Hamburg. Beim Nürnberg-Spiel suchen Besucher am Getränkestand in der Gegengerade vergeblich nach Bier – denn der ist erstmals alkoholfrei.

Mit „Fußball und Dosenbier“ besang einst Lotto King Karl im Volkspark die enge Verbindung von Deutschlands Sportart Nummer eins und dem beliebtesten alkoholischen Getränk im Land. Stadion und Bier, das scheint untrennbar zusammenzugehören, das war schon immer so. „Wir stehen Schlange vor dem Stadion“, heißt es in einem alten HSV-Schlager, „es riecht nach Bier und Sieg und nach Sensation.“

Die ständige und leichte Verfügbarkeit des Gerstensafts im Stadion ist jedoch ein großes Problem für Menschen, die trocken alkoholkrank sind und deshalb auf jeden Tropfen Alkohol verzichten (müssen). Die aber gleichzeitig große Fußballfans sind und gerne ihren Verein in der Arena unterstützen.

St.-Pauli-Fanclub will Alkoholkranke unterstützen

So ist es auch bei Michael Krause (61) und den rund 25 weiteren aktiven Mitgliedern des FC-St.-Pauli-Fanclubs „Weiß-braune Kaffeetrinker*innen“. Deshalb kommt es jetzt zu einer Premiere: Beim Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg (Fr, 18.30 Uhr) eröffnet der Fanclub in der Gegengerade einen alkoholfreien Getränkestand, das „Trockendock 1“. Angeblich ist das ein absolutes Novum in Deutschland. „Das ist ein ganz wichtiges Signal an alkoholkranke Menschen“, sagt Krause. „Es zeigt: Ihr werdet auch gesehen mit eurer Problematik. Und wir zeigen zudem: Fußball geht auch ohne Drogen.“

So wirbt der Fanclub für nicht alkoholische Getränke.
So wirbt der Fanclub für nicht alkoholische Getränke. © Michael Krause | Michael Krause

Der Stand ist auch aus anderen Gründen notwendig. Natürlich gibt es an den „normalen“ Getränkeständen im Stadion auch nicht alkoholische Getränke. Aber das Umfeld und die Verfügbarkeit von Bier dort kann eine Triggerwirkung haben. Krause: „Vor allem für Menschen, die sich erst kürzlich auf den Weg in ein alkoholfreies Leben gemacht haben, kann es gefährlich sein, wenn vor ihnen die halben Liter massenweise weggebracht werden, es nach Bier riecht.“

Kritik an Bierkonsum in Fußballstadien

Christiane Lieb, Geschäftsführerin der von der Sozialbehörde geförderten Initiative „Sucht.Hamburg“, sieht in der „Griffnähe von Alkohol auch außerhalb der Stadien“ ohnehin eine Gefahr. „Die Verbindung Biertrinken und Fußball verstärkt das aber noch. Im Stadion konsumieren die Besucher möglicherweise mehr Bier als normalerweise. Auch durch die mobilen Zapfanlagen auf den Rücken von Trägern wird der Zugang erleichtert.“ Durchschnittlich hatte bundesweit vor der Pandemie jeder Stadionbesucher in der Bundesliga rund 0,5 Liter Bier geschluckt.

Die ständige Präsenz in der Werbung im Fußballumfeld ist für Christiane Lieb zudem problematisch: „Auch dass sich die Spieler des FC Bayern regelmäßig nach Meisterschaften mit Bier übergießen, ist kein gutes Signal. Dass es angeblich alkoholfrei ist, sieht man ja nicht.“ Jugendliche und Heranwachsende lernen in Stadien, „dass Bierkonsum eine Norm zu sein scheint. Dann verhalte ich mich auch so“, sagt Lieb.

Anti-Alkohol-Projekt mit Hindernissen

„Alkohol steigert die Euphorie, aber auch die Risikobereitschaft, das kann zu Aggression und Gewalt führen“, weiß Lieb. Verhalten, das auch in Fußballstadien regelmäßig zu beobachten ist. Nach der letzten Erfassung 2015 lagen in Hamburg bei 27,9 Prozent der Männer und 14,9 Prozent der Frauen Hinweise auf einen klinisch relevanten Alkoholkonsum vor.

Zweieinhalb Jahre haben die „Weiß-braunen Kaffeetrinker“ für ihr Projekt gekämpft. Auf der Mitgliederversammlung des FC St. Pauli hatten sie 2019 zwei Anträge eingebracht: Der FC St. Pauli solle auf jegliche Werbung für Suchtmittel verzichten. Das hätte nach Ablauf der Verträge das Ende der lukrativen Werbepartner Astra, Jack Daniel’s und bwin bedeutet – Antrag abgelehnt.

Erfolgreiche Spendenaktion für das Projekt

Der zweite Antrag betraf die Einrichtung von vier alkoholfreien Getränkeständen. Das wollte der Verein prüfen – und hat ihn Mitte 2020 schließlich abgelehnt. „Mit der Begründung, die 10.000 Euro Zusatzkosten für die Betreibung wären vom Verein nicht aufzubringen“, erzählt Krause.

Doch so einfach wollten sich die „Weiß-braunen Kaffeetrinker“ nicht von ihrer Idee abbringen lassen und starteten eine Spendenaktion, um 2500 Euro für zunächst ein „Trockendock“ zusammenzubekommen. Glücklicherweise war auf der Gegengeraden ein Verkaufsstand frei. „Unser Stand ist keine Aktion des FC St. Pauli“, erklärt Krause, seit seinem Entzug 2010 dabei und seit fünf Jahren Sprecher des Fanclubs.

FC St. Pauli solle sich aktiv beteiligen

„Wir haben mit dem Cateringunternehmen alles direkt geklärt.“ Der Verein hat also nicht aktiv geholfen, er hat aber auch nichts verhindert. Krause reicht das aber noch nicht: „Das Ziel ist es, in jeder Tribüne einen Stand zu haben, und dass der Verein es doch noch als sein Projekt ansieht. Wir werden also weiter nerven.“