Hamburg. Wer steigt auf, wer bleibt in Liga zwei? Ein Mathematiker kennt die Antworten – er hatte in Bezug auf den HSV schon einmal recht.
Timo Schultz ist kein großer Rechenkünstler. Das hat der Trainer des FC St. Pauli schon vor einem Jahr zugegeben. „Ich war nie gut in Mathe“, sagte der ehemalige Sportstudent vor ziemlich genau zwölf Monaten, als es um die Rechnung für den Klassenerhalt des Kiezclubs ging. Dabei war die Wahrscheinlichkeit, dass St. Pauli noch absteigen konnte, zu diesem Zeitpunkt ohnehin gleich null. Und so kam es dann ja auch. Da musste Schultz nicht einmal das kleine Einmaleins anwenden.
Im April 2022 sieht die Lage anders aus. Noch immer hat Schultz keine Fortbildung in Mathematik gemacht. Dafür aber hat der 44-Jährige seine Mannschaft erheblich weiterentwickelt. Und darf daher nun darüber nachdenken, wie viele Punkte in dieser Saison für den Bundesliga-Aufstieg reichen.
Zweite Liga: HSV beim Nordderby in Kiel
Die gleiche Frage stellen sich auch die Verantwortlichen des HSV. Sechs Spieltage vor Schluss kämpfen noch immer sieben Mannschaften um die ersten drei Plätze. Den 29. Spieltag hätte man in dieser Konstellation kaum besser konfigurieren können. Allein der HSV kann sich in aller Ruhe anschauen, was die anderen Mannschaften am Super-Sonnabend machen. Alle sechs Konkurrenten um den Aufstieg spielen in direkten Duellen gegeneinander.
Tabellenführer Werder Bremen (52 Punkte) tritt beim Dritten St. Pauli (51) an. Der Zweite Darmstadt 98 (51) muss beim Tabellenfünften 1. FC Nürnberg (46) ran. Und der FC Schalke 04 (50) spielt als aktueller Vierter gegen den FC Heidenheim (45). Der HSV (45) ist erst am Sonntag dran, wenn das Nordderby in Kiel ansteht.
HSV hat höhere Chance auf zweiten Platz
„Man kann die DFL mal loben, so einen Spieltag entworfen zu haben. Und das geht die nächsten Wochen so weiter. Was gibt es Schöneres“, sagte Schultz. St. Paulis Chefcoach muss kein Kenner des Dreisatzes sein, um zu wissen, dass vor allem seine Mannschaft an den nächsten Spieltagen nicht nur mathematisch richtige schwere Aufgaben zu lösen hat. St. Pauli spielt an den letzten sechs Spieltagen gegen vier Aufstiegskonkurrenten: Nach Bremen geht es noch gegen Darmstadt, Nürnberg und Schalke 04.
Die Tabelle zeigt, wie viele Punkte für welchen Platz reichen könnten. Mit 66 Punkten wird ein Club mit höchster Wahrscheinlichkeit (23 Prozent) Erster.
Das ist auch der Grund, warum dem Stadtteilverein geringere Chancen ausgerechnet werden, am Ende der Saison auf einem der ersten drei Plätze zu stehen. Wie Ulrich Kortenkamp von der Universität Potsdam ausgerechnet hat, landet St. Pauli nach dem 34. Spieltag mit einer Wahrscheinlichkeit von 30,9 Prozent auf Platz fünf. Dem Professor für Mathematik-Didaktik zufolge liegt die Chance auf den direkten Aufstieg nur bei 5,8 Prozent für Platz zwei. Erstaunlich: Sogar der HSV, aktuell sechs Punkte hinter St. Pauli, hat eine höhere Wahrscheinlichkeit, am Ende Zweiter zu werden (6,3 Prozent).
Ranking liefert stabile Prognose
Die Formel, die Kortenkamp zusammen mit seinem Kollegen Matthias Ludwig vor einigen Jahren entwickelt hat und die sie für alle Paarungen des Restprogramms zehntausendfach simuliert haben, funktioniert in etwa wie folgt: Mannschaftswert + Torschusswahrscheinlichkeit + Hinspielresultat = Spielergebnis. Heraus kommt ein Ranking, das natürlich keine verlässliche Vorhersage, aber durchaus eine stabile Prognose liefert, wie viele Punkte in dieser Saison für welchen Platz benötigt werden.
Die Tabelle zeigt, welcher Club mit welcher Wahrscheinlichkeit auf welchem Platz landet. Der HSV wird zu 31,2 Prozent Wahrscheinlichkeit wieder Vierter.
Demnach braucht ein Club mindestens 57 Punkte, um Relegationsplatz drei zu erreichen. Wahrscheinlicher aber ist, dass man dafür 61 Punkte holen muss (27 Prozent, siehe Tabelle oben links). Der HSV (45 Punkte) bräuchte in den verbleibenden sechs Spielen also noch fünf Siege und ein Unentschieden, um sicher Dritter zu werden. Möglich aber auch, dass sogar weniger Punkte reichen.
„Wir wollen keine Hochrechnungen anstellen"
Die besten Aufstiegschancen hat Kortenkamps Rechnung zufolge überraschenderweise der FC Schalke 04 mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von 48,7 Prozent auf Platz eins. Werder würde zusammen mit den Schalkern in die Bundesliga zurückkehren. „Wir wollen keine Hochrechnungen anstellen, sondern wirklich Spiel für Spiel angehen“, floskelt Bremens Mann für die Zahlen, Sport-Geschäftsführer Frank Baumann.
Die beiden Hamburger Clubs treffen sich der Rechnung nach in der kommenden Saison erneut zum Stadtderby in Liga zwei. So weit die Theorie. In der Praxis hat die Formel eine Schwäche: Der Heimspiel-Faktor wird nicht berücksichtigt. Und der FC St. Pauli holt seine meisten Punkte am Millerntor.
Zweite Liga: HSV könnte Vierter werden
Schultz und sein Team könnten die Rechnung daher auf den Kopf stellen, schließlich hat die heimstärkste Mannschaft der Liga noch vier Heimspiele, drei davon gegen die direkten Konkurrenten. Schultz hat zwar kein Mathe-Studium, aber diese Zahlen kann er durchaus lesen. „Wir sind die beste Heimmannschaft und wollen das gerne bleiben. Das kann auf jeden Fall ein Faktor werden.“
Vor fünf Jahren hat Mathe-Professor Kortenkamp schon einmal eine Vorhersage für den HSV errechnet. 2017 sagte er neun Spieltag vor Schluss voraus, dass die Hamburger am Ende mit 38 Punkten den Klassenerhalt schaffen werden. So kam es auch. Sollte Kortenkamp erneut recht behalten, wird der HSV am Ende zum vierten Mal in Folge Vierter. Ein Schmankerl für Freunde von Zahlenspielen – ein Albtraum für alle HSV-Fans. Aber die Geschichte hat eines gelehrt: Beim HSV muss man mit allem rechnen.