Nach der Pleite gegen den TSV 1860 München fand Trainer Holger Stanislawski deutliche Worte und kündigte drastische Konsequenzen an. Die Profis des FC St. Pauli können sich in den kommenden Tagen warm anziehen...

Holger Stanislawski:

"Eigentlich bin ich nicht gewillt heute groß Fragen zu beantworten, weil das sowieso immer die gleichen 'Scheiß Fragen' sind. Nein. Sondern ich möchte eigentlich nur kurz was sagen und dann kann sich da jeder auch so sein eigenes Bild drüber machen.

Wir haben eben eine längere, vielleicht 45-minütige Sitzung mit der Mannschaft gemacht. Gestern in München und auf dem Rückflug und abends Zuhause konnte ich mir nochmal Gedanken machen. Was ist eigentlich alles bislang passiert? Was ist gut gelaufen, was ist schlecht gelaufen? In welcher Situation stecken wir im Moment? Und ich hab' ein paar Entscheidungen getroffen. Hab' den Spielern klar meine Meinung zur Partie gesagt. In Form einer Einzelkritik. Auch den Wechslern. Dabei positiv weggekommen sind eigentlich nur Markus Thorandt und Marius Ebbers.

Das ist im Moment aber eigentlich zweitrangig, weil wir ab dem heutigen Tag die Reset-Taste gedrückt haben. Wir werden ab Mittwoch zur Kollaustraße zurückgehen. Wir werden hier (im Millerntor-Stadion, Anm. d. Red.) nicht mehr trainieren. Egal wie das Wetter ist, wir trainieren an der Kollaustraße. Egal wie die Platzverhältnisse sind, ob 30 Zentimeter Neuschnee liegen, ob Bäume umstürzen, oder ob Wasser auf den Plätzen ist. Das ist völlig egal. WIr werden anfangen, uns wieder an der Kollaustraße, an unserer Trainingsheimat, alles zurück zuerarbeiten, was vielleicht in den letzten Wochen auf der Strecke liegen geblieben ist. Wir werden anfangen, das was uns auf dem Platz im Moment fehlt, in den Trainingseinheiten je nach Witterungsverhältnissen zu entwickeln.

Wenn wir nicht mit dem Ball Fußball spielen können, dann werden wir uns entweder den Ball hin und her werfen, Laufen gehen oder wir werden Krafttraining machen. Selbst wenn wir die ganze Woche über Laufen oder Krafttraining machen.... Und wenn wir 30 Schneeschieber brauchen, um den Platz zu räumen, dann werden wir das als Mannschaft machen.

Wir werden Mittwoch zweimal trainieren, Donnerstag zweimal trainieren und Freitag zweimal trainieren. Sofern die Platzverhätlnisse es an der Kollaustraße nicht zulassen, werden wir vielleicht am Samstag hier ins Stadion gehen, ein Paar Pässe spielen und wieder fahren.

Ich bin bereit zu kämpfen, die letzten neun Spiele. Und jeder der das auch ist, ist jeden Tag zweimal herzlich willkommen beim Training. Wir werden uns alles zurück erarbeiten, was im Moment fehlt. Wir werden die Aggressivität auf den Ball, die Kreativität, die Torchancen zurückerarbeiten und wir werden uns auch diese positive Arroganz, die wir teilweise auf dem Platz hatten, zurückerarbeiten und eine positive Körpersprache - alles das was fehlt.

Wenn es gegen Oberhausen nicht klappt, dann klappte es in Cottbus. Wenn es in Cottbus nicht klappt, dann gehen wir das nächste Spiel an. Das ist völlig unabhängig von den Ergebnissen. Wir starten bei Null. Wir haben eine 9-Spiele-Saison vor uns und die werden wir am Mittwoch an der Kollaustraße beginnen. Wir werden definitiv nicht mehr hier am Millerntor trainieren, sondern das Stadion nur noch nutzen, um zu spielen.

Das große Problem, das wir zur Zeit in meinen Augen haben, ist die Angst etwas zu verlieren, was wir noch gar nicht haben. Und wir sind nicht geil darauf, etwas zu bekommen, was man noch nicht hat. Das ist unser großes Problem und das müssen wir uns wieder erarbeiten. Und deswegen starten wir praktisch am Mittwoch mit einer Vorbereitung auf die letzten neun Spiele.

Merci."

Zwischenfrage eines Journalisten: Wie haben die Spieler das denn aufgenommen, was Sie gesagt haben?

Stanislawski: "Sehr aufmerksam..."

Und werden auch alle zweimal am Tag zum Training kommen?

Stanislawski : "Wer nicht kommen sollte, bei dem gehe ich davon aus, dass er nicht bereit ist, die letzten neun Spiele zu kämpfen, weil das ist das, was man auf jeden Fall können muss. Wir müssen die Ärmel hochkrempeln und müssen uns alles das zurückholen, was uns im Moment aus welchen Gründen auch immer, fehlt. Ich glaube, dass die Angst, etwas zu verlieren ein bisschen im Naken sitzt. Und nicht der Gedanke, etwas positives erreichen zu können, was man noch nicht hat. Das ist im Moment unser größtes Problem. Und das werden wir uns da, wo wir angefangen haben, zurückholen."

Wenn man die Blicke Ihrer Spieler gesehen hat, und auch Sie sieht, diese Entschlossenheit, kann man sich als Oberhausener Spieler sicher nicht auf das Spiel am Sonntag freuen, oder?

Stanislawski : "Das sollte so sein. Ich finde es schade, dass heute erst Montag ist, weil ich würde am liebsten sofort anfangen. Aber die Jungs sollen ihre letzten anderthalb freien Tage kriegen, sie sollen ihren Spind unten ausräumen und sollen ihre Sachen rüber bringen. Die Kraftgeräte kommen zurück, die Matten kommen zurück, die Klamotten kommen zurück. Und wir werden da anfangen, wo alles begann. Bei Null, jeder einzelne Spieler. Ab Mittwoch hängen die neuen Gruppen aus und wir werden gruppenweise trainieren. Wir werden alles das, was wir uns über Monate erarbeitet haben, was wir in den letzten Wochen hier scheinbar verloren haben, uns zurückholen."

Aber es geht nicht soweit, dass sie beispielsweise einen neuen Kapitän ernennen?

Stanislawski : "Nein, aber wir starten mit einer Neun-Spiele-Rückrunde, die wir jetzt vor der Brust haben und ab Mittwoch fängt die Vorbereitung an. Und jeder kriegt seine Chance, jeder fängt bei null an, jeder wird neu beurteilt, es gibt keine Stammformation. Es gibt nur noch die, die im Training mit Leistung überzeugen und die werden dementsprechen auch spielen."

Das heißt, dass Sonderfälle wie Charles Takyi, bei dem Sie gesagt haben, Sie stärken ihm besonders den Rücken, auch wegfallen?

Stanislawski : "Wir stärken allen Spielern den Rücken, wenn wir das Gefühl haben, dass sie Gas geben. Ich geh davon aus, dass die Jungs sich freuen am Mittwoch um halbzehn auf dem Trainingsplatz zu stehen. So deute ich die Blicke der Spiele."

Wenn es eine neue Saison sein sollen, was geben Sie dann als Saisonziel aus?

Stanislawski : "18 Punkte... Nee 27 Punkte. Und wenn es gegen Oberhausen nichts wird, dann sind noch 24 Punkte im Topf. Wir werden jedes Spiel mit der gleichen Intensität, mit der gleichen Intention angehen. Wir wollen jedes Spiel gewinnen, egal wo wir spielen, egal gegen wen wir spielen. Wir gucken weder auf die Tabelle, noch sonst irgendwo hin. Die Tabelle ist im Moment 0:0 Tore und null Punkte und wir haben neun Spiele Zeit, so viele Tore wie möglich zu schießen, so wenig wie möglich zu bekommen und so viele Punkte wie möglich zu holen. Auf geht's!

Man merkt Ihnen die Entschlossenheit an. Basiert diese Entschlossenheit auch auf Enttäuschung?

Stanislawski : "Nein. Dass wir enttäuscht sind, ist klar, wenn die Ergebnisse nicht stimmen. Und noch schlimmer ist, wenn die Art und Weise, wie wir Fußball spielen nicht stimmen. Ihr wisst ja genau, dass ich kein ergebnisorientierter Mensch bin, sondern eher einer, der will, dass auf dem Platz etwas gezeigt wird. Und da hängen wir im Moment einfach unseren eigenen Erwartungen hinterher, das ist das Entscheidende. Und deshalb geben wir den Spielern eine gewisse Sicherheit an alter Wirkungsstätte, mit alten Tugenden, mit alten Abläufen wieder. Da erwarte ich von jedem einen Quantensprung in der Leistung, in der Aggresivität, in der Entschlossenheit. Und das wird auch so kommen. Ich bin 100-prozentig davon überzeugt."

Seit wann ist es Ihnen denn aufgefallen, dass es nicht mehr ganz so gut läuft?

Stanislawski : "Es läuft ja schon länger so. Wir haben hier immer mal eine positive Trainingseinheit aufs Tableau bekommen, aber unterm Strich ist das hier nicht unser Trainingsgelände, sondern unsere Spielstätte. Mittlerweile geht fast schon die Freude verloren, hier am Wochenende spielen zu dürfen, weil man hier jeden Tag trainiert. Es ist ähnlich wie ein Trainingslager und das wollen wir ändern. Wir werden bei uns trainieren, egal was für Witterungsverhältnisse herrschen. Wenn es donnert, schneit, regnet oder Hagel kommt - egal. Es könnte ein Erdbeben passieren, selbst das ist egal. Auch an dem Tag ist von halbzehn bis elf Uhr Training. Dann gibt es Schutzhelme, die werden aufgesetzt und dann geht es los."

Ist das eigentlich logisch zu erklären, dass Ihre Mannschaft in Duisburg sensationellen Fußball zeigt und dass das überhaupt gar nicht zu den übrigen Spielen passt?

Stanislawski : "Es passt zum Verlauf der Rückserie, weil wir mit Höhen und Tiefen spielen. Wir haben in Duisburg eine überragende erste Halbzeit gespielt und wir haben eine nicht so gute, aber trotzdem vernünftige zweite Halbzeit gespielt. Wir haben hier gegen Aachen eine gute erste Halbzeit gespielt, wir haben eine schlechte zweite gespielt. Es ist im Moment ein permanentes Auf und Ab. Und das ist auch mit der Leistung einzelner Spieler so, und mit der kompletten Mannschaft. Wir kriegen im Moment keine Konstanz über 90 Minuten hin.

Und nur ganz wenige Spieler kriegen überhaupt eine vernünftige Leistung hin und das ist ganz einfach der Grund, warum wir oder ich mich jetzt dazu entschlossen habe, nichts mehr weg zu delegieren. Gar nichts! Wir kümmern uns um alles selbst. Das Trainerteam kümmert sich um alles: ob der Platz geräumt werden soll oder nicht, ob der Rasen gemäht werden soll oder wir durch irgendwelche Kornfelder rennen müssen, weil das Gras so hoch ist, das ist völlig egal. Ob Butterblumen oder Maulwürfe auf dem Platz sind. Ich kann jedem Maulfwurf nur raten, sich ein neues Zuhause zu suchen, falls er sich an der Kollaustraße eingenistet hat. Da wird es laut.

Aber bei den Spielern gibt es keine Konsequenzen? Nicht, dass einer jetzt den Rest der Saison in der Zweiten Mannschaft spielt?

Stanislawski : "Das liegt an jedem Spieler selbst. Ich sag' ja, wir fangen mit der Tabelle, wir fangen mit den Spielen, wir fangen mit den Leistungen, wir fangen mit der Beurteilung bei allen bei null an. Und jeder hat die Chance, uns davon zu überzeugen, dass er der richtige ist im Kader oder nicht. Und es braucht keiner zu kommen: "Warum bin ich nicht im Kader?" Wenn er nicht im Kader ist, hat uns die Leistung nicht überzeugt. Wenn einer verletzt ist, bleibt er zu Hause."

Was ist mit den drei Spielern, die am Wochenende noch verletzt waren? Hennings, Rothenbach und Bourgault?

Stanislawski : "Ich hoffe, dass sie jetzt in dieser Woche wieder langsam mit einsteigen können. Bei Calle Rothenbach sieht es glaube ich ein bisschen besser aus, als bei Rouwen bisher. Bei "Jono" müssen wir gucken. Wir werden sehen, wer am Mittwoch mit dabei ist. Wir werden auch jeden verletzten Spieler dementsprechend trainieren, mehrmals täglich.

Wenn man zwischen den Zeilen liest, dann klingt es, als fühlten Sie sich ein bisschen alleine gelassen? Sie sagen ja, dass Sie sich jetzt um alles selbst kümmern wollen...

Stanislawski : "Das Schlimmste wäre, wenn ich mich jetzt aus irgendeiner Verantwortung stehlen würde. Ich bin der Hauptverantwortliche für den ganzen Haufen. Und ich gehe vorweg, wenn wir 5:1 irgendwo gewinnen und freue mich für die Jungs und ich stehe genauso vorne wenn wir 5:0 verlieren. Es wird niemals eine Situation eintreten, in der Holger Stanislawski sagt: Dafür sind andere Verantwortlich."

Wird sich von den Abläufen her irgendetwas ändern? Noch früherer Trainingsbeginn zum Beispiel?

Stanislawski : "Generell ist jetzt erstmal jeden Tag die nächste Zeit zweimal täglich Training und wenn wir eine Trainingseinheit streichen, sagen wir das denn Spielern direkt am Trainingstag. Wenn wir der Meinung sind, dass es besser ist. Wir wollen ja keinen kaputt trainieren. Aber wir werden viel trainieren und wir werden auch intensiv trainieren. Und wenn wir der Auffassung sind, die Jungs bräuchten einen halben Tag frei, dann werden wir denen das Mittags mitteilen. Aber die Jungs werden das positiv aufnehmen.

... die werden ganz schön überrascht gewesen sein, denn nach dem Spiel haben Sie noch darüber gesprochen, dass nicht alles schlecht war und dass Sie nicht in Aktionismus verfallen wollen.

Stanislawski : "Wir machen nicht alles richtig, wenn wir Spiele gewinnen und wir machen nicht alles falsch, wenn wir Spiele verlieren. Wir haben auch gestern nicht alles falsch gemacht. Wir haben gestern auch viele Situationen gehabt, wo wir die Tore machen müssen. Wir haben zwei oder drei Chancen vergeben und bekommen direkt zwei Tore. Die Fehler, sind gar nicht zu beschreiben, und das hab ich den Spielern, auch den beteiligten Spielern, so auch mitgeteilt, was ich davon halte. Also das ging von Note sechs bis Bundesligauntauglich und was weiß ich so alles.

Aber es geht auch darum, dass jedem bewusst wird, was wir uns bis jetzt alles hart erarbeitet haben. Und es braucht keiner Angst haben, etwas zu verlieren. Wir haben nichts. Ein Handy kann ich verlieren. Ich kann meine Uhr verlieren oder mein Portmonee. Aber wir können nichts verlieren, wir können nur etwas gewinnen. Und dafür haben wir neun Spiele Zeit und das wollen wir so angehen. Und dann wollen wir mal gucken, was wir am Sonntag aufs Feld kriegen."