Aberglaube gehört für etliche Fußballfans zum Geschäft. Abendblatt.de listet Umstände auf, die den deutschen Anhängern vor dem Finale am Sonntag Hoffnung machen - oder eben auch nicht.

Hamburg. Es soll Fußballtrainer geben, die ordnen dem Aberglauben sogar ihren Kleidungsstil unter. So ist etwa von Peter Neururer überliefert, er habe sich bei einem Auswärtsspiel mit seinem VfL Bochum in München in Sommerklamotten an die Seitenlinie gestellt - und das, obwohl die Partie bei klirrenden Temperaturen im Winter ausgetragen wurde. Die einleuchtende Begründung Neururers für seinen Kleidungswechselstopp: „Wir hatten schon so lange nicht mehr verloren.“

Andere Sportler verweigern unter bester Erfolgsabsicht die Bartrasur, nicht wenige Fußballer müssen den Platz stets mit dem selben Fuß zuerst betreten, wieder andere lassen sich aus Prinzip die immer gleiche Rückennummer zusichern - alle anderen könnten ja Unglück bringen. Und die Fußballfans? Die glauben in erster Linie an das Gesetz der Serie.

Nicht umsonst besetzt der Aberglaube in der Sportpsychologie ein eigenes Themenfeld. Vor dem WM-Finale am Sonntag zwischen Deutschland und Argentinien dürften nicht nur unter den Anhängern der deutschen Nationalmannschaft etliche Riten Hochkonjunktur haben, die endlich zum vierten Stern auf der Brust der Adlerträger führen sollen.

Welches T-Shirt hatte ich noch gleich am 8. Juli 1990, dem letzten deutschen WM-Triumph, aus dem Schrank geholt? Wie sieht denn die Bilanz gegen Argentinien aus? Ist es von Vorteil, dass Ángel di María am Sonntag wohl ausfällt?

Nur noch drei Tage, dann hat die Kaffeesatzleserei ein Ende. Bis dahin hilft abendblatt.de dem Aberglauben verfallenen Fans mit mehr oder weniger Ernst gemeinten Fakten, eine eigenen Prognose für den Ausgang des WM-Finals zu erstellen.

Mathematische Gewissheit

Es ist die perfekte Gewinnerformel für den deutschen WM-Titel in diesem Jahr: Wenn das Jahr des vorletzten Gewinns, also 1974, mit der Quersummen des letzten Siegjahres (1990=19) und des vorletzten (1974=21) addiert wird, erhält man - richtig: 2014! Und auch folgendes Rechenexempel lässt die Herzen der deutschen Fans höher schlagen: Sowohl Brasilien (1970 und 1994) als auch Italien (1982 und 2006) haben sich ihren vierten WM-Titel jeweils 24 Jahre nach dem dritten Sieg gesichert. Und wann erhielt Deutschland seinen dritten Stern? Genau, 1990. Und vor wievielen Jahren war das...? Punkt für Deutschland.

Gesetz der Serie

Den Gastgeber in der K.o.-Runde auszuschalten, hat weder Argentinien noch Deutschland bislang Glück gebracht - wenn beide anschließend im Finale aufeinandertrafen. Vor dem Duell 1986 hatten die Deutschen Gastgeber Mexiko im Viertelfinale mit 4:1 im Elfmeterschießen eliminiert. Was folgte, war ein 2:3 im Endspiel gegen Maradona & Co. Wenig besser erging es den Argentiniern selbst vier Jahre später. In Italien schalteten die Südamerikaner im Halbfinale die heimische Squadra Azzurra aus - um danach in Rom mit 0:1 gegen Beckenbauers Elf den Kürzeren zu ziehen. Jetzt gibt es also zum dritten Mal das Finalduell Deutschland gegen Argentinien. Und dabei könnte sich der 7:1-Triumph gegen Gastgeber Brasilien für die DFB-Kicker als bitterer Boomerang erweisen. Letztlich ein Punkt für Argentinien.

Omen

Und noch ein eher schlechtes Omen für Deutschland, wieder im Zusammenhang mit dem historischen Coup von Belo Horizonte. Denn schon bei der ersten Heim-WM im Jahr 1950 gelang es Brasilien nicht, die Trophäe am Zuckerhut zu behalten. Stattdessen triumphierte mit Uruguay ein anderes Team aus Südamerika. Dort ist geographisch bekanntlich auch Argentinien angesiedelt... Dieser Punkt geht also ebenfalls an Messi.

Beistand von oben

Papst Franziskus soll es für die Gauchos richten. Das Abbild des Pontifex ist unter Argentiniens Fußballfans allgegenwärtig. Doch ob der Beistand von Jorge Mario Bergoglio Messi & Co wirklich nützt, darf bezweifelt werden. Schließlich konnte sich Deutschland von “seinem“ Papst Benedikt XVI. auch nichts kaufen: Während Joseph Ratzingers Amtszeit von 2005 bis 2013 reichte es für die DFB-Kicker bei zwei WM-Turnieren jeweils nur zu Rang drei. Punkt für niemanden.

Orakel

Tier-Orakel waren gestern, heute werden die Prognosen digital erstellt. Die Sprachassistentin für sein neues Windows-Phone hat Microsoft unter anderem mit einem WM-Analysetool programmiert. Und was hat Cortana zuletzt ausgespuckt? Richtig: Eine Niederlage der Niederlande im Halbfinale. Und für das Finale geht die Tendenz, die auf Basis von Siegen, Niederlagen, Wetter, Grastyp und anderen Faktoren erstellt wird, offenbar schon Richtung Deutschland.

Publikumsgunst

Die brasilianische Fußballseele wurde durch das 1:7 im Halbfinale gegen Deutschland in die Welt des Schmerzes gestoßen. Dennoch sollte die Mannschaft von Joachim Löw im Finale auf das eigentlich neutrale Publikum zählen können. Denn noch schwerer wiegen als die fußballerische Demütigung durch Kroos & Co dürfte für die brasilianischen Betrachter die tief sitzende Rivalität mit Argentinien und vor allem die ständigen Sticheleien und Provokationen der “Hermanos“ im Laufe des Turniers. Wozu auch die Geschmacklosigkeit einer kleinen Fangruppe gehören dürfte, die nach dem verletzungsbedingten WM-Aus von Neymar eine Wirbelsäulen-Attrappe des brasilianischen Superstars präsentierte und besang.

Finalansetzung

Dieses Kriterium ist eindeutig: Argentinien sicherte sich seine bisherigen Titel jeweils im sechsten Monat des Jahres (25. Juni 1978 in Buenos Aires, 29. Juni 1986 in Mexiko-Stadt), Deutschland triumphierte dagegen stets im Folgemonat (4. Juli 1954 in Bern, 7. Juli 1974 in München, 8. Juli 1990 in Rom). Klarer Punkt für Deutschland, denn das Finale 2014 in Rio de Janeiro wird am 13. Juli angepfiffen.

Interkontinentalität

„Europa gegen Südamerika - eine reizvolle Konstellation“, sagt Bundestrainer Joachim Löw voller Vorfreude vor Sonntag. Neunmal spielte in einem WM-Endspiel bislang eine Nation aus Südamerika gegen eine europäische Vertretung. Für den alten Kontinent stehen dabei lediglich zwei Siege zu Buche, die auch jeweils in gewohnter Zeitzone errungen wurden (1990 Deutschland gegen Argentinien in Italien, 1998 Frankreich zuhause gegen Brasilien). Dazu kommt, dass in Süd-, Mittel- oder Nordamerika noch überhaupt keinem Fußballverband aus Europa der Titel vergönnt war. Diese Tendenz spricht am Sonntag für Argentinien.

Faktor Angstgegner

Oh je, das sieht nicht gut aus: Die Länderspielbilanz gegen Argentinien liest sich für den deutschen Fan ähnlich ernüchternd wie die Statistiken gegen Brasilien oder Angstgegner Italien. Sechs deutschen Siegen stehen neun Niederlagen gegenüber, fünfmal trennte man sich unentschieden. Immerhin: Das Torverhältnis ist mit 28:28 Treffern ausgeglichen. Dafür sorgte nicht zuletzt auch das souveräne 4:0 gegen Argentinien im Viertelfinale 2010 in Südafrika. Allerdings ging das letzte Aufeinandertreffen am 15. August 2012 in Frankfurt wieder verloren (1:3). Andererseits: Auch gegen Brasilien ist es Deutschland ja gerade gelungen, die Bilanz gehörig aufzupolieren. Einigen wir uns also auf Unentschieden. Würde mit anschließendem Sieg im Elfmeterschießen ja auch genügen.

Die Psyche

Womit wir beim nächsten Punkt wären: Die Psyche. Die ist bei den Gauchos spätestens seit dem legendären WM-K.o. im Sommermärchen-Viertelfinale 2006 dermaßen angeknackst, dass es den spielerisch schwächeren Argentiniern noch nicht einmal helfen wird, sich ins Elfmeterschießen zu retten. Denn da packt Torwarttrainer Andy Köpke einfach den nächsten Zettel raus. Oder Manuel Neuer richtet es auch so. Sergio Romero ist jedenfalls trotz seiner zwei parierten Elfmeter gegen die Niederländer im Halbfinale kein Killer. Das sieht auch sein Ex-Trainer Louis van Gaal weiterhin so. Und außerdem konnte der 90er-Elfmeterheld Sergio Goycoechea nach zwei Rettungstaten im Halbfinale gegen Italien im Endspiel gegen Andy Brehmes goldenen Schuss auch nichts mehr ausrichten. Den Punkt vom Punkt schnappt sich also Deutschland.

Tattoo-Zeichen

Erlauben Sie mir zu guter Letzt noch ein persönliches Zeichen: Die Körper der argentinischen Spieler mögen zwar mit allerhand guten Wünschen zugekleistert sein, das vielversprechendere Tattoo besitzt allerdings meine Tochter. Jawohl! Seit dem Auftaktspiel gegen Portugal zieren ihre Unterarme temporäre Herzen und Flaggen in den deutschen Nationalfarben. Und sie lassen sich partout nicht abwaschen. Ich bin mir sicher: Schwarz-Rot-Gold auf weißer Haut wird auch noch das Wochenende überstehen, Deutschland holt den Titel!