St. Paulis neuer Trainer Michael Frontzeck spricht im Interview über Solidarität unter seinen Kollegen, Tattoos, Popmusik und Helmut Schmidt.

Hamburg. Seit dreieinhalb Wochen ist er der neue Trainer des FC St. Pauli, mit dem er heute im DFB-Pokal beim VfB Stuttgart antritt. Die vielen Termine, die Michael Frontzeck momentan im Verein wahrnimmt, haben ihn wenige Minuten später als verabredet ins East-Hotel auf St. Pauli kommen lassen. Der 48-Jährige bestellt Espresso macchiato, später einen weiteren. Die leichten Kopfschmerzen, die ihn noch am Vormittag geplagt hatten, scheinen ebenso abgehakt wie die 20-monatige Jobpause, die er nach seiner Tätigkeit bei Borussia Mönchengladbach eingelegt hatte.

Hamburger Abendblatt: Herr Frontzeck, wie hat sich Ihr Golf-Handicap in den vergangenen Monaten entwickelt?

Michael Frontzeck: Es lief sehr zähflüssig. Ich stehe jetzt bei 13,4. Aber ich werde mich da nicht weiter verbessern können. Wenn ich im Beruf bin, spiele ich kein Golf.

Wie waren die Reaktionen aus Mönchengladbach, als Sie vor dreieinhalb Wochen wieder auf die Fußballbühne zurückkehrten?

Frontzeck: Ich habe zu allen Verantwortlichen bis heute ein Top-Verhältnis. Auch Lucien Favre hat eine SMS geschickt und mir alles Gute gewünscht für St. Pauli.

Ihr Nachfolger, der die Mannschaft nach Ihrer Beurlaubung erst in der Bundesliga hielt und dann in die Europa League führte ...

Frontzeck: Ich fand es schade, dass er es so hingestellt hat, als wären es identische Mannschaften gewesen. Die Hälfte der Mannschaft, die ihm zur Verfügung stand, war bei mir verletzungsbedingt gar nicht anwesend oder kam erst im Winter dazu. Von daher war es ärgerlich, immer wieder die gleichen Fragen beantworten zu müssen, wie dieselbe Mannschaft jetzt so einen überragenden Erfolg haben könne. In Wahrheit war es doch eine personell völlig neue Truppe.

Gibt es keine Solidarität unter Trainern?

Frontzeck: Ich würde grundsätzlich nie etwas Negatives über meine Vorgänger sagen. Das dient grundsätzlich nur dem Zweck, sich selbst zu schützen oder sich von vornherein ein Alibi zu verschaffen. Ich weiß auch nicht, ob Lucien es bewusst oder unbewusst gemacht hat. Und lassen Sie uns das festhalten: Lucien Favre macht in Gladbach einen fantastischen Job. Bis heute. Aber es waren eben zwei unterschiedliche Mannschaften. Und das wussten in Gladbach auch alle Beteiligten.

Sind Sie ein nachtragender Mensch?

Frontzeck: Ich habe ein bisschen etwas von einem Elefanten, ja.

Erinnern Sie sich auch noch an die Schulzeit? Sie schmissen nach der zwölften Klasse das Abitur.

Frontzeck: Es wäre ohnehin nur ein sehr mittelmäßiges Abi geworden. Ich wollte damals die Chance nutzen, Profi zu werden und habe mir dann gesagt, es zwei Jahre später nachzuholen.

Was Sie nicht taten.

Frontzeck: Natürlich nicht. Man redet sich das dann so ein. Einem Spieler würde ich heute immer raten, das Abitur zu machen. Ohne Wenn und Aber. Es ist ein schmaler Grat als Fußballprofi. Du musst viel dafür tun, aber auch eine große Portion Glück haben, gesund bleiben. Neben meiner elterlichen Erziehung habe ich auch eine sehr gute Schule in Gladbach durchlaufen. Die Borussia war immer ein familiärer Klub: Bökelberg, die kleine Geschäftsstelle und das alte Präsidium: Grashoff, Beyer ... Grashoff war der erste Hanseat, den ich kennenlernte.

Mit Helmut Grashoff dürften Sie Ihren ersten Vertrag ausgehandelt haben.

Frontzeck: 2500 Mark Grundgehalt plus einer Zahlung von 25 000 Mark. Um die auch im nächsten Jahr zu bekommen, musste ich 31 Spiele in der zweiten Saison machen. Aber die habe ich auch gemacht (lacht).

Haben Sie verhandelt, oder hat Grashoff gesagt: Hier, unterschreib?

Frontzeck: Er ist leider viel zu früh verstorben. Ich denke hier oft an ihn. Wir waren immer in einem schönen Hotel an der Außenalster, weil er aus Hamburg kommt. Er war ein fantastischer Mann. Das einzige Problem war wirklich das Verhandeln. Der saß dir gegenüber, hatte die Pfeife an, und im Grunde genommen brauchtest du da gar nicht reinzugehen. Alles war vorher klar. Da gab es keine Berater oder Anwälte.

Sagen die Spieler eigentlich "Herr Frontzeck"?

Frontzeck: Die sagen "Trainer, Sie ...". Aber die Jungs sollen sich hier keinen abbrechen. Wenn ein Boller (Fabian Boll, d. Red) oder ein Bene (Benedikt Pliquett, d. Red.) es hier auf St. Pauli immer gewohnt waren zu duzen, dann sollen sie das so machen. Grundsätzlich macht man bei mir mit "Trainer" nichts falsch.

Wollen Sie Ihr Haus in Mönchengladbach jetzt vermieten?

Frontzeck: Nein, da kommt keiner rein. Meine Frau hat sich hier fünf, sechs Wohnungen angeschaut. Ich denke, wir werden eine in Ottensen nehmen. Wir haben auch zwei Hunde mit dabei. Meine Frau macht das schon. Sie hat einen besseren Geschmack als ich.

Gefallen Ihnen Tattoos? Sie haben ja auch eins am Oberarm.

Frontzeck: Woher wissen Sie das? Ich habe welche, ja. Aber die wird es nie zu sehen geben. Die stammen aus einer Zeit, da war das noch nicht so modern. Ich bereue das aber nicht, ich finde viele Tattoos auch gut.

Gehen Sie auch musikalisch mit der Zeit?

Frontzeck: Da bin ich wie ein Aal, nicht zu greifen. Die, die mich am meisten begleitet haben, waren Depeche Mode. Aber auch Pavarotti, Ärzte oder Hosen. Es kommt auf die Stimmung an. Mein letztes Konzert waren die Red Hot Chili Peppers in Köln. Ich bin auf Einladung von Uwe Kamps aber zum Beispiel auch bei Rammstein gewesen. Die haben was, gute Show. Wenngleich sich meine Frau schon beim ersten Lied unglaublich erschrocken hat.

Sind Sie dieser typische Rheinländer? Fröhlich, gesellig, Karnevalist?

Frontzeck: Ich bin eher ein Hanseat, sagt meine Frau. Und ich hasse Karneval! Ich bin eher ruhig, was aber nicht bedeutet, dass ich nicht auch lustig sein kann. Entscheidend ist, dass du authentisch bist, keine Rolle spielst. Mir ist es zuwider, wie einige im Erfolgsfall die Rettergeschichten zu machen. Ich stehe das ganze Jahr vor den Spielern, dem Präsidium, Journalisten, vor Fanklubs und erzähle, dass wir es nur gemeinsam schaffen können. Und dann, wenn wir es geschafft haben, erzähle ich allen wie Ich es gemacht habe? Nein danke, aber so ist das Geschäft, und das widert mich an meinem Job an. Und da bin ich sehr dankbar, dass ich jetzt auf St. Pauli bin. Weil ich hier das Gefühl habe, dass ich mich nicht präsentieren muss, sondern dass hier gefragt ist, gemeinsam als Klub Erfolg zu haben.

Michael Frontzeck, der Hanseat ...

Frontzeck: Na, da haben Sie jetzt aber etwas gehört. Nicht, dass ich irgendwann mit Lotsenmütze fotografiert werde.

Sie sind ja nicht Helmut Schmidt.

Frontzeck: Wenn ich mit dem Helmut mal eine Zigarette rauchen dürfte - das wäre eine tolle Sache.

Rauchen Sie?

Frontzeck: Ja. Aber nicht die gesunden, die der Helmut raucht, mit denen man 93 Jahre alt wird. Den finde ich übrigens richtig klasse. Der ist authentisch, und ich kann das kaum greifen, wie man mit 93 noch so fit im Kopf sein kann. Der weiß alles. Ein außergewöhnlicher Mensch, ein absolutes Vorbild für mich. Einer, der für etwas einsteht, auch wenn er dafür mal Schläge kassiert. Das gibt es heute immer seltener.

Glauben Sie an Gott?

Frontzeck: Ich glaube schon, dass da etwas ist. Ich gehe hin und wieder in die Kirche. Am liebsten, wenn keiner drin ist. Ich finde die Architektur gut, es herrscht absolute Ruhe. Aber ich bin kein religiöser Mensch. Ich denke dort gerne nach.

Wie denken Sie über Ihre Nationalmannschaftskarriere?

Frontzeck: Ich habe meinen Frieden mit mir als Spieler gemacht. Aber wahrscheinlich haben die Leute recht. Wenn du 436 Bundesligaspiele gemacht hast, plus etwa 60 Zweitligaspiele und 30 Ligaspiele in England, sind 19 Länderspiele zu wenig. Rückblickend waren von den 19 Einsätzen vielleicht sechs gut. Das reicht nicht. Aber das war gestern. Ich lebe im heute. Zusammen wollen wir etwas bei St. Pauli aufbauen.