Darmstadt/Hamburg. Beim FC St. Pauli beginnt nach dem geglückten Klassenerhalt Planung für neue Saison. Fanliebling Schachten wird Wechsel nahegelegt.

Den Mut, dem Trainer die erste Bierdusche des Nachmittags zu verpassen, brachte kein Spieler des FC St. Pauli auf. So war es in den Katakomben des Darmstädter Merck-Stadions am Böllenfalltor schließlich Teammanager Christian Bönig, der eine mit Gerstensaft gefüllte Flasche über Ewald Lienens Kopf umdrehte. Der Coach nahm es mit Humor, doch auch diese Aktion war noch nicht das Signal, den so ersehnten und gerade denkbar knapp erreichten Klassenerhalt in der Zweiten Liga ausgelassen zu feiern. Vielmehr waren die Akteure des Kiezclubs nach der 0:1-Niederlage beim SV Darmstadt 98 einfach nur erleichtert, weder direkt in die Dritte Liga abgestiegen zu sein noch die Relegationsspiele gegen Holstein Kiel am Freitag und Dienstag kommender Woche bestreiten zu müssen.

Doch es kam ihnen so kurz nach der Niederlage, mit der sie ihren Gegner direkt in die Erste Bundesliga befördert hatten, nicht in den Sinn, ihre Rettung annähernd so zu feiern wie die Darmstädter ihren Aufstieg. Dafür fehlte auch immer noch die Kraft, und zwar sicherlich physische, vor allem aber die mentale. Zu sehr hatten die vergangenen Wochen, als selbst drei Siege in Folge sowie – weiter gefasst – 15 Punkte aus sieben Partien nicht ausgereicht hatten, sich den Klassenerhalt zu sichern, die eigenen Nerven belastet. Ganz so locker, wie es Kapitän Sören Gonther später glauben machen wollte, war es sicher nicht gewesen. „Ich habe immer gesagt, dass ich erst nach dem 34. Spieltag auf die Tabelle schaue und wir dann über dem Strich stehen werden“, sagte der Innenverteidiger, der in Darmstadt wegen seiner im Spiel gegen Bochum (5:1) erlittenen Oberschenkelverletzung vorsichtshalber nur auf der Ersatzbank gesessen hatte.

Vor allem am Ende geriet das letzte Saisonspiel noch zu einer Zitterpartie, auf die alle gern verzichtet hätten. Dabei entstand die Dramatik weniger durch den 0:1-Rückstand, in den die St. Paulianer durch einen direkt verwandelten Freistoß von Tobias Kempe (71. Minute) geraten waren, als vielmehr dadurch, dass zwei von St. Paulis Konkurrenten auftrumpften. Der FSV Frankfurt verwandelte einen 1:2-Rückstand in Düsseldorf in einen 3:2-Sieg und Erzgebirge Aue ein 0:2 binnen acht Minuten in ein 2:2. In der Folge hatte Aue noch eine hochkarätige Chance zum Sieg, der für St. Pauli den Sturz auf Rang 16 zur Folge gehabt hätte.

Der gerade ausgewechselte Außenverteidiger Sebastian Schachten hatte am Rande des Spielfeldes sogar schon vernommen, dass dieses dritte Tor für Aue gefallen sei. Bevor sich dies als falsche Information entpuppte, herrschte helle Aufregung, weil plötzlich eine totale Offensive angezeigt schien.

„Es wäre völlig unverdient gewesen, wenn wir nach diesen erfolgreichen Wochen in die Dritte Liga abgestiegen wären“, sagte später Ewald Lienen, nachdem er sich lange unter die mitgereisten Fans gemischt hatte, die nach Schlusspfiff ebenso wie die Darmstädter auf das Spielfeld gestürmt waren. Sogar auf Händen war der Trainer dort getragen worden. Es war ein Ausdruck des Dankes an den Mann, der mit seiner intensiven Arbeit und Akribie das zuvor so desolat auftretende Team wieder auf Kurs gebracht hatte.

„Dieser Klassenerhalt ist ein Lehrstück für die Spieler, dass man in aussichtslos erscheinenden Situationen zusammenhalten und intensiv arbeiten muss. Kontinuität und der Glaube an sich selbst zahlen sich im Endeffekt doch aus. Es hat ja Zeiten gegeben, als keiner mehr an uns geglaubt hat. Und auch wir waren ja mal ratlos, zum Beispiel als wir gegen 1860 München verloren hatten und dabei 17:1 Torschüsse für uns hatten. Aber irgendwann haben wir dann auch das Glück mal wieder auf unserer Seite gehabt“, sagte Lienen abschließend. „Ein Abstieg wäre ein riesiger Rückschritt für den ganzen Verein gewesen.“

Unterdessen zeichnet sich nach den zuvor bekannten Abgängen (Tschauner, Kringe, Daube) ein überraschender Wechsel an. „Mir ist vor einiger Zeit nahegelegt worden, mich nach einer Alternative umzuschauen“, verriet Sebastian Schachten nach dem Spiel. Der 30-Jährige, der nicht nur wegen seines Kampfgeistes eine Identifikationsfigur für die Fans ist, stellte klar, dass er gern beim Kiezclub bliebe und auch für eine Saison in der Dritten Liga zur Verfügung gestanden hätte.

Zurück in Hamburg fanden die St.-Pauli-Profis doch noch die Kraft, etwas ausgelassener ihren Klassenerhalt zu feiern. Gegen 23.30 Uhr kam das Team, das im Charterjet geflogen war, im „Knust“ an, wo schon etliche Anhänger gewartet hatten. Dabei fehlten Torwart Robin Himmelmann und der dienstälteste St.-Pauli-Profi, Jan-Philipp Kalla. Sie waren ebenso wie Trainer Lienen, Sportchef Thomas Meggle und Präsident Oke Göttlich mit dem Fan-Sonderzug zurück in die Hansestadt gefahren und trafen ein, als die Party im „Knust“ schon vorbei war.