Nach zwei Spieltagen befindet sich St. Pauli in einer Krise. Trainer Vrabec schlägt verbal auf die Mannschaft ein, steht aber selbst in der Kritik. Gibt es in der Mannschaft Zweifel am Spielsystem?

Hamburg Die Ratlosigkeit danach nahm beim FC St. Pauli mindestens das gleiche, dramatisch große Ausmaß an wie die auf dem Platz gezeigte Negativleistung. Kapitän Sören Gonther sprach von einer unerklärlichen Häufung von Fehlern, die sich durch das gesamte Team gezogen hätten, Trainer Roland Vrabec räumte ein, es habe ihn völlig unvorbereitet getroffen, dass sich sein Team „ohne Präsenz, unterirdisch und erbärmlich“ präsentiert hätte.

Das 0:2 (0:1) beim VfR Aalen am vergangenen Freitagabend hat den Kiezclub in eine Schockstarre versetzt. Es war mehr als eine verdiente Niederlage, wie sie im Laufe einer Saison immer einmal vorkommt. Vielmehr war es ein Auftritt, der auch mit dem Abstand von zwei, drei Tagen Schlimmstes für die nahe Zukunft befürchten lässt, wenn sich nicht grundsätzliche Dinge ändern. In der in der Aalener Scholz-Arena gezeigten Verfassung ist der FC St. Pauli in der Zweiten Liga, in der auch ein Team wie der VfR Aalen ein klares und vor allem funktionierendes Spielkonzept verfolgt, nicht wettbewerbsfähig.

Über allem steht die bisher gar nicht oder nur völlig unzureichend beantwortete Frage nach dem Warum. Nach einer, auch objektiv betrachtet, intensiven und qualitativ guten Vorbereitungsphase mit hoffnungsvollen Testspielen wie dem 0:0 gegen den italienischen Erstligisten Udinese Calcio und dem 1:0 gegen den schottischen Meister Celtic Glasgow war schon das Auftaktspiel gegen den FC Ingolstadt (1:1) ein Rückfall. Nur mit einer deutlichen kämpferischen Steigerung und einem genialen Moment, der zum Ausgleich führte, konnte hier die Niederlage noch verhindert werden. In Aalen fehlte es dagegen an allem. Das Beste war noch, dass es nur zwei Gegentore gab. „Wir haben richtig auf die Fresse bekommen“, wählte Trainer Vrabec eine drastische Ausdrucksweise. „Jeder einzelne muss sich jetzt mal hinterfragen, wie so etwas passieren kann und was ihn hemmt“, fügte er hinzu.

Es war offensichtlich, dass Vrabec sich von den eigenen Spielern im Stich gelassen fühlte, womöglich sogar hintergangen. „Es sah so aus, als wenn wir gar nicht trainieren würden. Das ist ja aber nicht so“, sagte er und hatte damit doppelt recht. Seine Spieler wirkten sowohl körperlicher Hinsicht als auch technisch und im Zusammenspiel nicht so, als wenn sie ihren Sport täglich und vor allem miteinander betreiben würden. Wer hingegen die Übungseinheiten verfolgt, kann Vrabec‘ These nur zustimmen: „Jedes Training hat bei uns mehr Intensität als dieses Spiel.“

Diesen Eindruck hat auch Sportdirektor Rachid Azzouzi. Unmittelbar nach dem Spiel und auch am Sonnabend hatte er seinen Frust über den Auftritt der eigenen Mannschaft für sich behalten wollen. Am Sonntag sagte er im Gespräch mit dem Abendblatt: „Wenn man sich aus der Emotion heraus sofort äußert, ist dies meist falsch. Aber ich bin auch am zweiten Tag nach dem Spiel noch immer enttäuscht, wie wir aufgetreten sind. Es geht nicht darum, dass wir verloren haben, sondern um die Art und Weise. Wir waren nicht spritzig, die gegnerischen Spieler waren leichtfüßiger, unser Umschaltspiel war in beide Richtungen sehr langsam. Es gibt viele Ansatzpunkte. Aber es ist alles nicht leicht zu erklären“, sagte er und räumte ein, dass er auch noch keine plausible Antwort auf das Warum hat.

„Wir müssen dies alles jetzt sehr genau analysieren“, sagt Azzouzi weiter und kündigte an, mit dem Trainerteam und mit einzelnen Spielern entsprechende Gespräche führen zu wollen, um die wahren Gründen für die Minusleistung herauszufinden. „Ich werfe den Spielern nicht vor, dass sie nicht wollen. Aber jeder einzelne hat, außer Torwart Philipp Tschauner, in Aalen noch nicht einmal seine Normalform gezeigt. Es geht nicht, dass unsere Mannschaft noch einmal so auftritt.“

Zur angekündigten Analyse wird zwangsläufig gehören, dass Azzouzi das tatsächliche Verhältnis zwischen Cheftrainer Vrabec und den Spielern unter die Lupe nimmt. Öffentlich loben die Profis die Akribie ihres Trainers und wie variantenreich er die einzelnen Einheiten gestaltet. Fraglich ist jedoch, wie sehr sie wirklich von dem Spielsystem überzeugt sind, dass Vrabec derzeit favorisiert und einstudieren lässt. Er propagiert, dass sein Team Wert auf Ballbesitz legt und aus dieser Feldüberlegenheit heraus Torchancen kreiert. In Aaalen hatte St. Pauli tatsächlich eine Ballbesitzquote von 58 Prozent, brachte aber nur elf Torschüsse zustande, während die konterstarken Aalener doppelt so oft auf das Hamburger Tor schossen. Zudem wird zu hinterfragen sein, inwiefern die lautstarken, meist emotional geprägten Ansprachen Vrabec’ die erhoffte aufrüttelnde Wirkung bei den Spielern haben oder doch mehr das Verhältnis zwischen Spielern und Trainer belasten.

Schon am Wochenende machten Gerüchte die Runde, das Präsidium des FC St. Pauli habe sich zu einer Krisensitzung getroffen. Dies dementierte der Club, aber am Freitag wird die Vereinsführung turnusmäßig tagen. Dann wird es sehr viel intensiver als gewünscht um die sportliche Lage gehen. Und spätestens dann werden Azzouzi und Vrabec plausible Antworten auf das Warum und überzeugende Lösungen präsentieren müssen.