Stuttgart. Beim 1:2 in Stuttgart zeigt der Kiezclub lange eine unerwartet starke Leistung, geht am Ende aber leer aus. Das war nicht nur Pech.

Marvin Knoll brachte es auf den Punkt. „Wie wir mit unseren Torchancen umgegangen sind, war katastrophal“, sagte der Abwehrchef des FC St. Pauli nach der 1:2-Niederlage beim VfB Stuttgart. „Wir stehen hier mit null Punkten, dabei kann das nach diesem Spiel gar nicht sein. So viele Torchancen, wie wir sie heute hier hatten, werden wir in Stuttgart nie wieder bekommen. Jetzt heißt es wieder, dass wir ein gutes Spiel gezeigt haben. Aber das interessiert mich nicht. Wir müssen von hier etwas mitnehmen. Es tut unheimlich weh“, sagte Knoll weiter und fasste damit das Match treffend zusammen.

Während St. Paulis Trainer Jos Luhukay seine Mannschaft für ihr „richtig gutes Spiel“ lobte und befand, die Niederlage „nicht verdient“ zu haben, war es wohltuend, wie selbstkritisch Knoll und auch Mats Möller Daehli das Geschehen in Stuttgart bewerteten. „Wie schon in Bielefeld haben wir ein Standardtor zum Ausgleich kassiert. Das ist nicht gut“, sagte der Norweger, der seine Mannschaft in der 18. Minute nach einer spektakulären Vorarbeit des 19 Jahre alten Offensivtalents Christian Conteh mit einem gezielten Flachschuss verdient mit 1:0 in Führung gebracht hatte.

Wie in der Schlussphase beim Saisoneröffnungsspiel in Bielefeld war es jetzt wieder ein gegnerischer Eckball, der zum 1:1-Ausgleich führte – diesmal schon in der 60. Minute. Dass jetzt in Stuttgart eine halbe Stunde später noch der Siegtreffer durch den eingewechselten argentinischen U-23-Nationalspieler und Goldmedaillengewinner der Panamerikanischen Spiele, Nicolás González fiel, war für St. Pauli bitter, aber angesichts nachlassender Kräfte auch absehbar.

Möller Daehli Sinnbild des Einbruchs

Das auffällig und überraschend starke Spiel des FC St. Pauli in den ersten rund 60 Minuten war nur mit einem erheblichen läuferischen Einsatz, einer hohen Zahl an Sprints und einer permanenten Konzentration möglich. Ähnlich wie beim Spiel in Bielefeld (1:1) zu Saisonbeginn waren die St. Paulianer nahezu kollektiv nicht in der Lage, dieses hohe Niveau bis zum Ende aufrechtzuerhalten. Luhukay berichtete kürzlich bereits, dass sein Team pro Spiel inzwischen rund zehn Kilometer mehr läuft als zu Beginn seiner Amtszeit im April. In Stuttgart waren es jetzt 116,21 Kilometer und damit allerdings drei Kilometer weniger als VfB, dessen Spieler zum Ende deutlich dynamischer wirkten.

Einer der fleißigsten Läufer im St.-Pauli-Team war wieder einmal Mats Möller Daehli, über den praktisch jeder Angriff lief, solange er auf dem Platz stand. Als der Norweger schon in der 64. Minute gegen Christopher Buchtmann ausgewechselt wurde, hatte er 8,43 Kilometer zu Buche stehen. Hochgerechnet auf die gesamte Partie inklusive Nachspielzeit wäre er auf knapp mehr als zwölf Kilometer gekommen – ein starker Wert. Möller Daehli gehört aber zu einer Reihe von Spielern im St.-Pauli-Team, die nicht über die vollen 90 Minuten ihr Pensum durchhalten können, was aber notwendig ist, damit das von Luhukay einstudierte und eingeforderte Spielkonzept auch zu Erfolgen führen kann.

Möller Daehli selbst empfand seine Auswechslung in Stuttgart allerdings als ein wenig zu früh. „Ich habe mich auf dem Platz gut gefühlt, konnte aber meinem Gegenspieler Marc-Oliver Kempf ein-, zweimal nicht folgen. Der Trainer hat mich ausgewechselt“, sagte er und stellte damit klar, dass er nicht etwa um einen Wechsel gebeten hatte.

Luhukay kritisiert Möller Daehli

Luhukay verband seine Begründung, warum er Möller Daehli relativ früh vom Feld nahm, mit einer deutlichen Kritik an ihm. „Er kann das zweite Tor selbst machen, er kann das zweite Tor besser vorbereiten, und ich glaube, dass er beim Umschalten nicht immer konsequent genug war. Außerdem reicht seine Energie nur bis zur 60. Minute und wird dann immer weniger“, sagte er. Tatsächlich hatte Möller Daehli nur sieben Minuten nach seinem Führungstreffer eine sehr aussichtsreiche Chance zum 2:0, schoss aber rechts vorbei. Zudem spielte er bei einem vielversprechenden Konter (50.) Stürmer Dimitrios Diamantakos so unpräzise an, dass die Aktion verpuffte.

„Wir hätten das zweite, dritte und vielleicht auch vierte Tor machen müssen gegen die beste Mannschaft der Liga“, sagte Luhukay auch angesichts der beschriebenen und noch weiterer Möglichkeiten gegen lange einfallslose Stuttgarter. Auch beim 1:1 in Bielefeld und beim 1:3 gegen Fürth war die schwache Chancenverwertung ein wichtiger Grund für verlorene Punkte. Luhukay sprach von fünf Zählern, die sein Team mehr haben könnte.

Die hat es nun aber einmal nicht, weil die mangelnde Effizienz in der Offensive, die zeitweise Unaufmerksamkeit in der Abwehr und das fehlende Durchhaltevermögen Schwächen sind, die in der Summe zwangsläufig Punkte kosten. Hinzu kommt, dass es Sportchef Andreas Bornemann trotz dringenden Bedarfs auch nach drei absolvierten Spieltagen noch immer nicht geschafft hat, zumindest auf den beiden wichtigsten Positionen – im Sturm und auf der „Sechs“ – echte Verstärkungen zu verpflichten.

Diese Gemengelage hat nun dazu geführt, dass der FC St. Pauli auf einen direkten Abstiegsplatz gestürzt ist und vor dem kommenden Heimspiel gegen den gerade rechtzeitig wiedererstarkten Nordrivalen Holstein Kiel unter erheblichem Druck steht. Da kann Trainer Luhukay noch so oft beklagen, dass Fußball ein Ergebnissport sei. Am Ende entscheiden eben nur Ergebnisse und damit Punkte über Abstieg und Klassenverbleib. Um irgendetwas anderes geht es im Moment bei St. Pauli nicht.