Hamburg. Der FC St. Pauli feiert im letzten Heimspiel seinen Klassenerhalt. Die Zukunft von Trainer Lienen und Kapitän Gonther bleibt ungeklärt.

Am Ende hatte nicht mal Vicky Leandros eine Chance. „Du weißt, ich liebe das Leben“, schallte es in voller Lautstärke aus den Stadionlautsprechern, als die komplette St.-Pauli-Mannschaft plus Trainer plus Betreuer plus Funktionsteam vor der Südtribüne Heimspielabschied von ihren Fans nahm. Aber die, die lassen sich nichts vorsingen: „Die ganz Kurve singt und tanzt für dich, unser Ein und Alles, ja wir lieben dich“, stimmten sie an – und setzten sich durch.

20 Minuten nach dem Abpfiff war das, und das Millerntor-Stadion fast noch vollständig gefüllt. Das 1:1 gegen die SpVgg Greuther Fürth – geschenkt. Zu feiern gab es einen Klassenerhalt und eine phänomenale Rückrunde mit jetzt bereits 31 Punkten. Clubrekord eingestellt. „Bei uns war die Spannung natürlich nicht mehr die gleiche wie in den Spielen vorher, das konnte auch gar nicht sein“, sagte Trainer Ewald Lienen, „insgesamt habe ich selten eine solche Leistung von einer Mannschaft gesehen. Sie hat alles für den Klassenerhalt reingeworfen und ist zum Teil über die Schmerzgrenze gegangen.“

Lienens emotionaler Dank an die St.-Pauli-Fans:

Auch die Anhänger haben es so gesehen und konnten es richtig einordnen. „Klassenkampf“ stand vor der Partie auf einer Choreografie der Südtribüne zu lesen, aber die Schrift veränderte sich beim Einlaufen zu „Klasse Kampf!“ Partystimmung überall. Feiern auf den Rängen und nach der Partie bis in die Nacht in der Schanze mit Bier und Bands und 1000 Litern Freibier. Vor dem Anpfiff wurde der seit 31 Jahren tätige Stadionsprecher Rainer Wulff (74) ebenso verabschiedet wie die Leihspieler Lennart Thy und Mats Møller Dæhli. „Auf der Tribüne war mehr Party als auf dem Feld!“, sagte Daniel Buballa, „eigentlich soll es ja umgekehrt sein. Aber man hat gesehen, dass die letzten Wochen viel Kraft gekostet hatten.“

So sorgte auf dem Rasen ein Flitzer für die größte Aufregung, der in der 90. Minute auf Torwart Philipp Heerwagen zurannte – und von diesem herzlich geknuddelt wurde. Danach lief er weiter vor die Südtribüne und beendete seinen Ausflug mit einer Jubelrutschbewegung auf den Knien. Dann erst kamen die Ordner. Auch sie irgendwie nicht voll bei der Sache.

Lienen lässt seine Zukunft offen

Dann traten die Fürther auch noch als Spielverderber auf, zeigten eine starke Leistung, waren aggressiv und ballsicher. Das Unentschieden durch den Kopfballtreffer von Lasse Sobiech (70.) war durchaus schmeichelhaft. Robert Zulj (37.) hatte die Franken in Führung gebracht. „Es war nicht unser bestes Spiel heute“, sagte Lienen, der schon vor der Partie wieder sehr intensiv die Atmosphäre am Millerntor aufsaugte. Bis 2018 steht er noch als Trainer unter Vertrag, ob er bleibt? Unklar. Vakant wird auch der Sportchefposten, weil sich Andreas Rettig wieder allein auf die Geschäftsführung konzentrieren möchte. Zu seiner Zukunft wollte Lienen aber noch nichts sagen: „Nun lasst uns doch erst einmal die Saison zu Ende bringen. Es gibt für alles eine gute Lösung.“

Beim VfL Bochum ist für St. Pauli am kommenden Sonntag endgültig Saisonschluss. Cenk Sahin und Christopher Buchtmann haben dann schon frei, weil sie sich die zehnte beziehungsweise fünfte Gelbe Karte abholten.

Gonther hat Vertrag vorliegen

Schwarze T-Shirts hatten die Spieler von der Marketingabteilung zur Ehrenrunde beim Heim-Kehraus 2016/17 übergezogen bekommen. „#ALLE ZUSAMMEN ST PAULI 1910“ formten sie bei ihrer Jubelwelle zum Schriftzug. Keine bloße Parole, sondern gelebte Clubkultur, ohne die die Rettung mit elf Punkten nach 17 Spieltagen kaum möglich gewesen wäre. Gänsehautat­mosphäre, die auch Gästetrainer Janos Radoki­ nicht unbeeindruckt ließ: „In schwieriger Situation zum Trainer zu stehen und dann gemeinsam unten­ rauszukommen, das gibt es nicht so oft.“

Auch Kapitän Sören Gonther, dessen Vertrag ausläuft, ließ dieses Spiel nicht kalt. Er hat ein Angebot vorliegen, hat aber bislang noch nicht unterschrieben, Knackpunkt ist bei dem 30-Jährigen wahrscheinlich die Laufzeit. „Ich bin stolz, Teil dieses Teams und ihr Kapitän gewesen zu sein“, sagte er. Abgeschlossene Vergangenheit. Oder wie Vicky Leandros passend sang: „Das Karussell wird sich weiterdreh'n, auch wenn wir auseinandergeh'n.“