Hamburg. Knifflige Regelung für Dauerkartenkunden. Ein St.-Pauli-Profi berichtet über seine Erfahrungen mit einem Punktspiel ohne Zuschauer.
Schon am Mittwochmorgen ahnten die Verantwortlichen beim FC St. Pauli, was im Laufe des Tages auf sie zukommen würde, und stoppten kurzerhand den freien Verkauf der noch verfügbaren Tickets für die Heimspiele gegen Heidenheim, Aue und Regensburg. „Aufgrund aktueller Entwicklungen und der Ungewissheit, wie und wann zukünftige Spiele stattfinden, setzen wir den aktuellen Verkauf bis auf Weiteres aus“, ließ der Millerntor-Club verlauten.
Es war eine kluge Entscheidung, denn bereits am Vormittag sickerte durch, dass wegen der Ausbreitung des Coronavirus nun auch in Hamburg keine Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen mehr stattfinden dürfen. Diese Regelung wird zunächst bis zum 30. April befristet. Am Mittwoch kündigte die Hamburger Gesundheitsbehörde an, „in Kürze eine Allgemeinverfügung zum Umgang mit Großveranstaltungen“ zu erlassen. Dies wird nun für diesen Donnerstag erwartet.
An der Sachlage aber ändert diese Verzögerung nichts. Damit steht fest, dass bereits an diesem Sonntag (13.30 Uhr) St. Paulis Zweitligamatch gegen den 1. FC Nürnberg ohne Publikum im Millerntor-Stadion stattfinden wird. Betroffen von der Regelung sind mindestens auch die folgenden Heimspiele gegen den 1. FC Heidenheim (4. April) und Erzgebirge Aue (24. bis 27. April).
Drei Geisterspiele am Millerntor: Das müssen Ticketinhaber wissen
Das letzte Liga-Heimspiel der Saison am 10. Mai gegen Jahn Regensburg könnte wieder wie gewohnt vor vollen Rängen stattfinden, sofern sich die Lage bis dahin entscheidend entspannt haben sollte. Keineswegs auszuschließen ist allerdings weder eine Verlängerung der Maßnahmen noch eine komplette Verlegung von Spieltagen, wie es am Mittwoch der DFB für die Dritte Liga vollzog. Im schlimmsten Fall könnte die Deutsche Fußball Liga (DFL) auch einen vorzeitigen Saisonabbruch, wie er im deutschen Profi-Eishockey bereits vollzogen wurde, beschließen.
Inhaber von Einzelkarten für die „Geisterspiele“ des FC St. Pauli im Millerntor-Stadion bekommen den Kaufpreis erstattet. Dies sehen die Allgemeinen Ticket-Geschäftsbedingungen (ATGB) des Clubs vor.
Problematischer ist die Lage bei den rund 15.500 Dauerkarteninhabern. Für sie heißt es in den ATGB unter Punkt 5.6: „Eine anteilige Rückerstattung des Vertragspreises bei Dauerkarteninhabern ist jedoch ausgeschlossen, sofern der Inhaber der Dauerkarte in den letzten fünf Jahren vor der Veranstaltung nicht bereits von einem solchen Wegfall betroffen war.“ Dies bedeutet, dass eine Entschädigung zwar noch nicht für das Spiel gegen Nürnberg, aber für die weiteren „Geisterspiele“ zu zahlen ist.
Marvin Knoll hat bereits ein Geisterspiel erlebt
Mit konkreten Aussagen über das Prozedere von Rückerstattungen hielt sich der FC St. Pauli am Mittwoch noch zurück. „Wir warten eine offizielle Mitteilung der Behörde ab und sind auf alle Eventualitäten vorbereitet. Darüber hinaus haben wir unter anderem, wie alle anderen 35 Clubs, eine Spielausfallversicherung über die DFL abgeschlossen und werden Ansprüche im Falle eines Spiels unter Ausschluss von Zuschauern sehr genau prüfen“, sagte Bernd von Geldern, der Vertrieb-Geschäftsleiter.
Von St. Paulis Spielern hat Marvin Knoll bereits Erfahrungen mit einem „Geisterspiel“ gemacht. Vor acht Jahren, genau am 11. März 2012, traf er mit Dynamo Dresden unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf den FC Ingolstadt. Beim 0:0 in diesem Zweitligaspiel war der Mittelfeldspieler in der ersten Halbzeit auf dem Platz.
„Es ist wie bei einem Testspiel. Man hört einfach alles“, berichtet Knoll über seine Erfahrungen. „Deshalb muss man auch mit Bedacht wählen, was man sagt. Ich bin ja auch einer, der gern mal dem Schiedsrichter etwas hinterherbrüllt. Da muss ich mich zurückhalten, aber das werde ich hinbekommen. Es ist ja auch schön, dass mich auch alle hören, wenn ich mal schreie“, sagt er weiter.
Knoll: Wir müssen für die Fans vorm TV spielen
Knoll betont, „sehr gern vor unseren Fans am Millerntor zu spielen“. Er sieht aber auch ein: „Wir müssen das so hinnehmen, die Gesundheit geht vor.“ An der sportlichen Bedeutung des Spiels gegen Nürnberg ändert die Abwesenheit von Zuschauern allerdings nichts. St. Pauli könnte sich mit einem Sieg weiter Luft zu den Abstiegsplätzen verschaffen.
„Die Motivation muss von uns als Mannschaft kommen. Wir müssen uns im Spiel 90 Minuten selbst pushen“, sagt Kämpfertyp Knoll in dem Wissen, dass es von den Rängen sehr ruhig sein wird. „Wir wissen ja, dass das Spiel ausverkauft gewesen wäre. Unsere Fans werden ja trotzdem das Spiel im Fernsehen schauen, also müssen wir trotz allem für sie und auch für uns spielen.“
An seinem Mitwirken am „Geisterspiel“ am Sonntag gibt es seit Mittwoch weit weniger Zweifel als unmittelbar nach dem jüngsten Spiel in Sandhausen (2:2). Dort musste er mit einem Riss über dem rechten Auge ausgewechselt werden. Nach einem Schubser von hinten war er mit dem Kopf gegen den Rücken seines Mitspielers James Lawrence geprallt. Der Cut wurde später genäht, am Mittwoch absolvierte Knoll aber schon wieder die komplette Trainingseinheit.