Hamburg. St. Paulis neuer Coach beweist, dass nur 27 Prozent Ballbesitz zum Erfolg führen können. Neuzugang Diamantakos wohl im Kader.

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – selten zuvor war diese gern gebrauchte Fußball-Weisheit so treffend wie jetzt für den FC St. Pauli. Nur 63 Stunden nach dem Abpfiff des mit 3:1 gewonnen Matches bei Dynamo Dresden muss das Team an diesem Sonntag (13.30 Uhr, Sky und Liveticker bei abendblatt.de) im voraussichtlich wieder ausverkauften Millerntorstadion gegen Darmstadt 98 antreten. Schon vor der Bahnfahrt zurück nach Hamburg absolvierten die Spieler in Dresden ein Regenerationstraining im Park. Dennoch befürchtet St. Paulis Trainer Markus Kauczinski: „Wir werden am Anfang wohl etwas müder als die Darmstädter sein. Aber das müssen wir rauslaufen. Vieles ist auch Kopfsache.“

In diesem letzten Punkt dürften die St. Paulianer einen kleinen Vorteil besitzen. Der Sieg in Dresden hat das Selbstvertrauen der Spieler gestärkt. „Es ist gut, dass es jetzt schnell weitergeht und wir den Schwung mitnehmen können“, sagte etwa Torschütze Richard Neudecker und gab damit die Stimmungslage seiner Kollegen durchaus wieder.

Kauczinski konterkariert Janßens Taktik

Der Auswärtssieg in Dresden war abgesehen von den individuellen Glanzmomenten des doppelten Torschützen Waldemar Sobota vor allem auch ein Erfolg des Spielsystems. „Wir haben gar nicht erst versucht, mit dem Spiel der Dresdner mitzuhalten. Stattdessen wollten wir Kampf zeigen und zum Kontern kommen. Der Plan ist aufgegangen, auch wenn wir manchen Konter noch besser hätten ausspielen können“, sagte Abwehrchef Lasse Sobiech und brachte damit den entscheidenden Unterschied zur angestrebten Taktik des im Dezember beurlaubten Trainers Olaf Janßen auf den Punkt. Hatte Janßen noch den Plan verfolgt, sein Team zu einer Ballbesitzmannschaft zu entwickeln, gibt Nachfolger Markus Kauczinski jetzt die gegenteilige Spielstrategie aus.

So war St. Pauli in der Rückrunde der vergangenen Saison zum Rekord von 34 Punkten gekommen. Vor allem aber fühlen sich die Spieler in der Rolle einer Kontermannschaft sehr viel wohler, als wenn sie versuchen müssen, aus einer langen Ballbesitzphase heraus einen gut formierten Gegner auf engem Raum auszuspielen.

Zugegebenermaßen war es jetzt in Dresden relativ leicht, diese Taktik durchzusetzen, weil das spielerisch starke Dynamo-Team gewohnt ist, dominant aufzutreten. Am Ende nutzten den Dresdnern aber weder die Ballbesitzquote von 73:27 Prozent noch das Eckenverhältnis von 14:2 etwas.

Heimspiel als neue Herausforderung

Schon an diesem Sonntag dürfte es für die St. Paulianer im Heimspiel gegen Bundesligaabsteiger Darmstadt 98 erheblich schwerer werden, das eigene Umschaltspiel so wie in Dresden durchzusetzen. Die mit etlichen erfahrenen Spielern durchsetzten Südhessen sind selbst eher ein Team mit einer solchen taktischen Ausrichtung. „Es wird ein anderes Spiel. Wir werden uns darauf aber auch sehr gut einstellen“, sagte Kauczinski und kündigte für diesen Sonnabend eine ausgiebige Videoanalyse des Gegners an. Entscheidend wird am Ende sein, welche Mannschaft sich mehr zu einer ungewollt offensiven Spielweise verleiten lässt und damit die Defensive vernachlässigt.

Schon im Hinspiel in Darmstadt überließ der Gastgeber den St. Paulianern weitgehend den Ballbesitz (67 Prozent). Die Folge war, dass die Hamburger optisch überlegen waren, aber am Ende 0:3 verloren hatten.

Es ist bezeichnend, dass St. Pauli jetzt in Dresden trotz der konzentrierten Defensivarbeit so viele Tore erzielte wie noch in keinem Spiel zuvor in dieser Saison. Auch schon in den beiden Partien zuvor unter Trainer Markus Kauczinski waren jeweils zwei Tore gelungen. Sieben Tore in drei Spielen – diese Quote steht im krassen Gegensatz zur Torarmut in den ersten 16 Saisonspielen, als insgesamt nur 14 Treffer gelangen.

In Dresden trug jetzt Waldemar Sobota entscheidend zum Sieg bei, weil er an allen drei Toren direkt beteiligt war. Mit nunmehr vier Treffern hat der offensive Außenbahnspieler mit dem verletzten Christopher Buchtmann als besten teaminternen Torschützen gleichgezogen. Drei seiner Tore erzielte Sobota in den bisherigen drei Spielen unter Kauczinski. „Im Trainingslager habe ich bereits an meinem Torschuss gefeilt. Offenbar hat es sich gelohnt. Vor dem Spiel habe ich mir vorgenommen, nicht lange zu fackeln, sondern gleich draufzuhalten“, berichtete der Pole, dessen Vertrag am Saisonende ausläuft.

Neuzugang Diamantakos könnte im Kader stehen

Es spricht für seinen Charakter, dass er sein bisher erfolgreichstes Spiel für St. Pauli mit zwei Treffern und einer Torvorlage voller Bescheidenheit kommentierte: „Doch ganz wichtig ist, dass es immer nur um das Team geht. Heute habe ich getroffen, nächste Woche ist es dann ein anderer von uns.“

Dies könnte auf den am Donnerstag für weniger als 200.000 Euro verpflichteten Stürmer Dimitrios Diamantakos zutreffen, der mit dem linken Fuß hart und gezielt schießen kann. Der 24-Jährige könnte bereits am Sonntag gegen Darmstadt in Kader stehen. „Mir gefällt der Gedanke, ihn als frischen Mann in der Schlussphase einzuwechseln“, sagte Kauczinski.

Zunächst aber will der Trainer abwarten, wie sich sein Neuzugang im Abschlusstraining am Sonnabend an der Kollaustraße präsentiert.