Hamburg. Klare Worte bei der Podiumsdiskussion der DFB-Kulturstiftung im Millerntor-Stadion des FC St. Pauli.
„Wenn in der Tagesschau die Meldung über den Vereinswechsel eines Fußballers an erster Stele kommt, frage auch ich mich, ob wir nicht wichtigere Probleme haben.“ Diesen Satz sagte jetzt immerhin einer der führenden Funktionäre des deutschen Fußballs, genauer gesagt Eugen Gehlenborg, DFB-Vizepräsident für Sozial- und Gesellschaftspolitik. Gehlenborg war einer der vier Teilnehmer der Podiumsdiskussion mit dem Titel „Fußballkultur vs. Kommerzialisierung – Die schwierige Balance zwischen Breitensport, Bildungsfeld und Big Business“, die im Rahmen der zweitägigen Tagung der DFB-Kulturstiftung im Millerntor-Stadion des FC St. Pauli stattfand.
Das Podium war vielversprechend besetzt, die Protagonisten wurden denn auch den Erwartungen mit einigen deutlichen, bisweilen auch provokanten Aussagen und Thesen gerecht. Neben Gehlenborg diskutierten die Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Die Grünen), Katja Kraus, Geschäftsführerin von Jung von Matt/Sports und früher Fußball-Nationaltorhüterin sowie später Vorstandsmitglied des HSV, und St. Paulis Präsident Oke Göttlich.
„Auftauchen von Merkel in der Kabine etwas befremdlich“
Dabei provozierte Katja Kraus denn auch gleich Oke Göttlich. „Beim FC St. Pauli steckt hinter der eigenen Positionierung ein kommerzielles Interesse“, behauptete sie und spielte auf das vom Kiezclub gepflegte Image an, innerhalb des Profifußballs besonders sozial engagiert, fanorientiert und politisch zu sein.
Das konnte Göttlich so nicht stehen lassen und erklärte: „Wir sind kommerziell interessiert, weil wir bestmöglich Fußball spielen wollen, umso unsere Projekte öffentlich machen zu können. Wirtschaftlich erfolgreich sind wir ohnehin schon.“
Unterdessen nahm Claudia Roth die Neigung von Politikern, die Nähe zum Fußball zu suchen, kritisch unter die Lupe. „Man muss aufpassen, dass man den Fußball nicht nur benutzt, um sich selbst gut zu präsentieren“, sagte sie, nahm dabei aber Bundeskanzlerin Angela Merkel in Schutz. „Sie ist wirklich ein Fußballfan.“
Allerdings sei das Auftauchen Merkels in der Kabine der deutschen Mannschaft nach einem großen Sieg, begleitet von einer Kamera, dann doch etwas befremdlich. Sie selbst, berichtete Roth, gehe regelmäßig zu den Spielen des FC Augsburg, „aber auf einen ganz normalen Platz und nicht in den Businessbereich“.
Nur Männer in den Vorständen der deutschen Proficlubs
Eine große Enttäuschung sei für sie unterdessen, wie die „große Begeisterung“ für den Frauen-Fußball anlässlich der WM 2011 in Deutschland inzwischen wieder nachgelassen habe, und machte dafür indirekt auch den Verband verantwortlich. „Eine Frauenquote würde dem DFB guttun“, sagte sie. Auch die großen internationalen Sportorganisationen ließ Roth nicht aus. „Ich kann nicht verstehen, dass man Fußball-Weltmeisterschaften nach Russland und besonders nach Katar vergibt. Unmöglich war für mich, dass IOC-Präsident Thomas Bach bei den Olympischen Spielen mit Wladimir Putin champagnertrinkend auf der Tribüne sitzt“, sagte sie.
Zum Thema Frauen im Fußball kritisierte Katja Kraus, dass derzeit nur Männer in den Vorständen der deutschen Proficlubs vertreten seien. „Frauen brauchen die Clubs scheinbar nur, um Häppchen zu reichen“, sagte sie. Das war eine Vorlage für Oke Göttlich. „Ich freue mich sehr, eine Chefin zu haben“, sagte er und meinte St. Paulis Aufsichtsratsvorsitzende Sandra Schwedler, die ganz zufällig kurz zuvor den Raum betreten hatte.
„Eine hysterische Debatte, die nur panikorientiert ist“
Am Ende wünschte sich der in St. Paulis Fanszene verwurzelte Oke Göttlich, dass sich künftig die DFB-Kulturstiftung des Themas Fankultur annehmen möge. „Beim DFB wird darüber an den falschen Orten diskutiert. Es ist eine hysterische Debatte, die nur panikorientiert ist“, sagte er und dachte dabei an die Diskussionen um Gewalt in den Stadien und vor allem auf den Anreisewegen sowie wie das rechtswidrige Abbrennen von Pyrotechnik in den Fanblocks.
Der FC St. Pauli tritt an diesem Sonnabend in Ahlerstedt (Sportanlage Am Auetal) gegen den Drittligisten Sportfreunde Lotte an. Das Testspiel beginnt um 15.30 Uhr und ist auf zweimal 60 Minuten angesetzt. St. Paulis Trainer Olaf Janßen plant, pro Halbzeit zwei komplett unterschiedliche Besetzungen einzusetzen, damit alle Akteure genügend Spielzeit erhalten. „Wir haben uns bewusst für ambitionierte Gegner in der Vorbereitung entschieden, ein 20:0 bringt uns gar nichts“, sagte Janßen. Unterdessen hat St. Pauli das 18 Jahre alte Talent Luis Coordes mit einem Profivertrag ausgestattet.