Hamburg. Für den HSV geht es in Rostock um die Relegation, um die Zukunft der Verantwortlichen, um einen Riesenerfolg und um ganz viel Geld.

Tim Walter war sauer. Der Trainer des HSV schimpfte am Freitagvormittag mit seiner Mannschaft. Das Wort „Frechheit“ war zu hören. Walter war nicht einverstanden mit der Trainingsleistung seiner Profis zwei Tage vor dem letzten Saisonspiel der Zweiten Liga bei Hansa Rostock am Sonntag (15.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de). Am Ende ging der Hamburger Chefcoach schnellen Schrittes noch vor allen anderen Spielern in die Kabine. War Walter genervt? Wollte er seine Mannschaft vor dem Saisonfinale wachrütteln? Oder war alles nur ein Spiel?

Es ist mehr als nur ein Spiel, wenn der HSV am Sonntag in die Relegation um den Bundesligaaufstieg einziehen kann. Eine ganze Saison steht dann auf dem Spiel. Es geht darum, wie die Arbeit eines gesamten Jahres von Walter abschließend bewertet wird. Es geht um die Zukunft der gesamten Clubführung. Es geht darum, den womöglich größten HSV-Erfolg der vergangenen Jahre zu feiern. Und es geht um sehr viel Geld.

Was die Rückkehr in die Bundesliga für den HSV bedeutet

Zieht der HSV zunächst in die Relegation und dann in die Bundesliga ein, könnte der Club einen Ausweg finden aus der angespannten Finanzlage. Alleine für ein dann wohl ausverkauftes Volksparkstadion im Relegationsrückspiel könnten die Verantwortlichen mit Mehreinnahmen von 1,5 Millionen Euro rechnen. Vor allem aber könnte der HSV bei einer Rückkehr in die Bundesliga wieder den Anschluss herstellen bei den Einnahmen aus der TV-Vermarktung.

HSV-Vorstand Thomas Wüstefeld hatte im Abendblatt-Interview vor einer Woche über die Finanzlage gesagt: „Wir haben uns gut aufgestellt und stehen solide da. Wir haben in den vergangenen Monaten gut gewirtschaftet.“ Doch ein Bericht der „Bild“-Zeitung am Freitag machte noch einmal deutlich, dass der HSV vor schweren wirtschaftlichen Herausforderungen steht. Demnach fehlen dem Club derzeit zehn Millionen Euro, um die notwendigen Arbeiten am Volksparkstadion für die fünf Heimspiele der Europameisterschaft 2024 zu finanzieren.

Großteil des Geldes wurde bereits in den laufenden Betrieb gesteckt

Diese sollen in der Winterpause beginnen und eigentlich mit den 23,5 Millionen Euro finanziert werden, die der HSV im Zuge des Grundstücksverkaufs von der Stadt Hamburg erhalten hatte. Doch der Großteil des Geldes wurde bereits in den laufenden Betrieb gesteckt, um die Umsatzverluste durch die Corona-Pandemie aufzufangen. Der ehemalige Finanzvorstand Frank Wettstein, der den Deal mit der Stadt aushandelte, hatte früh signalisiert, dass das Geld auch für andere Zwecke verwendet werden kann. Und das tat der HSV.

Wüstefeld sagte dazu im Abendblatt: „Die Stadt hat das Grundstück unter dem Stadion gekauft und hat dafür Mittel überwiesen. Diese Mittel sind in unserem Etat berücksichtigt, wir bewerten aktuell die damit in Verbindung stehende wirtschaftliche Situation.“ Heißt übersetzt: Das Geld ist zu weiten Teilen ausgegeben. Der „Bild“ sagte Wüstefeld nun: „Die Mittel standen bei meiner Übernahme so explizit nicht mehr zur Verfügung.“

Einfacher wird die Finanzlage dauch durch Kredite nicht

Die wahrscheinlichste Lösung wäre, dass der HSV einen Kredit aufnimmt, um die Kosten zu bezahlen. Doch einfacher wird die Finanzlage dadurch nicht. In den kommenden Jahren bis 2026 muss der Club unter anderem die Fananleihe von 2019 (17,5 Millionen Euro) sowie das Schuldscheindarlehen von 2016 (40 Millionen Euro) vollständig zurückzahlen. Die Tilgung läuft aktuell nach Plan.

Trotzdem ist klar, welche wirtschaftliche Bedeutung ein Aufstieg für den HSV hätte. Auch die Verantwortlichen hätten eine stärkere Position, wenn es um die Frage geht, wie sich der HSV nach der Saison in der Führung aufstellt. Schließlich muss der Aufsichtsrat zeitnah klären, ob Wüste­feld über das Jahresende hinaus im operativen Geschäft tätig bleibt.

Was im Falle des Aufstiegs in Hamburg wohl los sein wird

Tim Walter will von alldem nichts wissen. „Das interessiert mich gar nicht“, sagte der 46-Jährige am Freitag. Den Trainer nerven vielleicht mal die Trainingsleistungen seiner Spieler – die offenen Fragen zur sportlichen Zukunft und zur ungewissen Ligazugehörigkeit dagegen nicht. „Wenn mich diese Situation nerven würde, wäre es besser, wenn ich einen anderen Job ausübe. Genau dafür machen wir das doch“, sagte Walter, der den HSV mit einer Serie von zuletzt vier Siegen in die Situation gebracht hat, am Sonntag mit einem Auswärtssieg sogar direkt aufsteigen zu können, sollte Werder Bremen gleichzeitig gegen Jahn Regensburg verlieren. „Es ist einfach nur schön, dass wir es geschafft haben, am Saisonende so ein Spiel zu haben.“

Was im Falle des Aufstiegs in Hamburg los sein würde, kann man sich vorstellen. Seinen Bart will Walter aber auch dann nicht loswerden. „Ich habe mir vorgenommen, an Weihnachten den Weihnachtsmann zu spielen, von daher lasse ich ihn noch wachsen. Grau ist er ja schon“, sagte Walter und grinste.

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HSV: Gedämpft wurde die Vorfreude durch die Verletzung von Suhonen

Ein wenig Lockerheit wird wichtig sein, wenn der HSV in Rostock bestehen will. Hansa hat den Klassenerhalt seit Wochen sicher, will die Hamburger aber trotzdem ärgern. „Wir werden dem HSV nicht den roten Teppich ausrollen. Es ist fast wie ein Pokalspiel“, sagte Trainer Jens Härtel. Doch auch im Volkspark ist das Selbstbewusstsein groß. „Ich kenne niemanden, der nicht aufsteigen will, und wir wollen auch aufsteigen. Und ich glaube, wir sind jetzt als Team gefestigt genug, um eine ganz besondere Geschichte zu schreiben“, sagt Sportvorstand Jonas Boldt am Sonnabend im „SZ“-Interview.

Gedämpft wurde die Vorfreude in dieser Woche nur durch die Verletzung von Anssi Suhonen (21), der sich im Training einen Wadenbeinbruch zugezogen hatte. Walter besuchte den Finnen am Freitag im Krankenhaus. „Die Jungs sind in Gedanken bei ihm“, sagte Walter. Aber: „Das war zu Beginn der Woche. Am Wochenende geht’s nur darum, voller Freude und Energie zu sein.“

Rostock: Kolke – Riedel, Malone, Roßbach, Neidhart – Fröde, Rhein – Duljevic, Ingelsson, Sikan – Verhoek.

HSV: Heuer Fernandes – Heyer, Vuskovic, Schonlau, Muheim – Meffert – Reis, Kinsombi – Jatta, Glatzel, Kittel.

Für das Benefizspiel zugunsten der Ukraine am 28. Mai konnte der HSV nach Thomas ­Gravesen auch Jörg Albertz gewinnen.