Hamburg. Das Team des FC St. Pauli funktionierte die Kabine im Volksparkstadion zum Partytempel um und zog anschließend auf den Kiez weiter.

Den Höhepunkt der Feierlichkeiten gab es dort, wo der Verein zu Hause ist. Im Herzen von St. Pauli. Am späten Sonnabendabend grölten und tanzten die Spieler des FC St. Pauli gemeinsam mit rund 100 Fans vor der Tür des Stammitalieners Remo: „Die Nummer eins der Stadt sind wir“, sangen Profi und Anhänger, die mit Pyro-Untermalung ihren Helden auf offener Straße für das 2:0 gegen den HSV huldigten.

Anschließend ging die teaminterne Feier im Restaurant bei gutem Essen und dem einen oder anderen Kaltgetränk weiter. Wo die Party endete, ist nicht übermittelt. Dass Trainer Jos Luhukay von seiner ursprünglichen Idee, am Sonntag trainieren zu lassen („Ich halte nicht viel von Belohnungen“), abrückte, kam in der Mannschaft aber in jedem Fall gut an. „Da gibt es doch gar keine Alternative, oder? Heute wird es etwas länger gehen“, orakelte Kapitän Daniel Buballa bereits nach dem Spiel.

Otto Göttlich als Glücksbringer im Stadion

Den Startschuss für die braun-weißen Feierlichkeiten lieferte Schiedsrichter Manuel Gräfe um kurz vor 15 Uhr im Volksparkstadion mit seinem Schlusspfiff. Präsident Oke Göttlich, dessen Vater Otto als Glücksbringer im Stadion war, liefen die Freudentränen die Wangen hinunter, und die Spieler sprinteten vor die Gästekurve und zelebrierten den Moment, in dem der Kiezclub Geschichte schrieb.

Zum ersten Mal seit Einführung der Bundesliga 1963 konnte St. Pauli beide Derbys in einer Saison gegen den HSV gewinnen.

Östigard: "Das größte Spiel meiner Karriere"

"Viel geiler geht es nicht! Das wurde ja auch mal Zeit“, flachste Buballa. Und das musste für die Ewigkeit festgehalten werden. Abwehrchef Leo Östigard griff zum Handy und machte mit weit aufgerissenem Mund ein Selfie vor der Gästekurve.

"Das war das größte Spiel meiner Karriere. Ich bin so, so, so glücklich. Wir sind alle Helden heute. Als der Abpfiff ertönte, fühlten wir uns wie auf dem Gipfel der Welt“, jubelte der Norweger und begab sich in die Kabine, wo die erste Derby-Sieger-Party mit Eskalationsstufe zehn stieg.

Von Minute zu Minute, von Getränk zu Getränk wurden die Gesänge lauter und die Texte lustiger. Kabinen-DJ Christopher Buchtmann legte Ballermann-Songs wie „Radler ist kein Alkohol“ von Rick Arena featuring DJ Düse und Mia Julias Kultsong. „Wir sind die Geilsten olé“ auf. Besonders letztgenannter Song wurde – passend zur Gefühlslage aller St. Paulianer – besonders lautstark mitgesungen.

Mannschaftsfoto fürs Familienalbum nach dem Abpfiff in der Kabine des FC St. Pauli.
Mannschaftsfoto fürs Familienalbum nach dem Abpfiff in der Kabine des FC St. Pauli. © Twitter/FC St. Pauli

St. Pauli beendet gegen den HSV eine Horror-Serie

Für St. Pauli endete nach 357 Tagen die Horror-Auswärtsserie ausgerechnet im Wohnzimmer des ungeliebten Nachbarn. Das 2:0 war der erste Erfolg in der "Fremde“ seit dem 2. März 2019. Damals gab es einen 1:0-Sieg beim aktuellen Bundesligaschlusslicht SC Paderborn.

„Wir hatten in der Anfangsphase Glück“, gab Östigard offen zu. „Aber wir hatten einen guten Plan, wie wir es dem HSV schwer machen konnten. Dem Trainer gebührt ein großes Lob dafür. Für solche Spiele bin ich Fußballprofi geworden“, sagte der Abwehrspieler.

Wie einst Benedikt Pliquett: Abwehrspieler Leo Östigard tritt voller Adrenalin die Eckfahne im Volksparkstadion weg. Der Norweger überragte mal wieder beim FC St. Pauli.
Wie einst Benedikt Pliquett: Abwehrspieler Leo Östigard tritt voller Adrenalin die Eckfahne im Volksparkstadion weg. Der Norweger überragte mal wieder beim FC St. Pauli. © Witters

Luhukays Umstellungen fruchten

In der Tat hatte Luhukay mit seiner taktischen Vorgabe großen Anteil am ersten Auswärtssieg seiner Amtszeit beim Stadtteilclub. Die Fünferkette machte es dem spielstarken HSV nach anfänglichen Problemen schwer, Lösungen zu finden. Auch der Schachzug mit Dimitrios Diamantakos als zweite Spitze neben dem Torschützen zum 1:0 Henk Veerman, ging komplett auf.

Das Sturmduo sorgte immer wieder mit starkem Anlaufen dafür, dass die HSV-Innenverteidiger Timo Letschert und Rick van Drongelen kaum kontrollierten Spielaufbau betreiben konnten. Dazu trug auch die frühe personelle Änderung bei, den etwas indisponierten Finn Ole Becker durch den robusten und kampfstarken Marvin Knoll zu ersetzen.

Mit Fortdauer des Spiels hatten die Kiezkicker die Partie gegen den Favoriten mehr und mehr unter Kontrolle. „Die Chancen auf der Gegenseite waren sehr gut, aber wir hatten eine Effektivität, die wir ganz selten in dieser Saison auf den Platz bringen konnten. Die Mannschaft hat unglaublich viel investiert, um das 2:0 zu halten“, lobte der Niederländer.

FC St. Pauli gewinnt das Derby beim HSV:

FC St. Pauli gewinnt das Derby beim HSV

Gideon Jung, Henk Veerman, Torwart Robin Himmelmann (St. Pauli), Martin Harnik (HSV), Leo Oestigard, Daniel Buballa, Matt Penney
Gideon Jung, Henk Veerman, Torwart Robin Himmelmann (St. Pauli), Martin Harnik (HSV), Leo Oestigard, Daniel Buballa, Matt Penney © WITTERS | ValeriaWitters
St. Paulis Fans feiern den Sieg ihrer Mannschaft und zünden Pyrotechnik.
St. Paulis Fans feiern den Sieg ihrer Mannschaft und zünden Pyrotechnik. © dpa | Christian Charisius
Sonny Kittel am Boden.
Sonny Kittel am Boden. © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Wie schon im Hinrundenspiel durfte der FC St. Pauli auch beim HSV über einen 2:0-Sieg jubeln.
Wie schon im Hinrundenspiel durfte der FC St. Pauli auch beim HSV über einen 2:0-Sieg jubeln. © WITTERS | ValeriaWitters
St.-Pauli-Stürmer Henk Veerman schockte die HSV-Fans mit seinem siebten Saisontor zum 0:1 (20. Minute).
St.-Pauli-Stürmer Henk Veerman schockte die HSV-Fans mit seinem siebten Saisontor zum 0:1 (20. Minute). © WITTERS | ValeriaWitters
Pyro im Stadion
Pyro im Stadion © Bongarts/Getty Images | Selim Sudheimer
HSV-Torwart Daniel Heuer Fernandes (l.) und Kapitän Aaron Hunt können nur noch zusehen, wie der Abschluss des Niederländers im Netz landet.
HSV-Torwart Daniel Heuer Fernandes (l.) und Kapitän Aaron Hunt können nur noch zusehen, wie der Abschluss des Niederländers im Netz landet. © WITTERS | LeonieHorky
Der HSV hatte zuvor einige gute Chancen auf den Führungstreffer nicht genutzt. Sonny Kittel (l.) traf beispielsweise nur die Latte.
Der HSV hatte zuvor einige gute Chancen auf den Führungstreffer nicht genutzt. Sonny Kittel (l.) traf beispielsweise nur die Latte. © Bongarts/Getty Images | Selim Sudheimer
Stattdessen erhöhte Matt Penney mit seinem Premierentreffer für den Kiezclub auf 0:2 (29.).
Stattdessen erhöhte Matt Penney mit seinem Premierentreffer für den Kiezclub auf 0:2 (29.). © WITTERS | ValeriaWitters
St.-Pauli-Verteidiger Leo Östigard zeigte sich beim Jubel geschichtsbewusst: Wie einst die Torhüter Benedikt Pliquett (St. Pauli) und Tom Mickel ließ er seine Freude über Penneys Tor an der Eckfahne aus.
St.-Pauli-Verteidiger Leo Östigard zeigte sich beim Jubel geschichtsbewusst: Wie einst die Torhüter Benedikt Pliquett (St. Pauli) und Tom Mickel ließ er seine Freude über Penneys Tor an der Eckfahne aus. © WITTERS | ValeriaWitters
Schall und Rauch: HSV-Fans beim Derby.
Schall und Rauch: HSV-Fans beim Derby. © Bongarts/Getty Images | Selim Sudheimer
Es hätte sogar noch schlimmer für den HSV kommen können, doch Rico Benatelli (M.) jubelte vergebens mit Waldemar Sobota (l.) und Marvin Knoll über sein vermeintliches 0:3. Der Treffer wurde aberkannt.
Es hätte sogar noch schlimmer für den HSV kommen können, doch Rico Benatelli (M.) jubelte vergebens mit Waldemar Sobota (l.) und Marvin Knoll über sein vermeintliches 0:3. Der Treffer wurde aberkannt. © dpa | Daniel Bockwoldt
St. Paulis Ryo Miyaichi (l.) lieferte sich mit Tim Leibold vom HSV ein Laufduell auf der Außenbahn.
St. Paulis Ryo Miyaichi (l.) lieferte sich mit Tim Leibold vom HSV ein Laufduell auf der Außenbahn. © WITTERS | ValeriaWitters
HSV-Verteidiger Timo Letschert (r.) erlebt im Zweikampf mit Rico Benatelli eine Bruchlandung.
HSV-Verteidiger Timo Letschert (r.) erlebt im Zweikampf mit Rico Benatelli eine Bruchlandung. © WITTERS | ValeriaWitters
Das Derby im Derby: HSV-Verteidiger Timo Letschert (l.) und St.-Pauli-Stürmer Henk Veerman wuchsen nur zehn Kilometer voneinander entfernt auf.
Das Derby im Derby: HSV-Verteidiger Timo Letschert (l.) und St.-Pauli-Stürmer Henk Veerman wuchsen nur zehn Kilometer voneinander entfernt auf. © WITTERS | TayDucLam
Sonny Kittel (l.) vom HSV versucht St. Paulis Leo Östigard zu halten.
Sonny Kittel (l.) vom HSV versucht St. Paulis Leo Östigard zu halten. © WITTERS | LeonieHorky
HSV-Stürmer Bakery Jatta (l., mit Rico Benatelli) hatte gegen St. Pauli einen schweren Stand.
HSV-Stürmer Bakery Jatta (l., mit Rico Benatelli) hatte gegen St. Pauli einen schweren Stand. © WITTERS | LeonieHorky
St.-Pauli-Torwart Robin Himmelmann (u.) rettet gegen HSV-Stürmer Bakery Jatta.
St.-Pauli-Torwart Robin Himmelmann (u.) rettet gegen HSV-Stürmer Bakery Jatta. © Bongarts/Getty Images | Selim Sudheimer
HSV-Kapitän Aaron Hunt (M.) rückte beim Derby gegen St. Pauli in die Startelf.
HSV-Kapitän Aaron Hunt (M.) rückte beim Derby gegen St. Pauli in die Startelf. © Witters
Nichts Neues auf den Rängen: Die HSV-Fans zündelten ebenso …
Nichts Neues auf den Rängen: Die HSV-Fans zündelten ebenso … © Bongarts/Getty Images | Selim Sudheimer
… wie die Anhänger des FC St. Pauli. Das dürfte für beide wieder teuer werden.
… wie die Anhänger des FC St. Pauli. Das dürfte für beide wieder teuer werden. © WITTERS | LeonieHorky
Polizei vor dem Volksparkstadion.
Polizei vor dem Volksparkstadion. © WITTERS | TayDucLam
Anders als beim vorangegangenen Heimspiel gegen Karlsruhe hatte der HSV diesmal keine eigene Pyrotechnik gezündet.
Anders als beim vorangegangenen Heimspiel gegen Karlsruhe hatte der HSV diesmal keine eigene Pyrotechnik gezündet. © WITTERS | LeonieHorky
Für Ärger sorgten vor dem Spiel St.-Pauli-Ultras, die den HSV-Block stürmen wollten. Sie kamen aber nicht weit.
Für Ärger sorgten vor dem Spiel St.-Pauli-Ultras, die den HSV-Block stürmen wollten. Sie kamen aber nicht weit. © WITTERS | ValeriaWitters
Vor dem Volksparkstadion trennte die Polizei die rivalisierenden Fans strikt voneinander.
Vor dem Volksparkstadion trennte die Polizei die rivalisierenden Fans strikt voneinander. © WITTERS | TayDucLam
1800 St.-Pauli-Anhänger waren am Vormittag geschlossen vom Millerntor-Stadion über die Landungsbrücken zum Volksparkstadion marschiert.
1800 St.-Pauli-Anhänger waren am Vormittag geschlossen vom Millerntor-Stadion über die Landungsbrücken zum Volksparkstadion marschiert. © dpa
Der Tross der St.-Pauli-Fans auf dem Weg zum Volksparkstadion.
Der Tross der St.-Pauli-Fans auf dem Weg zum Volksparkstadion. © dpa
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Derbyheld Penney verspürt Genugtuung

Viel Geduld hatte Luhukay in Matt Penney investiert. Der spätestens nach dem folgenschweren Patzer beim 1:1 gegen Stuttgart schwer in die Kritik geratene Engländer, der von Sheffield Wednesday ausgeliehen ist, wurde von Fans und Experten als Schwachpunkt im Derby auserkoren und strafte alle Kritiker lügen. Mit seinem fulminanten Weitschuss zum 2:0 wird er auf ewig als Derbyheld einen Platz in der Geschichte des Kiezclubs innehaben.

„In so einem Spiel mein erstes Tor für den FC St. Pauli zu erzielen, ist einfach überwältigend“, sagte der 22-Jährige, der keinen Hehl daraus machte, eine gewisse Genugtuung zu verspüren. Bei Instagram postete er ein Jubelfoto mit den Worten "One for the haters“. Eine Botschaft an die vielen Zweifler und Kritiker des Verteidigers.

"Die letzten Wochen waren nicht leicht für mich. Der Trainer hat mir immer gesagt, dass ich weiter mein Bestes geben und weiter hart arbeiten soll. Das habe ich getan. Ich bin überglücklich, heute gespielt, getroffen und mit dem Team dieses wichtige Spiel gewonnen zu haben.“ Und somit den Startschuss für eine Party gelegt zu haben, die Fans und Spielern noch lange in Erinnerung blieben wird.