Trainer Roland Vrabec erklärt, wie er den FC St. Pauli zum Aufstieg führen will, warum er eigentlich gar nicht Chefcoach werden wollte und was er von Jürgen Klopp und Thomas Tuchel lernte.

Hamburg. Ein Baguette mit Salami odert Roland Vrabec bei Torwarttrainer Mathias Hain schnell. Dann nimmt er sich zwischen zwei Trainingseinheiten Zeit für sein erstes Interview als Cheftrainer des FC St. Pauli. Nach der Entlassung Michael Frontzecks im November feierte der 39-Jährige in sechs Spielen als Interimscoach vier Siege und bekam einen Vertrag bis 2015. Im Gespräch mit dem Abendblatt erklärt er, warum dies eigentlich nie sein Ziel war und wie er den Kiezclub nun aber in die Bundesliga führen will ...

Hamburger Abendblatt: Herr Vrabec, können Sie eigentlich noch unerkannt durch Hamburg laufen?

Roland Vrabec: Ja, das kann ich. Letztens war ich beim Bezirksamt und habe meinen Personalausweis abgeholt, da wurde ich mal erkannt und angesprochen. Am Flughafen auch schon oder in der Schanze, aber nicht so oft und das ist auch gut so.

Sie wurden quasi über Nacht zum Cheftrainer. Fühlt es sich manchmal noch an wie im Märchen?

Vrabec: Ich bin zu bodenständig und realistisch, um in Euphorie zu verfallen. Schon im ersten Moment, als es hier für mich losging, war mir immer klar, dass ich auch mal in die gleiche Situation wie meine Vorgänger Michael Frontzeck, André Schubert oder viele andere Trainer kommen kann. Deswegen genieße ich einfach den Moment.

Der Kreis von Trainern im Profifußball ist klein. Man hat Ihnen hier eine Riesenchance eröffnet, oder?

Vrabec: Ja, das stimmt. Ich habe früh alles auf eine Karte gesetzt und schon als B-Jugendtrainer beim FSV Frankfurt den Fokus darauf gerichtet, Fußballtrainer zu werden. Damals hatten wir absolut amateurhafte Bedingungen, aber mir war klar, dass dies mein Weg ist, ich damit mein Geld verdienen möchte. Beim Fußballlehrerlehrgang in Köln habe ich dann Leute wie Markus Babbel, der mit mir im Kurs war, beobachten können. Ich habe mich gefragt: Wie weit bin ich im Vergleich zu diesen Leuten, die lange im Geschäft sind? Ich bin dann zu der Einschätzung gekommen, dass ich mir das auch zutraue. Die Chance aber zu bekommen, ist eine andere Sache. Deshalb ist der Schritt bei St. Pauli für mich natürlich wichtig, um mich zu profilieren und der breiten Öffentlichkeit zu zeigen, was ich kann.

Sie hatten also nie eine andere Berufsidee?

Vrabec: Nein, ich wollte immer Trainer werden. Wobei ich sagen muss, dass meine Zielsetzung immer war, eine U19 oder U23 im Nachwuchsleistungszentrum zu trainieren. Cheftrainer im Profibereich war nie mein Ziel.

Ursprünglich wollten Sie ja auch die zweite Mannschaft St. Paulis übernehmen ...

Vrabec: Ja, ich hatte über einen Kontakt erfahren, dass bei St. Pauli ein U23-Trainer gesucht wird. Zeitgleich übernahm aber Thomas Meggle schon diese Aufgabe. Ich hatte mich beworben und bekam einen Termin mit Rachid Azzouzi in Hamburg. Wir haben ein, zwei Stunden über Ideen gesprochen, später sagte Rachid, dass er noch einen Co-Trainer für die Profis suche. Dann gab es noch mal ein Gespräch mit ihm und Michael Frontzeck und währenddessen war uns allen schon klar, dass wir das zusammen angehen wollen.

Sie waren nie selbst Profi, haben stattdessen Sportwissenschaften studiert. Ist das vielleicht sogar ein Vorteil gegenüber ehemaligen Spielern?

Vrabec: Wenn du kein Profi warst und kommst in den Herrenbereich, fehlt es dir zu Beginn öfter mal an der Akzeptanz. Wenn man wie ich aber mit einer U13-Mannschaft beim FSV oder später U17 bei Mainz 05 ganz klein anfängt, kann man sich auf einem dennoch sehr guten Niveau selbst kennenlernen. Ich konnte Fehler machen, ohne gleich Konsequenzen spüren zu müssen. Natürlich sollte man nicht fünf Mal hintereinander verlieren, wenn man in einem so ambitionierten Nachwuchsleistungszentrum wie in Mainz arbeitet, aber man hat eine gewisse Ruhe. Ich konnte austesten, für welchen Fußball ich stehe und wie ich die Mannschaft dazu bekomme, diesen zu spielen. Ehemalige Profis, die zu früh ins Geschäft einsteigen, haben sich als Trainertyp vielleicht noch gar nicht kennengelernt. Sie dürfen sich aber sofort keine Fehler erlauben.

Hatten Sie nie das Bestreben, Profi zu werden?

Vrabec: Der Gedanke, Profi werden zu wollen, ist nie aufgekommen. Ich habe in Hessen im Amateurfußball immer auf hohem Niveau gespielt, aber es gab damals noch keine Spielerberater im Jugendbereich. Die Jungs, die dann Profis werden wollten, waren im Kopf vielleicht auch schon reifer und zielstrebiger als ich.

Dabei wirken Sie immer sehr zielstrebig ...

Vrabec: In meiner letzten Spielerstation fing ich an, eine Jugendmannschaft zu trainieren und hab schnell gemerkt, dass ich so etwas machen will. Dann wurde ich zielstrebig und fokussiert. Als Spieler habe ich das nie gespürt. Vom Talent war ich sicher nicht so schlecht, aber vielleicht habe ich noch ein paar Jahre gebraucht, um zu reifen.

Heute wirken Sie in ihrer Arbeit sehr akribisch. Sie bringen ständig ganz neue Übungen ein und überraschen die Spieler so. Sind Sie so kreativ?

Vrabec: In Mainz war Thomas Tuchel sehr innovativ, da habe ich viel lernen können. Auch bei Jürgen Klopp habe ich einiges mitnehmen können und natürlich kommt auch Literatur dazu. Daraus kann ich dann Übungen für mich selbst ableiten. Wenn du die Jungs unter der Woche in den Einheiten immer wieder etwas überforderst, wird das Spiel am Wochenende dann relativ einfach. Das ist mein Leitfaden.

Schauen Sie in ihrer Freizeit eigentlich noch Fußballspiele?

Vrabec: Sehr selten. Wenn man sich ständig mit seinem Job auseinandersetzt, wird man irgendwann müde und satt. Ich suche mir deshalb Highlights heraus und bin dann auch viel mehr bei der Sache. Ich gehöre nicht zu den Trainern, die sich alle Spiele aus der eigenen Liga anschauen, sondern konzentriere mich darauf, unseren nächsten Gegner zu studieren.

Innerhalb kurzer Zeit haben Sie die Mannschaft in die Nähe der Aufstiegsränge geführt. Wann spielt der FC St. Pauli wieder Bundesliga?

Vrabec: Es gibt neben uns fünf, sechs Mannschaften, die das Potenzial haben, aufzusteigen. Köln und Kaiserslautern würde ich ausklammern, weil sie mit ihrer Qualität einfach in die Erste Liga müssen. Fürth, Union, 1860 München, Düsseldorf oder wir könnten, müssen aber nicht. Ein Aufstieg wäre für uns aber eigentlich noch zu früh, weil es die Entwicklung der Mannschaft bremsen würde. Dann kann man nicht mehr in Ruhe etwas aufbauen. Unser erstes Ziel muss es sein, einen Spielstil zu entwickeln, der dann für den FC St. Pauli steht. Jeder soll wissen, was sie erwartet, wenn sie gegen St. Pauli spielen. In der Rückrunde wollen wir aber natürlich oben dran bleiben und wenn wir kurz vor Saisonende die Chance hätten, würden wir den Aufstieg in Angriff nehmen. Realistisch wäre es aber, wenn wir im nächsten Jahr den Aufstieg anpeilen.

Das Potenzial, Bundesliga zu spielen, sehen Sie also bereits in Ihrem Team?

Vrabec: Ja, ich sehe enormes Potenzial in der Mannschaft. Bis auf Altersbedingte Ausnahmen sehe ich eigentlich all unsere Spieler mit dem Talent für die Bundesliga, das wir weiter entwickeln müssen. Die Frage ist nur, ob sie es alle zusammen hier bei uns schaffen, oder jeder für sich irgendwo anders. Wenn wir dieses Potenzial hier bei St. Pauli weiterentwickeln können, haben wir auch die Möglichkeit, in der Ersten Liga zu bestehen.

Profis wie Christopher Buchtmann stehen schon auf den Zetteln der Bundesligisten. Wie groß ist die Gefahr, dass die Entwicklung durch Abgänge gestört wird?

Vrabec: Diese Gefahr besteht immer. Wenn jemand so auf sich aufmerksam macht, ist die Gefahr groß, dass sich Erstligisten melden und den Spieler abwerben wollen. Damit muss man leben. Jeder Spieler schaut auch auf sich und wenn er die Chance sieht, woanders schneller Bundesliga spielen zu können, muss er dies vielleicht auch für sich nutzen.

Sie haben eine Mannschaft mit sehr soliden Charakteren. Fehlt Ihnen vielleicht manchmal ein Chaot?

Vrabec: Ich glaube nicht, dass ein Chaot fehlt. Wir sind alle sehr zielstrebig und halten uns an die Regeln, das ist für die tägliche Arbeit wichtig. Auf dem Platz würde ich mir aber durchaus wünschen, dass wir mal ein bisschen mehr ‚Drecksau‘ sind. Da darf es ruhig mal einen Typen geben, der sich in bestimmten Situationen mit dem Schiedsrichter anlegt.

Sie sind Vater zweier Söhne. Würden Sie ihren Kindern eigentlich dazu raten, Fußballprofi zu werden?

Vrabec: Da ist noch sehr viel Zeit, bis das der Fall sein könnte. Aber wenn meine Kinder ein Ziel vor Augen haben, werde ich sie als Vater dabei auch unterstützen. Ich würde weder abraten, noch zusprechen – das müssen sie selbst entscheiden. Ich habe aber auch kein Problem damit, wenn sie schwimmen oder zum Turnen gehen möchten.