (2200 Meter) nach beeindruckendem Finish. Und dann ist da noch Queroyal. Er wurde im April vom Derby – vermutlich nach einem Missverständnis – zurückgezogen, musste jetzt am vergangenen Montag für 65.000 Euro nachgemeldet werden. Der Hengst siegte in Mülheim über 1500 und in Baden-Baden über 2000 Meter. Maike: „Das sah beide Male überzeugend aus.“ Das Gestüt Paschberg aus Brackel im Landkreis Harburg und Trainer Andreas Wöhler hätten sicher nicht so viel Geld nachgeschossen, wenn sie von den Qualitäten ihres Pferdes nicht voll überzeugt wären.
So Moonstruck ist Favorit, aber es könnte auch eine Überraschung geben
Lotterbov dagegen gehört eher zu den chancenreichen Nebendarstellern, er scheint jedoch längere Strecken zu mögen. Auch Dapango traut Maike eine Überraschung zu: „Der wird ewig lang stehen und ein Riesenaußenseiter sein, aber der hat bei seinem Lebensdebüt 2021 über 1600 Meter direkt gewonnen und ist im November beim Herzog-von-Ratibor-Rennen sehr guter Dritter geworden, vor Lavello übrigens.“ Und bei Millionaire darf man allenfalls darauf hoffen, selbst einer zu werden, wenn man auf ihn setzt. Der Hengst ist in München-Riem gegen die ganzen anderen großen Namen gelaufen, kam dort nach Dapango (5.) als Sechster ins Ziel. Das war’s beim ihm aber schon.
„Bei allen professionellen Einschätzungen und Quervergleichen: Das Derby hat seine eigenen Gesetze, und final wissen wir erst gegen 15.50 Uhr, wer wirklich Deutschlands bester Dreijähriger ist“, sagt Maike. Mit Ako gewann im Jahre 1982 einer der größten Außenseiter. Damals zahlte der Toto 608:10 auf Sieg, die bisher höchste Quote eines Derbygewinners.
Gestüt Ittlingens Danelo gewann am Freitag das mit 55.000 Euro dotierte Hauptrennen in Horn, den Großen Preis von Lotto Hamburg über 1200 Meter. Zum dritten Renntag kamen 2300 Zuschauende. Wettumsatz: 335.662,94 Euro. Am Sonnabend (erster Star: 10.50 Uhr) gilt alle Aufmerksamkeit dem fünf Jahre alten Hengst Torquator Tasso, der im Großen Hansa-Preis (14.35 Uhr/70.000 Euro) gegen fünf Vierjährige antritt. Am Sonntag (erster Start 10.50 Uhr) stehen wie an den Vortagen zwölf Rennen an, das Derby ist das neunte.