Das Sportgericht hat entschieden: St. Pauli muss gegen Bremen vor einer Geisterkulisse spielen. Der Verein legte fristgerecht Einspruch ein.

Hamburg. Am Freitag verkündete der Deutsche Fußball-Bund (DFB), den FC St. Pauli nach dem abgebrochenen Skandalspiel gegen Schalke 04 mit einem Geisterspiel zu bestrafen. Das kommende Heimspiel gegen Werder Bremen am 23. April muss St. Pauli unter Ausschluss der Öffentlichkeit bestreiten. Der Kiezklub legte daraufhin fristgerecht Einspruch ein. Damit kommt es zu einer mündlichen Anhörung in Frankfurt. Dazu Vereinspräsident Stefan Orth: „Wir möchten unseren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung erläutern.“ Mit einem Anhörungstermin ist frühestens in der kommenden Woche zu rechnen.

Am Donnerstag hatte der DFB-Kontrollausschuss das Strafmaß beantragt. St. Pauli verweigerte die Zustimmung. Im Einzelrichterverfahren wurde das Urteil am Freitag bestätigt: „Die Verursachung eines Spielabbruchs stellt einen schweren Eingriff in das Spielgeschehen und den Wettbewerb dar und kann nur mit einer konsequenten Sanktion geahndet werden“, begründete der Sportgerichtsvorsitzende Hans E. Lorenz das harte Durchgreifen des Verbandes am Freitag. Die vorbildliche Fanarbeit der Hamburger spielte bei dem Urteilsspruch keine Rolle: „Dem Sportgericht sind die Initiativen des FC St. Pauli bei der Förderung einer besonderen Fankultur bekannt. Diese werden durch das Urteil nicht infrage gestellt.“

Die Sanktion sei auch aus generalpräventiven Gesichtspunkten erforderlich und solle künftigen Rechtsverletzungen vorbeugen, erklärte Lorenz weiter. Damit ist das erste „Geisterspiel“ in der Geschichte der 1. Liga perfekt. Den abstiegsgefährdeten FC St. Pauli erwartet nun eine Einbuße von rund 750.000 Euro, da das Nord-Derby gegen die Bremer mit rund 24.400 Zuschauern ausverkauft war.

Für Trainer Holger Stanislawski ist die Strafe vor allem aus sportlicher Sicht eine bittere Botschaft: "Das Urteil wiegt doppelt schwer. Wir werden damit unseres Faustpfandes beraubt. Das ist so als wenn ich einen Feldspieler ins Tor stelle oder fünf weitere Spieler ausfallen", sagte Stanislawski.

Auch Werder Bremen ist durch das Urteil bestraft, hat aber zunächst mit großer Zurückhaltung auf das mögliche „Geisterspiel“ beim FC St. Pauli reagiert. „Wir geben keine Stellungnahme ab, solange das Urteil nicht rechtskräftig ist“, teilte Mediendirektor Tino Polster mit. Die Werder-Fans fühlen sich durch das DFB-Urteil zu Unrecht bestraft. Viele haben bereits Tickets für die Begegnung gekauft, wo sie ihre Mannschaft im Abstiegskampf unterstützen wollten. „Wir fahren trotzdem hin“, sagte ein Bremer Anhänger, der sich am Freitagvormittag beim Bremer Fan-Projekt auf dem Laufenden hielt.

„Das ist ein Urteil, das ich als sehr schwierig empfinde. Es sind Fans betroffen, die dafür nicht verantwortlich sind“, erklärte Thomas Hafke, hauptamtlicher Mitarbeiter beim Bremer Fan-Projekt. „Fußball ist, was im Stadion passiert. Die Fans trifft das hart.“ Die Einrichtung ist unabhängig vom Bundesligaverein und betreut mit sozialpädagogischen Maßnahmen jugendliche Fußballfans.

Das Duell St. Pauli gegen Schalke war am vergangenen Freitag in der 89. Minute beim Stand von 0:2 abgebrochen worden, weil Schiedsrichter-Assistent Thorsten Schiffner von einem gefüllten Bierbecher getroffen worden war. Das Spiel wurde mit 0:2 gewertet. (sid/dpa/abendblatt.de)

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St. Pauli kämpft gegen Geisterspiel am Millerntor

Sie bekamen das, was sie erwartet hatten. Das vom Kontrollausschuss beantragte Strafmaß, das der Deutsche Fußball-Bund (DFB) dem FC St. Pauli gestern Mittag per Fax und E-Mail gleich doppelt übermittelte, entsprach den Befürchtungen: Der durch einen Becherwurf gegen Schiedsrichter-Assistent Thorsten Schiffner verursachte Abbruch des Heimspiels gegen den FC Schalke 04 (0:2) am vergangenen Freitag soll ein Geisterspiel nach sich ziehen, das kommende und bereits ausverkaufte Heimspiel gegen Werder Bremen am 23. April unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Lediglich akkreditierten Journalisten wäre der Zugang erlaubt. Wäre. Der FC St. Pauli hat dem Antrag nicht zugestimmt, wie der DFB in Frankfurt gestern um 14.15 Uhr via Fax aus Hamburg erfuhr.

Die Stellungnahme des FC St. Pauli zum DFB-Antrag

Eine Entscheidung, die für einige überraschend kommen mag, aus Sicht des Vereins aber durchaus nachvollziehbar ist. "Der Verein hat die Verantwortung für alle Zuschauer und verurteilt die Tat, trägt an dem Becherwurf aber keine Schuld", sagte Pressesprecher Christian Bönig und erklärte die von Aufsichtsrat, Präsidium und Geschäftsführung gemeinsam eingenommene Position: "Der Täter ist eine Einzelperson, gehört keiner Fangruppe an, ist nicht organisiert und somit auch nicht über intensive Fanarbeit zu erreichen. Das war eine Affekthandlung, nichts Geplantes oder Bewusstes." Zudem werde mit der geforderten Maßnahme auch der Gastverein aus Bremen bestraft. Werder hatte alle Auswärtstickets verkauft. Etwa 2000 Karten sind im Umlauf. Eine mögliche Rückholaktion würden die Bremer organisieren, die Rückerstattungskosten aber der FC St. Pauli tragen, der sich zu hart belangt fühlt und für ein milderes Strafmaß plädiert.

"Wir stimmen nicht zu, weil es das legitime Recht eines Vereins ist, eine eigene Meinung vorzutragen und um eine geringere Strafe zu bitten. Wir hoffen auf Verständnis für unseren Standpunkt, denn kein Verein kann das Geschehene zu 100 Prozent verhindern", erklärt Sportchef Helmut Schulte. Mit seiner Ablehnung gegen den Antrag setzt der Verein ein selbstbewusstes Zeichen. Der Tenor: Man will sich nicht alles gefallen lassen. Nachdem Ligaboss Reinhard Rauball zu Wochenbeginn gefordert hatte, im Fall St. Pauli "ein Exempel zu statuieren", wollen die Kluboffiziellen mit ihrem Vorgehen zum ernsthaften Nachdenken anregen. "Wir werden versuchen, mit dem DFB eine Lösung zu finden, die ein Geisterspiel am Millerntor vermeidet", setzt Präsident Stefan Orth auf eine Kooperation mit dem Deutschen Fußball-Bund.

Als Alternative schlugen die Hamburger dem DFB "eine angemessene Geldstrafe" vor, die idealerweise gemeinnützigen Projekten zukommen soll. "Gewaltprävention im Fußballumfeld, Fanprojekte, Allgemeine Schiedsrichterentwicklung im DFB, Schiedsrichter und -Assistenten, die Opfer von Gewalt auf Fußballplätzen, vor allem im Amateurbereich, geworden sind", zählt Bönig einige mögliche Empfänger auf. Die Liste wurde auch dem DFB übermittelt.

Konkrete Zahlen waren nicht Inhalt des Schreibens. Eine sechsstellige Summe dürfte es in jedem Fall sein, möglicherweise sogar jene 750 000 Euro, die dem Klub bei einem Heimspiel entgehen. Spekulationen, die aber nur theoretischer Natur sein dürften. Die Aussichten, dass das DFB-Sportgericht dem Antrag des Kontrollausschusses nicht folgt und diesen im Sinne St. Paulis modifiziert, sind verschwindend gering. Schon heute wird im Einzelrichter-Verfahren das Urteil gesprochen. Dass dieses akzeptiert werden wird, hatte Schulte bereits am vergangenen Wochenende erklärt. Zu der in letzter Instanz möglichen Anhörung in Frankfurt wird es nicht kommen.

Völlig offen aber erscheint nun, welche Konsequenzen der Becherwerfer zu erwarten hat. Der Verdacht gegen Stefan H., den Familienvater aus Seevetal-Hittfeld, erhärtete sich gestern weiter. Die Polizei vernahm in Lübeck wie angekündigt einen 70-Jährigen, der beim Spiel gegen den FC Schalke 04 in unmittelbarer Nähe von H. auf der Haupttribüne gesessen hatte und diesen nun wie bereits ein erster in Hamburg vernommener Zeuge eindeutig als Täter identifizierte. Ob H., gegen den wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt wird, auch vom Verein finanziell belangt wird, könnte eng mit der Entscheidung des Sportgerichts zusammenhängen. St. Pauli hatte bereits am Abend des Spiels erklärt, den Werfer bei einem Geisterspiel in Regress zu nehmen und die fehlenden Einnahmen umzulegen. Ob dies auch bei der vom Klub angedachten "angemessenen Geldstrafe" der Fall wäre, ist dagegen unklar. "Das ist völlig offen und noch nicht ausdiskutiert", bestätigte Bönig.

Viele Variablen in einem Fall, der eigentlich längst klar schien. Auch die Summe der Mindereinnahmen dürfte tatsächlich deutlich geringer ausfallen. Ein Großteil der Dauerkarteninhaber würde das ihnen zustehende Siebzehntel des Kaufpreises nicht einfordern. Zahlreiche Besitzer von Tagestickets ebenfalls auf die Rückerstattung des Kaufpreises verzichten. Bislang hat sich weder ein Sponsor noch ein Logenmieter gemeldet, der etwaige Ausfallansprüche bei einem möglichen Geisterspiel geltend machen würde. Die Solidarität ist groß, die Haltung des Klubs stößt in Fan-Kreisen und auch in der Mannschaft auf Verständnis. "Es wäre bedauerlich, wenn wir in so einem wichtigen Spiel ohne unsere Zuschauer auskommen müssten", sagt Trainer Holger Stanislawski. "Ein Geisterspiel wäre ein Novum in der Bundesliga", erinnert Kapitän Fabio Morena, "wir Spieler hoffen, dass es nicht so kommt."

Mindestens bis heute Nachmittag bleibt die Hoffnung bestehen. St. Pauli kämpft gegen das Geisterspiel, wenngleich die Verantwortlichen eigentlich wissen, dass sie am Ende genau das bekommen werden, was sie sowieso schon erwartet hatten.