Hamburger Clubs sind Vorreiter bei der Umstellung auf nachhaltige Produkte – und waren dafür gemeinsam in Indien. Vertreter berichten.

Die Gruppe, die sich Ende Januar auf den Weg nach Westindien in den Bundesstaat Gujarat machte, war auf den ersten Blick ungewöhnlich besetzt: Vertreterinnen und Vertreter des HSV und des FC St. Pauli besuchten gemeinsam mit den Delegationen der Fußball-Bundesligaclubs Borussia Dortmund, Werder Bremen, VfB Stuttgart, 1. FC Union Berlin, Eintracht Frankfurt und VfL Wolfsburg Baumwollbetriebe, die finanziell und strukturell dabei unterstützt werden sollen, die Produktion auf regenerativen Anbau von Bio-Baumwolle umzustellen.

Auslöser für die ungewöhnliche Allianz war die Initiative „Vom Feld in den Fanshop“, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gemeinsam mit dem in Buchholz in der Nordheide ansässigen Textilunternehmen Brands Fashion gegründet hat. Das Projekt besteht aus zwei Säulen: Erstens sollen 450 Kleinbäuerinnen und Kleinbauern bei der Umstellung auf nachhaltigen Anbau unterstützt werden. Und zweitens werden 1000 Kinder und Jugendliche mit Sportangeboten gefördert.

Ein Baumwollfeldin Westindien, dasdie acht Bundesligaclubs währendihrer Reise besichtigten.
Ein Baumwollfeldin Westindien, dasdie acht Bundesligaclubs währendihrer Reise besichtigten. © Privat | Privat

Für den FC St. Pauli waren Bernd von Geldern (Geschäftsleiter Wirtschaft) und Catharina Fricke (Operative Leitung Merchandising) vor Ort, der HSV war mit Merchandisingleiter Sascha Steinbrück und Marieke Patyna (Chief Strategy, People & Sustainability Officer) vertreten. Um von ihrer Reise, die sie nachhaltig beeindruckt hat, zu berichten, trafen sich Steinbrück und Fricke auf neutralem Boden – in der Abendblatt-Redaktion am Großen Burstah.

Frau Fricke, Herr Steinbrück, mit welchen Eindrücken sind Sie von Ihrer einwöchigen Reise zurückgekehrt?

Catharina Fricke: Ich bin ja ansonsten eher in Europa unterwegs, um mir unsere Produktionsstätten anzuschauen. Aber den Menschen vor Ort in die Augen schauen zu können, zu erfahren, wie in Indien die Arbeits- und Lebensbedingungen sind, war schon äußerst beeindruckend und auch wichtig.

Sascha Steinbrück: Das kann ich nur unterstreichen. Die erste Säule der Initiative, die Bio-Baumwolle, stand vor dem Hinflug natürlich stärker im Fokus. Aber während der Reise hat sich das verschoben. Besonders bewegend war für uns, mit wie wenigen Mitteln wir dort so viel für die Kinder und Jugendlichen tun können, wie zum Beispiel den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Gerade jungen Mädchen können wir mit Sportangeboten helfen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken.

Wie sah das konkret aus?

Steinbrück: Wir geben Ihnen ein Beispiel. Am ersten Tag haben wir ein Baumwollfeld besucht. Zweieinhalb Stunden ging es über sehr interessante Straßen übers Land, und plötzlich stand da eine Schule, die Bauern für ihren Nachwuchs errichtet haben. 230 kleine Kinder saßen vor uns, die keine Mathe- und auch keinen Englischlehrer haben. Sie erhalten Unterricht über Smart Learning, über den Bildschirm. Im Schnitt gibt es dort aber nur acht Stunden Strom am Tag, meistens in der Nacht. Also sitzen die Kinder oft tagsüber da und können nichts lernen. Wir bauen ihnen jetzt eine Solaranlage aufs Dach. Das kostet nicht viel. So haben die Kinder Zugang zu Bildungsangeboten und können an einer besseren Zukunft mitarbeiten.

Fricke: Spätestens in Momenten wie diesen war es auch egal, wer von welchem Club kommt, ob vom HSV, dem FC St. Pauli oder von Werder Bremen.

Wie liefen die Treffen mit den Menschen auf den Baumwollfeldern ab?

Fricke: Wir sind sehr freundlich begrüßt worden, allerdings war schon klar zu sehen, dass Frauen in Indien eine andere Stellung haben als Männer.

Weil die Frauen nicht reden dürfen?

Fricke: Wir haben erlebt, dass Frauen sich bei unserem Anblick vermummt haben und weggegangen sind.

Steinbrück: Gerade solche Erfahrungen zeigen, wie wichtig es ist, schon bei den Kindern anzusetzen. Während unseres Aufenthalts gab es auch ein Sportfest, dort haben wir erlebt, wie ein neunjähriges Mädchen sich getraut hat, in die Mitte zu gehen und selbstbewusst zu kritisieren, was bei einem Spiel nicht gut gelaufen ist.

Ihre Delegation bestand aus Vertreterinnen und Vertretern von acht Vereinen aus der Fußball-Bundesliga und der Zweiten Liga, die über Brands Fashion verbunden sind. Wie wollen Sie jetzt das Thema weiter vorantreiben?

Fricke: Auf jeden Fall werden wir versuchen, es in der Nachhaltigkeitskommission der Deutschen Fußball Liga (DFL) zu platzieren. Einen Arbeitskreis Merchandising gibt es beim Verband bisher leider nicht.

Ein offenbar strukturelles Versäumnis, das die DFL schleunigst beheben sollte.

Fricke: Dafür kämpfen wir seit zehn Jahren. Entscheidend ist, dass unsere Reise nicht ein einmaliger Besuch bleibt, sondern wir regelmäßig vor Ort sein werden und der Austausch mit den Menschen weitergeht. Das gilt es, gezielt zu planen, wann wir das nächste Mal hinfahren und schauen, wie der Neu- oder Ausbau einer Schule vorankommt.

Was sind die nächsten Schritte? Wann kommen die ersten Bio-Baumwollprodukte zum HSV und zum FC St. Pauli?

Fricke: Die Umstellung von konventioneller auf Bio-Baumwolle dauert mindestens drei Jahre. Mit der ersten Ernte der Bio-Baumwolle ist frühestens im Jahr 2027 zu rechnen.

Steinbrück: Aber wir garantieren den 450 Unternehmen natürlich schon vorher Abnahmequoten. Wir können ja nicht sagen: Investiert bitte und lebt dabei von euren Rücklagen. Sie brauchen finanzielle Sicherheit.

Was ist denn der große Unterschied bei der Baumwoll-Anpflanzung?

Fricke: Für konventionelle Baumwolle werden gefährliche Pestizide genutzt und wird viel Wasser verbraucht. Beim Anbau von Bio-Baumwolle wird natürlicher Dünger verwendet, die Böden sind nährstoffreicher, und selbstverständlich wird auf die Arbeitsbedingungen der Bauern auf den Feldern geachtet. Das alles haben wir uns angesehen. Bis zur Ernte steckt weit mehr Arbeit dahinter als auf einem normalen Baumwollfeld.

Trotzdem hoffen Sie auf Nachahmer.

Steinbrück: Wir wissen, dass dies dauern wird. 45 Millionen Menschen verdienen in Indien ihr Geld mit dem Anbau und der Verarbeitung von Baumwolle. Ich kann mir vorstellen, dass deren Lebensumstände nicht automatisch zu einer Sensibilität für biologischen, nachhaltigen Anbau führen.

Fricke: Das funktioniert eben nur, wenn sie – wie in unserem Fall – unterstützt werden. Wenn ich ansonsten daran denke, was wir an Müllbergen gesehen haben ...

Steinbrück: ... kilometerlange Plastikfelder an den Straßenrändern.

Fricke: Das war schon bitter. Da herrschte in unserem Auto erst mal lange Zeit Stille. Für umso wichtiger halte ich es, dass wir mit Projekten wie diesem ein Bewusstsein für die ökologischen Herausforderungen schaffen.

Sein Trikot lässt der FC St. Pauli in der Türkei herstellen, was kommt aus Indien?

Fricke: Die schwarz-weißen T-Shirts mit dem Totenkopf zum Beispiel.

Steinbrück: Wir lassen aktuell die Kinder- und Babykollektion in der sogenannten, ökologisch umgebauten Green Factory produzieren.

Überhaupt fällt auf, dass der HSV mehr als 100 Produkte im Online-Fanshop als „nachhaltig“ gekennzeichnet hat. In einem Ranking der gemeinnützigen Gesellschaft cum ratione belegt der HSV unter den 36 Erst- und Zweitligaclubs Rang drei, der FC St. Pauli führt das Ranking an. Wie groß ist der Rückstand auf St. Pauli, Herr Steinbrück?

Steinbrück: Zunächst einmal finde ich, dass Hamburg stolz sein kann, dass wir diese Plätze belegen. Da liegen andere Vereine im Mittelfeld, die finanziell ein ganz anderes Potenzial haben. Aber es war wichtig anzufangen, voranzugehen. Noch macht Bio-Baumwolle nur einen verschwindend geringen Anteil an der weltweiten Produktion aus. Aber umso wichtiger ist es, dass wir als Fußballvereine, die eine so wahnsinnige Strahlkraft haben, erzählen, dass es möglich ist, vernünftige, nachhaltige Kleidung einzukaufen.

Können Sie in Prozenten ausdrücken, wie nachhaltig der HSV im Merchandising ist?

Steinbrück: Auf jeden Fall liegt die Quote höher als 50 Prozent, Tendenz steigend, auch wegen des Projekts, das wir in Indien gemeinsam vorantreiben. Im Vergleich zum FC St. Pauli ist der Anteil nachhaltiger Produkte niedriger, da wir beim Ausrüster Adidas keinen direkten Einfluss haben. Dennoch haben wir großes Vertrauen, dass die Ware auch entsprechend aus Materialien wie recyceltem Polyester kommt.

Sie sagen „gemeinsam“. Das klappt trotz der Rivalität beider Clubs?

Steinbrück: Diese Rivalität sollte sportlich fair auf dem Platz ausgetragen werden. Im Merchandising sehe ich hingegen keine Konkurrenzsituation. Im Gegenteil, wir pflegen einen offenen Austausch.

Diese Aussage überrascht uns etwas.

Steinbrück: Ein HSV-Fan würde nie mit einem Totenkopf herumlaufen, umgekehrt kein St.-Pauli-Anhänger mit der Raute. Wenn wir beide einen guten Job machen, befruchtet sich das gegenseitig. Da wir in einer Stadt leben, möchten die Fans natürlich auch zeigen, zu welchem Verein sie gehören.

Fricke: Wir stehen regelmäßig in gutem Kontakt. Wir sitzen ja nicht das erste Mal nebeneinander. Sascha hat mich auch schon dazu eingeladen, bei der Merchandising-Messe über unser Projekt Di!Y zu referieren.

Das müssen wir kurz erklären. St. Paulis Marke Di!Y leitet sich von „Do it yourself“, mache es selber, ab. Ihr Club hat den Anspruch, die nachhaltigste Teamsportkollektion der Welt anzubieten.

Fricke: Das Ganze fing 2016 an, als ein 17 Jahre junges Mädchen während unserer Mitgliederversammlung den Antrag gestellt hat: Bitte stellt euer ganzes Sortiment um. Und inzwischen geschieht dies seit 2017 Stück für Stück, mittlerweile liegen wir bei etwa 85 Prozent. Bei jeder Neuproduktion versuchen wir, das Ganze besser zu machen, eine bessere Produktionsstätte und einen Lieferanten zu finden, der die Lieferkette einhält. Das beinhaltet auch unser eigenes Nachhaltigkeitssiegel „Not perfect, but better“. Wir sind nicht perfekt, aber wir können unsere Fanartikel besser machen.

Sind 100 Prozent zu erzielen?

Fricke: Wir sind auf einem guten Weg, aber 100 Prozent sind eine Herausforderung. Die Produkte dürfen natürlich auch nicht zu teuer werden, sollen noch sozialverträglich sein.

Wäre es für den HSV nicht auch ein schönes Ziel, sein Trikot in Zukunft selbst herzustellen?

Steinbrück: Sie können sich vorstellen: Als sich der FC St. Pauli zu diesem Schritt entschieden hat, erzeugte dies bei jedem Club Druck, jede Merchandisingabteilung musste das einmal für sich durchrechnen, nach dem Motto: St. Pauli macht das, warum können wir das nicht auch?

Wie lautete Ihr Ergebnis?

Steinbrück: Für uns würde sich das aktuell nicht rechnen. Vergessen Sie nicht, dass bei uns Sponsoring-Summen wie von unserem treuen und langjährigen Partner Adidas dahinterstehen, die wir ausgleichen müssten. Der FC St. Pauli hat die passenden wirtschaftlichen Voraussetzungen und vor allem die Erfahrung der handelnden und verantwortlichen Personen um und mit Catharina.

Weil Sie gerade das Thema Geld ansprechen: Gibt es am Ende nicht doch finanzielle Zwänge? Ihre Abteilungen müssen doch dafür sorgen, möglichst viel Geld für ihre Clubs einzusammeln.

Fricke: Vor dem Problem stehen wir natürlich alle, dass viele sagen: Alles gut und schön, aber wir wollen immer noch nur 20 Euro für ein T-Shirt bezahlen. Aber erinnern Sie sich: Vor zehn Jahren hieß es noch: Nachhaltigkeit ist viel zu teuer. Heute ist es möglich, ein gutes Produkt vernünftig herstellen zu lassen, welches auch noch erschwinglich ist für den normalen Fußballfan.