Hamburg. Der Mittelstürmer spricht vor seiner Rückkehr ins Millerntor-Stadion über schwere Zeiten, Tore gegen Schalke und Filmrisse.
Wenn Igor Matanovic an seinen glücklichsten Moment als Profifußballer zurückdenkt, ist da: nichts. Filmriss. „Ich kann mich an nichts mehr erinnern, was nach dem Tor passiert ist“, sagt der heute 20-Jährige im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“.
Was gewiss ist: Alkohol oder leistungssteigernde Substanzen sind nicht Grund der Amnesie. Denn im Anschluss an seinen damaligen Siegtreffer in der Nachspielzeit zum 3:2 für den FC St. Pauli bei Hannover 96 am 16. Januar 2021 musste der damals 17 Jahre alte Nachwuchsstürmer den ersten Dopingtest seines Lebens absolvieren.
Matanovic trifft mit Karlsruher SC auf St. Pauli
Knapp drei Jahre später kehrt Matanovic mit dem Karlsruher SC an diesem Sonnabend (13 Uhr/Sky) zu seinem Heimatverein ins Millerntor-Stadion zurück, um nicht für Filmrisse, sondern das Reißen einer Serie zu sorgen. Seit saisonübergreifend 15 Zweitligaspielen ist St. Pauli, dessen historisch jüngster Torschütze im Profiteam der geborene Hamburger nach wie vor ist, ungeschlagen. „Eine Serie, die sich sehen lassen kann. Wir werden nicht viele Chancen haben, die müssen wir nutzen“, sagt der Mittelstürmer.
Seine Chance nutzte Matanovic zuletzt mal wieder – endlich, aber irgendwie auch erwartbar. Denn bereits am vergangenen Spieltag riss eine Serie.
Erneutes Tor gegen FC Schalke 04
Erneute Rückblende: Am 7. Mai 2022 brachte der Deutsch-Kroate St. Pauli beim FC Schalke 04 mit 2:0 in Führung, ehe die Gastgeber drei Tore und einen Matanovic-Platzverweis später den Aufstieg in die Bundesliga feierten. Seinen nächsten Zweitligatreffer erzielte der 1,94-Meter-Hüne dann erst wieder am vorigen Sonnabend beim 3:0-Heimsieg gegen die Gelsenkirchener. „War ein echt lustiger Zufall“, sagt Matanovic und lacht.
Zwischen diesen beiden Toren lag jedoch eine Durststrecke, die selbst dem ungemein sympathischen Angreifer das Lachen zeitweise einfrieren ließ. Nach dem Schalker Doppelpack wurde Matanovic mit erst 19 Jahren zum Hoffnungsträger beim Kiezclub auserkoren.
Hohe Erwartungen lagen auf dem Jugendlichen
Bereits 2021 hatte Bundesligist Eintracht Frankfurt ihn verpflichtet, aber noch für zwei Jahre an St. Pauli verliehen. Die Saison 2022/23 sollte also seine letzte im braun-weißen Trikot werden und auch seine beste.
Matanovic begann die Spielzeit als nominell erster Stürmer. Mindestens 15 Tore, so heißt es, sollen einige im Verein von ihm erwartet haben, und in der Vorbereitung traf der Youngster auch.
Kein Pflichtspieltor für St. Paulis Toptalent
Doch mit Beginn der Pflichtspiele kein weiteres Mal. „Im Nachhinein haben mich die hohen Erwartungen belastet. Ich konnte nicht ganz damit umgehen“, sagt Matanovic. Am Anfang war es häufig Pech. Ein Aluminiumtreffern hier, ein auf der Linie klärender Abwehrspieler da, fehlende Zentimeter dort.
„Dann stand in den Medien Negatives über mich. Das habe ich zwar versucht auszublenden, doch über Umwege ist es doch an mich herangekommen“, erinnert sich der in Heimfeld aufgewachsene Sohn kroatischer Einwanderer, der Großteile der Rückrunde wegen einer Schulterverletzung verpasste.
"Weiß jetzt, was in solchen Situationen zu tun ist"
Aber Matanovic wäre nicht Matanovic, wenn er dieser Situation nichts Positives abgewinnen könnte. Der einstige Abiturient der Eliteschule des Sports am Alten Teichweg zeigte sich schon früh als reife Persönlichkeit mit Eloquenz und Einfühlungsvermögen: „Letztlich habe ich großes Glück gehabt, diese Krisenerfahrung mit 19, 20 Jahren zu sammeln anstatt erst mit 25. So weiß ich, was in solchen Situationen zu tun ist, dass ich ruhig bleiben muss“, sagt der 61-fache Zweitligaspieler.
Außerdem half ihm der enge Bezug zu seiner Familie. „Es tut gut, in solchen Phasen mit seinen Eltern sprechen zu können. Ich wollte nicht grundlos so lange wie möglich im Elternhaus leben“, sagt Matanovic, der nun erstmals auf sich allein gestellt ist.
Frankfurt leiht Matanovic an Karlsruhe aus
Im Sommer wechselte er regulär nach Frankfurt, wurde kurz vor Saisonbeginn aber an den KSC verliehen. Als Enttäuschung hat Matanovic dies nicht aufgenommen: „Die Vorbereitung lief zwar gut mit vier Toren in drei Testspielen, aber wir haben gemeinsam besprochen, dass es am besten ist, wenn ich ein weiteres Jahr Erfahrung in der Zweiten Liga sammele und viel spiele.“
Karlsruhe sei eine lebenswerte, grüne Stadt, die Atmosphäre im Verein sehr nahbar und freundschaftlich. „Wir haben Spaß miteinander, können aber auch ernst werden, wenn es an die Arbeit geht. Dafür sorgt unser Trainer Christian Eichner, ein sehr emotionaler Typ, der immer 100-prozentig hinter der Mannschaft steht“, sagt Matanovic, dessen Team in Anbetracht der hohen Erwartungen vor der Saison enttäuschend in die Spielzeit gestartet ist.
Traumziel ist die WM mit Kroatien
„Aber ich weiß genau, wie schnell es im Fußball gehen kann. Wenn der Stein einmal ins Rollen gerät, dann läuft es“, sagt Matanovic. Da er sich der Schnelllebigkeit des Geschäfts mittlerweile bewusst ist, folgt er auch keinem dezidierten Karriereplan.
„In meiner Situation ist es am sinnvollsten, von Saison zu Saison zu schauen“, sagt der kroatische Juniorennationalspieler. Allerdings: Auf das Heimatland seiner Eltern angesprochen, deren Muttersprache er fließend spricht, formuliert Matanovic einen Traum: die WM.
Rückkehr ins Millerntor-Stadion wird emotional
„Natürlich ist die Champions League reizvoll, aber an eins steht eine WM-Teilnahme mit Kroatien. Ich will einmal diese Stimmung live erleben wie beim deutschen Titel 2014 als Zuschauer. Wenn Deutschland gespielt hat, musste man es gar nicht sehen, sondern konnte es anhand der Reaktionen der Menschen hören, all die Feiern, die Musik.“
Bekannte Klänge aus dem Millerntor werden ihm am Sonnabend wieder zu Ohren kommen. „Ich bin nervös im positiven Sinn, habe schließlich 13 Jahre für diesen Verein gespielt“, sagt Matanovic, der diese Gefühle beim Anpfiff ausblenden will. Film ab.
FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Saliakas, Irvine, Hartel, Ritzka – Afolayan, Eggestein, Saad.
Karlsruher SC: Drewes – Jung, Bormuth, Franke, Herold – Jensen – Nebel, Wanitzek – Stindl – Matanovic, Schleusener.