Hamburg. Angreifer spielte verletzt gegen Hertha und fällt nun monatelang aus. Königsdörffer könnte ihn ersetzen. Aber wer kümmert sich um Transfers?

Dieses Bild wird in Hamburg niemand so schnell vergessen. Wie Bakery Jatta nach dem letzten Pfiff dieser Saison auf der Auswechselbank neben HSV-Urgestein und Ersatztorhüter Tom Mickel saß und den Kopf in seinen Händen vergrub. Als er kurz hochschaute, konnte man es sehen: Jatta weinte nicht, er heulte. 0:2 hatte sein HSV gerade das Relegationsrückspiel gegen Hertha BSC nach dem 1:0 im Hinspiel verloren – und damit die seit vier Jahren erhoffte Rückkehr in die Bundesliga verpasst. „Alles aus“, titelte das Abendblatt am nächsten Morgen.

Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wusste – möglicherweise auch Jatta selbst nicht: Die Überschrift passte nicht nur zum zerstörten Traum des HSV, sondern auch zum zerstörten Oberschenkel des Gambiers. Denn dieser musste für den Traum einer Rückkehr in die Bundesliga regelrecht dran glauben.

Für den Traum vom Aufstieg geopfert: Jatta fällt mit Muskelbündelriss aus

Die vom Verein kommunizierte Dia­gnose wenige Tage später: Jatta habe sich eine schwere Muskelverletzung zugezogen. Die interne, etwas genauere Diagnose: ein heftiger Muskelbündelriss. Zur Erklärung: Während bei einem Faserriss die Funktionalität des betroffenen Muskels weitgehend erhalten bleibt, fällt bei einem Muskelbündelriss der Muskel nahezu komplett aus. Eine Pause von mehr als zwei Monaten ist normalerweise die Folge dieser schweren Verletzung.

Als Jatta die Diagnose hörte, dürfte ihm ein zweites Mal zum Heulen zumute gewesen sein. Der Afrikaner ist derzeit mit seiner Freundin ein paar Tage unterwegs, um auf andere Gedanken zu kommen. Eine seit Langem geplante Reise in seine Heimat Gambia hat er dagegen storniert, um möglichst früh mit der entsprechenden Reha in Hamburg zu beginnen.

Einschätzung vor dem Rückspiel war falsch

Die Verletzung ist auch deswegen so ärgerlich, weil sie möglicherweise zu verhindern gewesen wäre. Bereits im Hinspiel in Berlin musste Jatta nach 73 Minuten mit muskulären Problemen am Oberschenkel raus – und konnte an den Tagen zwischen den beiden Relegationsspielen nicht mehr trainieren. Am Tag vor dem Rückspiel sagte HSV-Trainer Tim Walter: „Nach momentanem Stand sind alle fit.“ Wie man heute weiß, nachdem Jattas Oberschenkel durch eine MRT-Untersuchung genauer überprüft wurde, war diese Einschätzung falsch. Die Verletzung wurde mutmaßlich nur deswegen so schlimm, weil Jatta sich und seinen Oberschenkel nicht schonte und auch im Rückspiel alles gab.

Doch Jatta war in dieser Saison nicht der Einzige, der sich für den großen Traum buchstäblich zerriss. Ähnlich war es auch bei Josha Vagnoman und Maximilian Rohr, die trotz komplexer Muskelverletzungen beide zu früh mit dem Training starteten. „Dreimal habe ich zu früh angefangen“, gab Rohr im Abendblatt-Podcast „HSV – wir müssen reden“ offen zu. Die Folge: Vier Muskelfaserrisse und ein Sehnenriss in nur einer Saison sorgten dafür, dass Rohr gleich 19 Spiele in dieser Saison verletzungsbedingt verpasste. Bei Vagnoman waren es nach „nur“ einem Faserriss und einem Sehnenriss sogar 21 Spiele, in denen er nicht zur Verfügung stand.

Dresdens Königsdörffer gehört zu den Wunschkandidaten beim HSV

Während Rohr und Vagnoman nun fit sind, wird Jatta erst Ende Juli wieder zurückerwartet. Damit verpasst der Dauerbrenner (seit 2016 in Hamburg), der nach Mickel (2015) dienstältester HSV-Profi ist, neben der Vorbereitung auch den Saisonstart am 15. Juli – und sorgt somit dafür, dass der HSV seine Planspiele für ohnehin benötigte Neuzugänge auf den Flügeln intensivieren muss.

Wie das Abendblatt bereits berichtete, soll eines dieser Planspiele auf den Namen Ransford-Yeboah Königsdörffer (20) hören. Der dynamische Rechtsfuß ist ein ähnlicher Spielertyp wie Jatta, kann auf dem rechten und linken Flügel spielen. Königsdörffer stieg gerade mit Dynamo Dresden in die Dritte Liga ab und soll dem Vernehmen nach an einem Verbleib in der Zweiten Liga sehr interessiert sein.

Beim HSV findet man das Profil Königsdörffers spannend, hat bislang aber weder bei Dresdens Sportchef Ralf Becker noch bei Königsdörffers Berater Artur Beck eine offizielle Anfrage hinterlegt. Einer der Gründe: Trotz Dynamos Abstieg dürfte der Nachwuchsnationalspieler, der einen Marktwert von einer Million Euro hat und einen Vertrag bis 2023, nicht billig werden.

HSV-Führungsstreit verkompliziert das Agieren auf dem Transfermarkt

Die Verletzung Jattas setzt die HSV-Verantwortlichen unter Druck. Denn während Aufstiegskonkurrenten munter Spieler verpflichten, ist beim HSV noch immer nicht geklärt, wie viel Geld genau zur Verfügung steht und wer sich in Zukunft um Transfers überhaupt kümmert. Der Streit in der Führung (Abendblatt berichtete) scheint die Entscheidungsprozesse zusätzlich verkompliziert zu haben.

Anders ist es auch kaum zu erklären, dass eine Woche nach dem letzten Pfiff dieser Saison noch immer kein neuer Spieler für die kommende Saison verpflichtet ist. Zur Erinnerung: Die Abgänge der Offensivkräfte Faride Alidou (nach Frankfurt), Manuel Wintzheimer (Nürnberg) und Giorgi Chakvetadze (zurück nach Gent) sind perfekt, über die Zukunft von Kopenhagens Mikkel Kaufmann will Sportdirektor Michael Mutzel mit dessen Berater Allan Jensen noch einmal zeitnah sprechen.

Und Jatta? Der Oberschenkel schmerzt noch, aber die Tränen sind getrocknet. Für ihn steht fest: Sobald der Muskel wieder geheilt ist, wird er sich wieder zerreißen.