Die Torwart-Legende attackiert auch Manuel Neuer: „Das ist Harakiri!“ Bundestrainer Joachim Löw redet das 2:1 gegen Algerien schön – doch er wird dünnhäutig.
Poto Alegre/Rio de Janeiro. Man könnte glauben, das deutsche Achtelfinale bei der WM in Brasilien ging mit 2:1 gegen Algerien verloren. So hart waren die Kommentare der professionellen Beobachter. Doch die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw ist im Viertelfinale und muss dort gegen Frankreich am Freitag (18 Uhr ARD und Liveticker bei abendblatt.de) den Reset-Knopf drücken: Neustart.
Denn so kann es nicht weitergehen, wie sich Löws Truppe präsentierte. Torwart-Legende Oliver Kahn ätzte im ZDF: „Die Mischung stimmt nicht mehr.“ Damit hatte er recht. Denn die viel gelobte Spielweise der vergangenen Jahre droht den Bach herunterzugehen, die offensive Ausrichtung, die spielerischen Lösungen sind dahin. Das ganze System Löw ist mit diesem Kader zerbrochen.
Das liegt vor allem an den fehlenden Außenspielern, die, ähnlich wie beim FC Bayern Alaba/Ribery und Lahm/Robben das Spiel in die Breite ziehen und von den Außenbahnen pärchenweise Druck machen. Höwedes und Mustafi sind damit überfordert gewesen, in der Offensive gab es bis zur Umstellung mit Lahm als rechtem Verteidiger und Schürrle als Angriffs-Quirl keine Impulse von den vermeintlichen offensiven Außenspielern.
Seinem grantelnden Naturell gemäß, aber eben auch treffend attackierte Kahn den besten Deutschen: Torwart Manuel Neuer. „Das ist Harakiri. Da wird eine rote Karte riskiert“, so Kahn zu der Spielinterpretation mit Neuer als „Libero“, als letztem Mann, der ausputzt, von der Strafraumgrenze nach vorne ins Abwehrgetümmel sprintet. Heißt: gegen Frankreich wird das so nichts. Da steht in Karim Benzema von Real Madrid ein ganz anderes Kaliber vor Neuer.
Neuer verteidigte sich: „Ich habe meine Spielweise nicht verändert. Ich spiele öfter so. Das hat der Platz hergegeben, weil es ein bisschen nass war.“ Aber auch Neuer gab zu: Frankreich wartet eine harte Aufgabe auf uns. „Als der André (Schürrrle) kam, war ein bisschen Zug drin. Das hat Schwung gebracht, das tat uns gut. Wir müssen zielstrebiger nach vorne spielen.“ Die beiden Londoner machten die Tore: Schürrle (Chelsea) und Özil (Arsenal) trafen für die einfallslosen Deutschen, die später eine Vielzahl von Chancen hatten, diese aber oft hektisch vergaben.
Wie ein Slapstick mutete der Freistoß in der 88. Minute an. Ob das Stolpern von Müller geplant war? Wohl kaum. Der Freistoß ging in die Hose, der Trick war lachhaft.
„Eine WM ist kein Spaziergang. Solche Spiele muss es in einem Turnier auch geben, wo man sich durchkämpfen muss. Andere Teams tun sich ebenfalls schwer“, sagte Löw. Aber der Verweis auf andere macht das deutsche Auftreten nicht besser – ebenso wenig wie der Hinweis auf die vielen Verletzten wie Podolski, Hummels, jetzt Mustafi. Auch Khedira und Schweinsteiger sind alles andere als WM-fit.
„Unsere Stärke ist auch die Flexibilität. Man hat heute gesehen, dass wir Spieler einwechseln können, die frische Impulse bringen. Das hat mit Schürrle und Khedira geklappt. In dieser Phase haben sie der Mannschaft einen Schub gegeben und ihr geholfen.“ Diese Aussage von Löw ist korrekt. Aber warum spielen sie nicht gleich so? Warum muss Löw erst immer durch taktische Fehler oder personelle Fehlgriffe dazulernen?
Löw sagte: „Nach so einem Spiel muss man erst einmal durchschnaufen. Das war am Ende ein Sieg der Willenskraft. Soll ich mich ärgern, dass wir die nächste Runde erreicht haben? Ich freue mich über den Einzug in die nächste Runde, was denn sonst.“ Ob der Rückzug von Lahm auf die Außenverteidigerposition schon wieder ein Fanal für eine neue Strategie ist, muss man abwarten.
Löw sagte: „Wir müssen den Spielern nun erst einmal ein, zwei Tage Ruhe gönnen und werden uns dann Gedanken machen. Meine personellen Entscheidungen hängen auch davon ab, in welcher körperlichen Verfassung sich Schweinsteiger und Khedira befinden, die beide derzeit noch nicht über 90 Minuten gehen können.“
Die Statistik
Deutschland: 1 Neuer/Bayern München (28 Jahre/49 Länderspiele) - 21 Mustafi/Sampdoria Genua (22/4) ab 70. Khedira, 17 Mertesacker/FC Arsenal (29/102), 20 Jerome Boateng/Bayern München (25/43), 4 Höwedes/Schalke 04 (26/25) - 16 Lahm/Bayern München (30/110), 7 Schweinsteiger/Bayern München (29/105) ab 109. Kramer - 8 Özil/FC Arsenal (25/59), 18 Kroos/Bayern München (24/48), 19 Götze/Bayern München (22/33) ab 46. Schürrle - 13 Müller/Bayern München (24/53). - Trainer: Löw
Algerien: 23 M’Bolhi/ZSKA Sofia (28 Jahre/32 Länderspiele) - 20 Mandi/Stade Reims (22/5), 4 Belkalem/FC Watford (25/16), 5 Halliche/Academica Coimbra (27/33) ab 97. Bougherra, 3 Ghoulam/SSC Neapel (23/8) - 22 Mostefa/Mostefa/AC Ajaccio (30/25), 19 Taider/Inter Mailand (22/13) ab 78. Brahimi, 8 Lacen/FC Getafe (30/33) - 10 Feghouli/FC Valencia (24/23), 15 Soudani/Dinamo Zagreb (26/25) ab 100. Djabou - 13 Slimani/Sporting Lissabon (26/24). - Trainer: Halilhodzic
Schiedsrichter: Sandro Ricci (Brasilien)
Zuschauer: 42.000
Tore: 1:0 Schürrle (92.), 2:0 Özil (120.), 2:1 Djabou (120.+1)