Hamburg. St. Paulis früherer Coach und Sportchef berichtet über sein Abenteuer und sagt, was er nun vom Duell am Sonnabend erwartet.

Helmut Schulte kommt viel herum in diesen Tagen. Als das Abendblatt ihn am Telefon erreicht, ist der frühere Trainer und Sportchef des FC St. Pauli gerade auf Dienstreise in Innsbruck, an diesem Sonnabendabend wird er beim Spiel des Schweizer Tabellenführers FC Zürich gegen den FC St. Gallen auf der Tribüne sitzen.

Schulte ist für den VfB Stuttgart als Betreuer und Beobachter der an andere Clubs verliehenen Spieler unterwegs, zu Hause ist der 64-Jährige aber weiter in Hamburg.

Vor dem Spiel in Zürich wird Schulte mit großem Interesse verfolgen, was sich am frühen Nachmittag im Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion zuträgt. Dort treffen mit der SG Dynamo Dresden und dem FC St. Pauli (13.30 Uhr, Sky und Liveticker abendblatt.de) schließlich zwei Clubs in der Zweiten Liga aufeinander, die in seiner eigenen Karriere ganz besondere Kapitel einnehmen.

FC St. Pauli: Schultes kurioses Dresden-Intermezzo

Dabei ist den meisten St.-Pauli-Anhängern natürlich bekannt, dass Schulte als bisher einziger Trainer des Kiezclubs der Bundesligaaufstieg (1988) und danach zweimal in Folge der Klassenverbleib gelang und er später gleich zweimal (1996 bis 1998 und 2008 bis 2012) als Sportchef am Millerntor tätig war. Seine Mission bei Dynamo Dresden hingegen ist längst nicht mehr jedem so präsent, auch wenn sie höchst intensiv, emotional und auch kurios war.

Helmut Schulte trainierte Dresden in der Saison 1991/92.
Helmut Schulte trainierte Dresden in der Saison 1991/92. © Tay DucLam / WITTERS

Das ging schon mit einem völlig unerwarteten Anruf im Frühsommer 1991 los. „Ich war im Februar bei St. Pauli entlassen worden, was mich nach den erfolgreichen Jahren sehr getroffen hatte. Plötzlich meldete sich ein gewisser Wolf-Rüdiger Ziegenbalg am Telefon, stellte sich als Präsident von Dynamo Dresden vor und bot mir den Trainerjob an“, erzählt Schulte.

Hintergrund war, dass die Dresdner die letzte Saison der DDR-Oberliga als Zweiter hinter Meister Hansa Rostock abgeschlossen hatten und damit einen Platz in der auf 20 Mannschaften aufgestockten Bundesliga bekamen. Ganz geheuer war dem damals 33 Jahre jungen Schulte die Sache nicht.

Dresden wollte einen Trainer aus dem Westen haben und holte Schulte

„Ich hatte ja nur wenig Ahnung vom DDR-Fußball. Dazu habe ich mich gewundert, warum sie nach der erfolgreichen Saison unter Reinhard Häfner einen neuen Trainer haben wollten“, erinnert er sich. Die plausible Erklärung bekam er dann von Präsident Ziegenbalg. „Man wollte bewusst einen Trainer aus dem Westen haben, der sich in der Bundesliga auskennt“, berichtet Schulte, der damals auch von einer Empfehlung durch Leverkusens Manager Reiner Calmund profitierte, wie er später erfuhr.

Natürliche Bodenständigkeit und trockener Humor

So ging Schulte also als erster Dynamo-Trainer in der gesamtdeutschen Bundesliga in die Dresdner Fußballhistorie ein, was sich als zwar kurzes, aber sportlich erfolgreiches Kapitel entpuppen sollte. „Es war Abenteuer pur“, sagt Schulte noch heute, einen vertrauten Co-Trainer hatte er nicht mit nach Sachsen genommen. „Heute würde man sagen, dass das naiv war“, gibt er zu.

Doch Schulte konnte mit seiner natürlichen Bodenständigkeit und seinem trockenen Humor punkten. „Zudem gab es sehr schnell ein gutes Vertrauensverhältnis zu den Topspielern wie Heiko Scholz, Torsten Gütschow, Ralf Hauptmann und Torwart René Müller“, erzählt er. Zu ihnen habe er heute noch Kontakt.

Schulte bleibt nur eine Saison in Dresden

Zunächst lief es sportlich nicht nach Wunsch. „Vor allem auswärts bekamen wir oft auf die Nuss. Das lag auch daran, dass die Mannschaft es gewohnt war, gegen die meist schwächeren Oberligateams offensiv zu spielen. Jetzt aber waren andere Prioritäten gefragt“, sagt Schulte, der sein Team nach und nach zu einer Kontermannschaft umfunktionieren konnte. Dies klappte ganz besonders gut, als Dynamo in der Rückrunde mit 2:1 beim FC Bayern im Olympiastadion gewann. Schulte muss noch heute schmunzeln, wenn er an den einen Satz denkt, der ihm auf der Pressekonferenz rausrutschte: „Der Sieg war für uns besonders wichtig, denn Punkte gegen direkte Konkurrenten im Kampf um den Klassenerhalt zählen doppelt.“

So ganz aus der Luft gegriffen war diese „Majestätsbeleidigung“ allerdings nicht. Am Ende schlossen die Bayern die Saison als Zehnter mit einer negativen Punktedifferenz (36:40) ab und hatten gerade einmal zwei Punkte mehr als Schultes Dynamo-Team auf Rang 14.

Trotz des Klassenverbleibs, der dem alten Rivalen Hansa Rostock nicht gelang, brach Schulte nach nur einer Saison seine Zelte in Dresden wieder ab. Auf der Abschlussreise nach Florida eröffnete er den Verantwortlichen und dem Team seinen Entschluss. Die finanzielle Schieflage hatte dubiose Geldgeber angelockt, die auch im sportlichen Bereich mitreden wollten. Hinzu kam bei Schulte das Gefühl, alles aus dem Team herausgeholt zu haben und nicht noch einmal einen solchen Kraftakt bewältigen zu können.

Werder Bremen ist für Schulte klarer Aufstiegsfavorit

Wenn er nun heute auf das Duell seiner beiden ersten Proficlubs schaut, erwartet Schulte ein offenes Spiel. „Beide sind für ihre jeweiligen Verhältnisse heimstark und auswärts relativ schwach. In der Rückrunde hat Dresden bisher erst vier Tore geschossen. Da riecht es gefährlich nach einem Unentschieden“, sagt er. Allerdings hat St. Pauli seine beiden jüngsten Auswärtsspiele – in Regensburg (3:2) und Ingolstadt (3:1) – gewonnen. „Ich habe schon vor der Saison gesagt, dass St. Pauli aufsteigen kann, wenn die Auswärtsschwäche behoben und die Zahl der Gegentore reduziert wird. Wenn man aber immer zwei Gegentore in einem Spiel bekommt, wird es schwer.“

Als einzig klaren Favoriten für den Aufstieg sieht Schulte inzwischen Werder Bremen. „Dahinter ist das Rennen total offen“, sagt er. Eines aber steht für ihn fest: „St. Pauli zuzuschauen macht doppelt und dreifach so viel Spaß wie Schalke.“ Dabei war Schulte auch lange bei den „Königsblauen“ tätig.

Dynamo Dresden: Mitryushkin – Akoto, Sollbauer, Knipping, Giorbelidze – Y. Stark – Batista Meier, Kade – M. Schröter, Königsdörffer – Daferner.

FC St. Pauli: Vasilj – Zander, Beifus, Medic, Paqarada – Irvine – Buchtmann, Hartel – Kyereh – Burgstaller, Makienok.