Wie kommt der Gastgeber mit den immensen Erwartungen zurecht? Vor dem Eröffnungsspiel der Seleção gegen Kroatien geben sich Trainer Scolari und Stürmerstar Neymar auf einer Pressekonferenz ganz locker.
São Paulo. Auf zur „Hexacampeão“! Mit einer Gala will Gastgeber Brasilien Milliarden Fußball-Fans an den Fernsehschirmen im WM-Eröffnungsspiel gegen Kroatien verzaubern und den ersten Schritt zum angestrebten sechsten Titel machen. Die Favoritenrolle hat der fünffache Weltmeister längst angenommen, die riesige Erwartungshaltung im eigenen Land soll die Samba-Kicker eher beflügeln als lähmen.
„Ich schlafe sehr gut. Ich weiß nicht, ob ich andere Dinge gut mache, aber ich schlafe sehr gut“, scherzte Trainer Luiz Felipe Scolari vor dem ersten Gruppenspiel gegen Kroatien an diesem Donnerstag (22 Uhr/Liveticker abendblatt.de) in São Paulo. „Auch wenn es weitere Anwärter auf den Titel gibt wie Spanien, Deutschland oder Argentinien. Unter Felipe Scolari hat das Team eine Identität gewonnen. Unsere Fans können sicher sein: 23 Krieger werden sich für die Seleção zerreißen und wollen den Titel holen“, versicherte Stürmerstar Neymar.
Der 22-Jährige vom FC Barcelona macht sich keine großen Sorgen über die riesige Erwartungshaltung im eigenen Land. „Den Druck mag ich. Ich fliehe nicht vor ihm. Ich übernehme die Verantwortung. Denn es ist mein größter Traum, den Titel im eigenen Land mit dem brasilianischen Publikum im Rücken zu gewinnen. Ich bin darauf vorbereitet, bei dem Turnier hier der Star zu sein“, sagte Neymar in einem Interview der „Sport-Bild“. Bei der Pressekonferenz am Mittwoch zeigten sich Scolari und Neymar ganz entspannt und waren zu Scherzen aufgelegt.
Mit einem Lächeln parierte Brasiliens derzeit talentiertester Fußballer auch die vielen Fragen, ob er denn der Superstar dieses Turniers werde könne. „Ich will nicht der beste Spieler oder der Torschützenkönig werden. Ich will den Weltcup gewinnen, das will ich wirklich mit meiner Mannschaft.“ Außerdem sei er Fan von Messi und Cristiano Ronaldo. Jetzt sei er erstmal gespannt „und natürlich extrem glücklich“, die WM vor sich zu haben. Scolari weiß natürlich nur zu gut, dass es bei der Titeljagd um mehr als Tricks und Tore geht: Ein frühes Ausscheiden könnte die Stimmung im Land kippen lassen und die Proteste verstärken.
„Ein richtig gutes Kollektiv“
So dankte der 65-Jährige bei seinem Auftritt vor über 500 Medienvertretern erstmal Brasiliens Ex-Präsident Lula für dessen Schreiben. „Ich danke allen Brasilianern für ihre guten Wünsche“, sagte er. Die Spieler um Neymar vertrauen ihrem Chefcoach, der Brasilien bereits 2002 zum Titel führte und schon zu Beginn seiner zweiten Amtszeit im November 2012 vollmundig verkündete: „Ich habe diesen Job angenommen, weil ich zu 100 Prozent sicher bin, dass ich mit Brasilien die WM gewinnen werde.“ Scolari hat die Seleção seit dem 26. Mai im Trainingscamp in Teresópolis etwa 100 Kilometer nördlich von Rio de Janeiro versammelt. Dort versuchten er und Sportdirektor Carlos Alberto Parreira, Trainer der Weltmeister-Mannschaft von 1994, die Stimmung locker zu halten.
Ein Mentaltrainer sprach, Musik ist immer dabei. „Wir haben ein richtig gutes Kollektiv. Jeder versucht, dem anderen zu helfen. Das ist unsere größte Stärke“, sagte Luiz Gustavo. Der defensive Mittelfeldspieler dürfte der einzige Bundesliga-Profi in Brasiliens Startelf sein; seine Wolfsburger Kollegen Ivica Olic und Ivan Perisic sollen auf der Gegenseite auflaufen. Die Kroaten wissen um die nervliche Belastung des Gegners. „Brasilien ist Favorit und muss als Gastgeber den Titel holen.
„Anspannung ist groß“
Der Druck ist immens. Diesen Druck kann man nicht messen, den werden die Spieler nie mehr in ihrem Leben haben“, sagte Trainer Niko Kovac. Scolari setzt auf die Unterstützung von 200 Millionen Brasilianern und auf jene Mannschaft, die im vergangenen Jahr im Endspiel des Confederations Cups Weltmeister Spanien mit 3:0 aus dem Maracanã jagte. Die immensen Erwartungen an sein Team sind dadurch weiter gestiegen. „Klar ist die Anspannung groß, aber das motiviert einen als Spieler auch. Wenn wir den Anpfiff hören, ist alles vergessen“, sagte Stürmer Fred, der Torschützenkönig vom Confederations Cup. Vom Stamm der WM-Mannschaft von Südafrika 2010, als Brasilien wie schon vier Jahre zuvor in Deutschland im Viertelfinale scheiterte, sind nur noch Torwart Julio César, David Luiz und Dani Alves dabei.
Am allerwenigsten verrückt machen lässt sich Parreira. „Wir haben die teuerste Abwehr der Welt. Wir haben erfahrene Spieler von großer Qualität, die in aller Welt respektiert sind. Und wir spielen zu Hause. Klar sind wir Favoriten“, sagte der 71-Jährige. Und Scolari gab seinen Spielern mit auf den Weg: „Es werden etwas mehr als 30 Tage sein, wo man Opfer bringen muss. Aber wenn wir Weltmeister werden, genießen wir es 1430 Tage – bis zur nächsten Weltmeisterschaft.“