Nürnberg. St. Paulis neuer Cheftrainer Fabian Hürzeler gewinnt bei seinem Debüt in Nürnberg. Medic ist der gefeierte Held.

Fabian Marc Hürzeler ist ein sehr analytisch orientierter Trainer. Einer, der selbst nach seinem ersten Sieg als Proficoach sein Statement bei der Pressekonferenz mit einer Aneinanderreihung kritischer Punkte beginnt. Von Gelöstheit und Freude: keine Spur. „Ein, zwei Stunden können wir das schöne Gefühl genießen“, sagte Hürzeler, „dann beginnt die Re-Analyse und Vorbereitung aufs nächste Spiel.“ Ganz eindeutig: Der 29-Jährige weiß, welche Arbeitseinstellung erfolgreiche Trainer ausmacht. Doch beim 1:0 (1:0)-Sieg beim 1. FC Nürnberg am Sonntagnachmittag hatte Hürzeler etwas, das selbst die Größten seines Fachs benötigen, aber nicht selbst beschaffen können: Glück.

Glück im Unglück, genauer gesagt. Am Sonnabendmorgen vor der Abfahrt in die Frankenmetropole herrschte Klarheit: Eric Smith, ausgerechnet der Schlüsselspieler im neuen System als zentraler Innenverteidiger, musste erkrankt passen. Also nahm sich Hürzeler Jakov Medic zur Seite – ausgerechnet. Denn der Kroate war der Positionsverschiebung von Smith, der Verpflichtung von Karol Mets und der Verletzung seiner Schulter zum Opfer gefallen. Sein neuer Coach hatte ihm intern deutlich gemacht, dass er sich den Stammplatz vorerst abschminken kann.

Zugleich bewies Hürzeler jedoch auch sein Fein­gefühl, machte dem enttäuschten Medic klar, dass sich Geduld auszahlen werde. „Jakov und ich haben ein sehr intensives Verhältnis durch unsere lange Zusammenarbeit. Wir wissen, was wir aneinander haben, und mir war bewusst, dass ich Jakov brauchen würde“, sagte der aus Bayern stammende Hürzeler in den Katakomben des Max-Morlock-Stadions.

Medic beschert St. Pauli den Sieg

Auf dem Rasen hatte Medic, der es im Interview bei höflich-professionellen Phrasen beließ, kurz zuvor für überbordenden Jubel bei den gut 3500 mitgereisten Fans unter den 30.871 Zuschauenden gesorgt. Nach einer zunächst kurzen Eckvariante, die letztlich doch mit einem langen Ball von Leart Paqarada endete, stand der Innenverteidiger im Strafraum gerade richtig. Kopfball – 1:0 (33.). Da Adam Dzwigala mit nicht näher bekannten Beschwerden zur Pause den Platz verlassen musste, steht Medic, der auch defensiv überzeugte, die Tür zur Rückkehr in die Stammformation weit offen. „Aber die war sowieso nie zu“, sagte Hürzeler.

Der Premierensieger hatte nicht nur Glück und Glück im Unglück, sondern auch das Glück des Tüchtigen. Denn beim ersten Auswärtssieg seit dem 21. Februar 2022 zeigten die Kiezkicker die fast ein Jahr lang vermissten Qualitäten, die unter Bedrängnis notwendig sind. Sie verteidigten engagiert, nach dem Seitenwechsel die zweiten Bälle effizient und, als der fränkische Druck am Ende Überhand nahm, auch mal vielbeinig mit Mann, Maus, Mets und Maurides.

Oder Matchwinner zwei: Torwart Nikola Vasilj, der herausragend hielt, insbesondere gegen den Ex-HSVer Jan Gyamerah (37.). „Mit Karol haben wir einen erfahrenen Mann, der uns defensiv viel Qualität gibt. Wir haben uns dadurch generell in der Verteidigung verbessert“, lobte der Bosnier den Esten.

Nürnberg bekam Paqarada nicht in den Griff

Ein Deutsch-Kosovare wiederum avancierte zum dritten Entscheidungsspieler. Es war einmal mehr Paqarada, über den fast jegliche Offensivbemühungen jeglicher Art St. Paulis liefen. Auch in der Verteidigung agierte der künftige Bundesligaspieler des 1. FC Köln stark. Paqarada war zu handlungsschnell, zu clever, zu agil, zu überfordernd, um von Nürnberg im Entferntesten eingeschränkt zu werden.

Hürzeler kann den linken Schienenspieler daher auch nicht gemeint haben, als er sich über einen „zu passiven und mutlosen Auftritt“ und „zu wenig Präzision im letzten Drittel“ beschwerte. Die brachte zwar auch Neuzugang Oladapo Afolayan bei seinem Debüt nicht. Mit seiner Dynamik eröffnet der Engländer den Hamburgern aber ungeahnte Dimensionen. „Seine Kreativität und Umschaltqualitäten ermöglichen uns, kompakter zu stehen, weil wir mit ihm effektiv kontern können“, sagte Hürzeler.

Der Coach war auf dem Rückweg im ICE mit der Vorbereitung des Tests an diesem Montag (14.30 Uhr) in Rotenburg/Wümme gegen Drittligist VfB Oldenburg beschäftigt. Hier sollen Ersatzspieler Einsatzzeit bekommen und potenzielle Abgänge ins Schaufenster gestellt werden. Der Mann weiß, dass sich Glück durch viel Arbeit auch erzwingen lässt.

Die Statistik:

  • Nürnberg: Jensen - Gyamerah, Geis, Schindler (90. Florian Hübner), Nürnberger - Castrop (64. Goller), Tempelmann, Flick - Möller Daehli (81. Nischalke) - Duah (81. Lohkemper), Daferner (64. Schuranow). - Trainer: Weinzierl
  • St. Pauli: Vasilj - Dzwigala (46. Beifus), Medic, Mets - Saliakas, Irvine, Paqarada - Metcalfe (59. Afolayan), Hartel - Otto (72. Maurides), Daschner (90. Aremu). - Trainer: Hürzeler
  • Schiedsrichter: Alexander Sather (Grimma)
  • Tor: 0:1 Medic (33.)
  • Zuschauer: 30.871
  • Gelbe Karten: Nischalke - Saliakas (4), Dzwigala (2), Vasilj (2)
  • Torschüsse: 23:9
  • Ecken: 2:2
  • Ballbesitz: 47:53 Prozent