Hamburg. HSV-Investor verkaufte 5,11 Prozent an Thomas Wüstefeld. Zuvor war ein lukrativer Deal geplatzt. Welche Rolle spielte Kühnes Vertrauter?
Es ist schon eine ganze Weile her, dass die Streamingriesen Netflix und Amazon Prime auch den HSV im Fokus hatten. 2019 war es, als Sportvorstand Jonas Boldt eine Reihe von Angeboten ablehnen musste. Dabei könnte man das, was das Abendblatt in zahlreichen Gesprächen in den vergangenen zwei Wochen herausgefunden hat, durchaus auch als Netflix-HSV-Serie anbieten. Ein möglicher Titel: „Der Investor“. Oder vielleicht besser: „Die Investoren“.
Der mögliche Plot dieser Serie klingt jedenfalls vielversprechend. Es gibt da den einen großen Anteilseigner, der seine Anteile eigentlich verkaufen will. Es gibt schillernde Interessenten, einen Vertrauensmann, Streit zwischen den Protagonisten und dann auch noch einen Mega-Millionendeal, der auf der Zielgeraden platzt. Zum Ende der Staffel scheint ein Happy End aber möglich, denn ein neuer Investor taucht plötzlich aus dem Nichts auf, kauft für viele Millionen Anteile und arbeitet dann auch noch pro bono für den Club. Zu schön, um wahr zu sein? Das erfahren die Zuschauer dann in der zweiten Staffel.
Kühnes HSV-Anteile: Gab es beim Verkauf einen Interessenkonflikt?
Das wahre HSV-Leben ist natürlich keine Netflix-Serie. Doch die Geschichte rund um Milliardär Klaus-Michael Kühne, seine HSV-AG-Anteile, seinen Wunsch, diese zu verkaufen, und den Weg bis zur Einigung mit Thomas Wüstefeld, in Personalunion Anteilseigner, HSV-Vorstand und Aufsichtsratschef a .D., muss auch ohne Netflix oder Amazon erzählt werden. Denn am Ende dieser Geschichte muss zum Unwillen der Protagonisten die Frage beantwortet werden, ob es da nicht doch einen massiven Interessenkonflikt gibt oder gab.
Wahrscheinlich fing alles ganz harmlos mit einem Interview an. In der „Welt am Sonntag“ sagte Kühne im September 2018 offiziell, was er zuvor schon häufiger inoffiziell gesagt hatte: „Ich will meine Anteile loswerden!“ Mandatiert mit dieser Bitte wurden Karl Gernandt (Ex-HSV-Aufsichtsratschef) und Markus Frömming, der wenige Monate später in den AG-Aufsichtsrat als Vertrauensmann Kühnes einzog.
Schon an dieser Stelle wurde der biblische Ausspruch laut, der auch bei Gernandts unglücklicher Amtszeit im Raum stand: Niemand kann zwei Herren dienen. So steht es bei Matthäus 6:24. Nicht bei Lothar, sondern im Evangelium. In abgewandelter Form lautet die Frage: Kann man als Mitglied des Aufsichtsrats das Beste für den HSV und für den Investor wollen?
Siems erwog, beim HSV einzusteigen
Markus Frömming, der seit 2015 geschäftlich mit Investor Kühne zu tun hat, wurde jedenfalls schon bald auf die Probe gestellt. Denn der deutlich formulierte Wunsch des Wahl-Schweizers, einen Käufer für seine Anteile zu finden, gestaltete sich von Beginn an schwierig. Der einst schillernde HSV war abgestiegen, nicht wieder aufgestiegen und konnte zudem nur mit der üblichen Folklore von zahlreichen Personalwechseln punkten. Wer will sich diesen HSV also ernsthaft antun?
Einer, der zumindest einem Gespräch darüber nicht abgeneigt war, ist nach Abendblatt-Informationen der Hamburger Matthias Siems. Dessen Name wurde in der Fußballszene im vergangenen Jahr bekannt, nachdem er als Investor beim FC Wacker Innsbruck ein- und nach einer beispiellosen Schlammschlacht wieder ausgestiegen war. Innsbrucks Vorstandssprecher Felix Kozubek sprach seinerzeit von einer „Schmutzkübelkampagne, wie man sie im österreichischen Fußball noch nicht gekannt hat“.
Und dieser Siems sollte nun Anteile des HSV übernehmen? Am Ende kam es nicht zu einem Deal. Wieso, weshalb, warum? Siems selbst, der die Öffentlichkeit meidet wie Fledermäuse das Licht, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Dem „Kurier“ sagte er mal, dass er sich aktiv darum bemühen würde, sich im Internet zu verstecken. Mehrere Versuche der Kontaktaufnahme über Kanzleien oder Agenturen, mit denen Siems zusammengearbeitet hatte, scheiterten. Und Frömming? Erinnert daran, dass es nie über einen Gedankenaustausch hinausgegangen sei. Und hat recht.
Das war beim nächsten Interessenten aber anders. Wie das Abendblatt erfuhr, wurden im vergangenen Jahr Gespräche mit den Hamburger Unternehmern Christopher Garbe und Jörn Stobbe aufgenommen, die nicht kleckern wollten. Sondern klotzen.
Immobilieninvestor Garbe ist Geschäftsführer der Garbe Industrial Real Estate GmbH, die ihren Sitz in der HafenCity hat. Stobbe ist seit 2021 Sprecher der Geschäftsführung der Becken Holding GmbH, die in der Esplanade residiert. Auch im Profifußball ist Stobbe kein Unbekannter. In Offenbach gründete er als Investor die „Bündnis Kickers GmbH“, in Köln war der Hamburger bis Sommer 2021 Aufsichtsratsvorsitzender beim FC.
„Hamburger Bündnis“: Garbe und Stobbe wollten im großen Stil einsteigen
Und nun der HSV. Die Zahlen, um die es im vergangenen Jahr ging, sind schwindelerregend. Für rund 20 Millionen Euro wollte das Duo, das als „Hamburger Bündnis“ auftrat, Anteile von Kühne erwerben. Doch damit nicht genug: Zu dem Millionendeal gehörte auch noch die Idee, für weitere zehn Millionen Euro zukünftige Medienrechte der HSV AG zu erwerben. Es ging also um ein 30-Millionen-Euro-Paket, das fast zu schön klang, um wahr zu sein.
Und möglicherweise war es das auch. Denn während ein Großteil des damaligen HSV-Aufsichtsrats überzeugt von dem möglichen Millionengeschäft mitten in der Corona-Pandemie gewesen ist, soll Finanzvorstand Frank Wettstein Vorbehalte gehabt haben. Der Vertrag berge zu große rechtliche und steuerliche Risiken für den Club. Wettstein wollte nachverhandeln – und an dieser Stelle unterscheiden sich die Aussagen der damaligen Beteiligten.
Warum scheiterte der 30-Millionen-Euro-Deal?
So heißt es von der einen Seite, dass vor allem Frömming, aber auch Präsident Marcell Jansen Druck auf den Vorstand ausgeübt habe, doch endlich zu einer Lösung zu kommen, die andere Seite verneint dies vehement.
Die offizielle Abendblatt-Frage, ob er Wettstein von dem Deal überzeugen wollte, lässt Frömming aber unbeantwortet. Er sagt lediglich: „Ich kann Ihnen versichern, dass wir im Aufsichtsrat einen vertraulichen sowie auch zielführend-kontroversen Austausch pflegen, um Themen voranzubringen. Insgesamt sind wir uns einig, dass sich nur der Aufsichtsratsvorsitzende öffentlich zu konkreten Themen äußert. Daran halte ich mich.“
Auch Jansen antwortet schriftlich: „Auch wenn es in der Vergangenheit anders gelebt wurde, ich werde ganz sicher nicht thematische oder kommunikative Interna aus dem Aufsichtsrat preisgeben. Dass wir uns mit der wirtschaftlichen Situation der HSV Fußball AG und vielen Optionen beschäftigen, gehört zu unseren Pflichtaufgaben.“
Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass Frömming als Vertrauensmann Kühnes eine marktübliche Provision für den Verkauf der Anteile in Aussicht gestellt worden sein soll. Einerseits logisch, denn warum sollte der Schleswig-Holsteiner für seine Bemühungen nicht bezahlt werden? Andererseits schreit die Konstellation nach der Nachfrage zu einem Interessenkonflikt: Denn wie soll ein von Kühne bezahlter Interessensvertreter im Aufsichtsrat bei einem Dreiecksdeal zwischen der Kühne Holding, dem HSV und in diesem Fall dem „Hamburger Bündnis“ neutral bleiben?
Doch die Frage, ob er einen möglichen Interessenkonflikt rund um Frömmings Verhandlungen in Bezug auf Kühnes HSV-AG-Anteile nachvollziehen könne, wollte auch Aufsichtsratschef Jansen offiziell nicht beantworten. Immerhin: Die Problematik wurde im damaligen Aufsichtsrat erkannt. Bei Abstimmungen rund um das „Hamburger Bündnis“ musste Frömming den Raum verlassen oder sich enthalten.
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Doch im Stile einer echten Netflix-Serie ist die Episode noch nicht vorbei. Wettstein verhandelte tatsächlich nach und verbesserte den Kontrakt mit den Unternehmern Garbe und Stobbe aus HSV-Sicht deutlich. So wurde zum einen ein mögliches Rückkaufrecht für den HSV in das Vertragswerk hineinverhandelt. Zum anderen sollte das „Hamburger Bündnis“ finanziell so richtig nur dann profitieren, wenn der HSV in den europäischen Wettbewerb einzieht. Ein Szenario, das im Sommer 2021 genauso surreal wie im Winter 2022 wirkt.
Also Ende gut, alles gut? Von wegen! Auf der Hauptversammlung am 1. Juni des vergangenen Jahres wurde der ausverhandelte Vertrag sämtlichen Anteilseignern vorgestellt, die ihre Zustimmung geben mussten – und dies auch taten. Doch der im Prinzip fertige 30-Millionen-Deal scheiterte. Auf Nachfrage des Abendblatts standen weder Christopher Garbe noch Jörn Stobbe für ein klärendes Gespräch zur Verfügung.
Gespräche rund um den am Ende geplatzten Deal hat es im vergangenen Sommer aber mehr als genug gegeben. Denn offenbar sorgte die Aussicht auf viele Millionen auch innerhalb des Aufsichtsrats für Spannungen. So hat es im Kontrollgremium einen grundsätzlichen Dissens darüber gegeben, ob Wettstein einen guten Job gemacht hat (weil er den Vertrag immer wieder nachverhandelt und so bessere Konditionen für den HSV rausgeholt hatte). Oder ob er einen schlechten Job gemacht hat (weil sein auf der Hauptversammlung ausverhandelter Deal doch noch platzte).
Kassierte HSV-Aufsichtsrat Frömming sechsstellige Provision?
Anhänger von Variante eins sollen Michael Krall und Felix Goedhardt gewesen sein. Anhänger von Variante zwei sollen vor allem Frömming und Jansen gewesen sein. Fakt ist lediglich, dass die Anhänger von Variante eins nicht mehr im Amt sind – genauso wenig wie Wettstein selbst.
Doch wie sich das auch für eine gute Netflix-Serie gehören würde, ist mittlerweile längst ein neuer Protagonist dabei: Thomas Wüstefeld. Der Hamburger Unternehmer kam im vergangenen Herbst wie Kai aus der Kiste und kaufte nach „sehr intensiven Gesprächen über eine längere Periode“ (Wüstefeld) Kühne 5,11 Prozent der AG-Anteile ab. Der Kaufpreis soll rund 14 Millionen Euro betragen haben.
Wüstefeld wollte die Summe auf Nachfrage weder bestätigen noch dementieren. Im Übrigen genauso wenig, wie Markus Frömming die Frage beantworten wollte, ob er, wie Abendblatt-Recherchen ergeben haben, für den Verkauf eine sechsstellige Provision erhalten hat.
Wüstefelds weiterer Weg beim HSV ist hinlänglich bekannt: Im Anschluss an die Hauptversammlung am 30. November, auf der sowohl sein Anteilskauf als auch seine Bestellung als Aufsichtsrat angenommen wurden, wurde der dreifache Familienvater zur Überraschung seiner neuen Ratskollegen direkt von Jansen zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden vorgeschlagen.
Doch diese Entscheidung sollte nicht von langer Dauer sein, da Wüstefeld bereits am 4. Januar in den Vorstand entsandt wurde. Vom Anteilskauf über den Aufsichtsrat, den Vorsitz des Kontrollgremiums bis in die Chefetage im Volksparkstadion in nur 36 Tagen – das muss man erst einmal schaffen.
Genug Material für eine zweite Staffel der HSV-Serie sollte also vorhanden sein. Dabei ist das Ende von Staffel eins noch immer unklar: Hat es denn nun rund um Markus Frömmings Rolle einen Interessenkonflikt innerhalb des Aufsichtsrates gegeben – oder nicht?
Interessenkonflikt? HSV bleibt Antwort schuldig
Das Abendblatt hat sich in den vergangenen zwei Wochen mit zahlreichen HSV-Funktionären zu dieser Fragestellung getroffen. Auf der Geschäftsstelle im Volksparkstadion, in einer Kanzlei, in einem Wohnzimmer, in einem Eppendorfer Café und im Hotel Atlantic. Es wurden mehr als ein Dutzend Gespräche geführt, schriftliche Stellungnahmen erbeten und drei Fragebögen verschickt. Eine endgültige Antwort auf die zentrale Frage kann aber nur der Aufsichtsrat selbst geben. Immerhin: Das nächste Treffen soll zeitnah stattfinden.
Doch die HSV-Serie ist damit noch nicht beendet. Der Zuschauer will wissen, wie es weiterging. Sportlich ist das Abschneiden bekannt: Vier Pflichtspielsiege in Folge im Jahr 2022 sprechen für sich. Der HSV ist Tabellendritter, nur einen Punkt von Platz eins entfernt und wirkt so stabil wie lange nicht.
Nur abseits des Platzes bleibt das unklar. Oder wie man bei Netflix sagen würde: Fortsetzung folgt.