Hamburg. Präsident des Kiezclubs bläst zum Angriff aufs nächste „Cluster“ und übt scharfe Kritik an „50 plus eins“ sowie der WM in Katar.
Sein Schlusswort lieh sich Oke Göttlich bei Thees Uhlmann. „Jürgen Klopp ist mit Mainz dreimal nicht aufgestiegen“, hatte der Sänger am Sonntag bei der Abschlussfeier von Fans und Mannschaft des FC St. Pauli gesagt – und der Präsident des Kiezvereins war beim Pressegespräch im Millerntor-Stadion am Freitagvormittag zu diesem Zeitpunkt längst bei den ganz großen Themen angekommen: Klopp, Katar, Kartellamt. Das überstrahlende K-Wort war jedoch ein anderes: Kommunikation.
Als Totschlagargument könne diese genutzt werden, weil sie von jedem anders empfunden werde. „Was für den einen klar, ehrlich und wertschätzend ist, empfinden manche Empfängerinnen und Empfänger anders“, so Göttlich. Es gehe darum, Resilienzen aufzubauen, hatte der 46-Jährige zu Beginn der Runde gesagt. Widerstandsfähigkeit, um Spannungen auch mal zu akzeptieren, andere Meinungen andere Meinungen sein zu lassen – Lebbe geht weiter.
FC St. Pauli: „Der Verein steht über jedem Einzelnen"
Sei es, wenn Trainer Timo Schultz und Sportchef Andreas Bornemann „mal in die Bütt steigen“, was dem Präsidenten lieb sei, oder sich Akteure, deren Verträge nicht verlängert werden, unzufrieden äußern: „Wenn Spieler gehen, weil wir nicht die Gesprächskultur haben, die sie sich wünschen, ist das eben so. Was uns sehr wichtig ist: Offene und ehrliche Kommunikation beinhaltet auch offenes und ehrliches Feedback, und das kann auch kritisch sein.“
Unter Bornemann sei eine Deutlichkeit in strategische Entscheidungen gekommen, die Göttlich zuvor in dieser Form nicht erlebt habe. Profisport ist Leistungssport, es zählt, wer gut und nicht gut genug ist. Wohlfühloase St. Pauli? Lang ist’s her. „Der Verein steht über jedem Einzelnen. Wenn wir nur noch über persönliche Befindlichkeiten sprechen, hat das nichts mit Profisport zu tun, und wir sollten nicht von der Bundesliga träumen“, verdeutlicht Göttlich.
Göttlich kann sich Transferdefizit vorstellen
Doch bei den Braun-Weißen wollen sie das: vom Aufstieg träumen. Oder besser gesagt: nicht mehr. Lieber den Aufstieg schaffen. Göttlich spricht von Clustern (dt. eine Menge), innerhalb derer man Clubs gruppieren kann. Momentan befinde sich St. Pauli im Cluster des oberen Drittels der Zweiten Liga. „Erlöse sind die einzige Möglichkeit, ins nächste finanzielle Cluster vorzurücken, um sportlichen Erfolg wahrscheinlicher zu machen“, sagt Göttlich. Hatte Bornemann schon betont, dass der Verein keine Transfererlöse erzielen müsse, aber sie gelegentlich gern mitnehme, so klingt das nach Ausverkauf. Und hier kommt wieder die Kommunikation ins Spiel.
„Damit baue ich aber keinen Druck in Richtung Andreas Bornemann auf. Im Gegenteil: Es kann sogar sein, dass wir mal ein Transferdefizit erwirtschaften, um den nächsten Schritt zu gehen“, betont Göttlich. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten dazu sind gegeben. Der oberste St. Paulianer berichtet von der erfolgreichsten Saison jemals in Bezug auf Merchandise-, Hospitality- und Sponsoringeinnahmen. Allein 30.000 Shirts der selbst produzierten DIIY-Bekleidungsmarke wurden verkauft – rund doppelt so viele wie zuvor bei Ex-Merchandisingpartner Under Armour.
Umgang mit Fans oft zweifelhaft
Hinzu kommt das gesteigerte Interesse an Spielern, die am Millerntor eine Entwicklung gemacht haben: „Bis in diese Transferperiode hinein haben wir häufig gehofft, dass Vereine Interesse an unseren Spielern haben. Dass nun andere Clubs Interesse an unseren Spielern zeigen, ist ein klares Signal unserer ausbaufähigen Weiterentwicklung.“ Seit Marcel Halstenberg 2015 war dies nicht mehr der Fall. Kostspieligere Transfers sind kein Tabu, wenngleich es die bevorzugte Variante bleibe, ablösefreie Talente mit Perspektive zu verpflichten: „Wir sind eine Adresse geworden, bei der junge Spieler sagen: In dieser Stadt mit diesem Trainer und diesen sportlichen Verantwortungsträgern kann meine Reise so richtig losgehen.“
Apropos Reise: Was Fans, explizit nicht nur die des FC St. Pauli, bei ihren Touren mitunter erleben, wirft bei Göttlich die Frage auf, wie lange es einigen Anhängern noch Spaß mache, den Volkssport Fußball zu besuchen. „Es ist beachtlich, mit welchen Maßnahmen bei Auswärtsspielen mit den Fans umgegangen wird, auch von staatlicher Seite. Ich finde es unerträglich, wenn alle Fans in Sippenhaft genommen werden“, sagt das Präsidiumsmitglied der Generalversammlung der Deutschen Fußball Liga (DFL) zu polizeilichen Maßnahmen rund um Fußballspiele.
Göttlich wünscht sich Präventionsarbeit
Von der DFL würde er sich mehr direkten Kontakt – Stichwort Kommunikation – zu den Fans sowie Präventionsarbeit wünschen. Auch zu Überlegungen, Spiele in Saudi-Arabien oder Drohneninterviews während Partien durchzuführen, die DFL-Chefin Donata Hopfen optional in den Raum gestellt hatte. Werde es mit ihm aber nicht geben, so Göttlich. Basta.
Es ist eines der Themen, über die Göttlich mit besonders viel Verve redet. Der Hamburger kann viel Information in quälend lange Schachtelsätze verpacken, oder aber platzierte Spitzen setzen, wenn er möchte. Und an diesem Tag möchte er. „Worüber können wir noch reden?“, fragt er in die Journalistenrunde und antwortet selbst: „50 plus eins.“
"Man muss auch mit den Systemsprengern sprechen"
Nach Auffassung des Bundeskartellamts kann diese Grundregel wegen der damit verfolgten sportpolitischen Ziele kartellrechtlich unbedenklich sein. Für problematisch hält das Amt hingegen, dass die einheitliche Anwendung der Regel nicht sichergestellt ist. Es sei ein Wettbewerbsnachteil von vereinsgeprägten und von den durch Investoren finanzierten Clubs aus Leipzig, Hoffenheim, Leverkusen und Wolfsburg festzustellen, der nach Möglichkeit angepasst werden sollte.
„Die Empfehlungen des Bundeskartellamts sollten zeitnah umgesetzt werden. Man muss auch mit den Systemsprengern sprechen, die die Spalter der Liga sind, da sie sich vom Vereinsfußball abgekehrt haben. Da muss jetzt mal ein bisschen Hackengas gegeben werden“, fordert Göttlich.
FC St. Pauli: Kritik an Weltmeisterschaft in Katar
An Richtlinien gelte es sich schließlich zu halten. Umso schlimmer, dass solche bei der Vergabe großer Turniere quasi nicht existieren. Wie sonst könne eine Weltmeisterschaft in Katar stattfinden? „Die Vergabe der WM ist an Eingeschränktheit nicht zu überbieten“, so Göttlich. Allerdings: „Ich verstehe aber jeden Spieler, dessen Lebenstraum eine WM-Teilnahme ist, der die WM nicht boykottiert.“ Bei St. Pauli könnte dies Jackson Irvine betreffen.
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Der Australier hat angekündigt, sich umfangreich über Land und Leute informieren und vor Ort seinen kleinen Anteil an einer Veränderung leisten zu wollen. Womit er genau den Ton seines Chefs trifft, der sagt: „Die LGBTQ-Rechte (LGBTQ ist die Abkürzung für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transgender, queere, intersexuelle und asexuelle Menschen, die Red.) in Katar sind völlig rückständig und eindeutig homophob.“ Es gibt dann noch ein weiteres K-Wort, das wie kaum ein zweites für Göttlich steht: Klartext.