Hamburg. Chakvetadze hat zwei Jahre kaum gespielt. Ex-Bundesligaprofi Iaschwili glaubt dennoch, dass der Georgier den HSV verstärken wird.
An die erste Begegnung kann sich Alexander Iaschwili noch erinnern, als wenn es gestern gewesen wäre. Er sei damals 38 Jahre alt gewesen und habe seine Karriere bei seinem Heimatverein Dinamo Tiflis ausklingen lassen, als eines Tages so ein schmalbrüstiger Bursche vor ihm stand und erstmals bei den Profis mittrainieren wollte. „Als ich hörte, dass der Junge gerade erst 16 Jahre alt war, konnte ich es gar nicht glauben. Doch noch weniger konnte ich glauben, was dieser Junge dann im Training draufhatte“, erinnert sich Iaschwili.
Nun, dieser 16 Jahre alte Junge war HSV-Neuzugang Giorgi Chakvetadze, der wenige Monate später in der Ersten Liga debütierte, ein Jahr später für die Nationalmannschaft nominiert wurde und 2018 sogar zum georgischen Fußballer des Jahres gewählt wurde. Mit 19.
Iaschwili schwärmt über HSV-Zugang Chakvetadze
„Giorgi war ein Frühstarter. Als ich ihn das erste Mal auf dem Platz gesehen habe, wusste ich, dass er Fähigkeiten hat, die andere nicht haben“, sagt Iaschwili, der 16 Jahre lang in Deutschland für Lübeck, Freiburg, Karlsruhe und Bochum auf Torejagd ging und selbst zweimal (2004 und 2008) zum georgischen Fußballer des Jahres gewählt wurde. Wenige Wochen nach diesem ersten gemeinsamen Training beendete Iaschwili seine aktive Karriere und wurde Vizepräsident des georgischen Fußballverbandes.
„Ich bin für alle U- und für die A-Nationalmannschaft verantwortlich. Deswegen hatte ich immer regelmäßig mit Giorgi Kontakt“, sagt Iaschwili, der in Karlsruhe vier Jahre lang gemeinsam mit Michael Mutzel für den KSC spielte und seit dieser Zeit eng mit dem Sportdirektor des HSV befreundet ist. „Ich kann ihn nur beglückwünschen, dass der Deal mit Giorgi geklappt hat. Er wird dem HSV weiterhelfen“, sagt Iaschwili.
Chakvetadzes Pech ist das Glück des HSV
Dass Mutzel und der HSV bei Chakvetadze Glück hatten, hat vor allem mit dessen Pech zu tun. In den vergangenen Jahren fiel der Georgier mit verschiedene Knieverletzungen insgesamt 537 Tage aus und verpasste dabei 83 Pflichtspiele für die KAA Gent. Nachdem die Belgier in der Vor-Corona-Zeit noch Angebote im zweistelligen Millionenbereich aus Mönchengladbach und von den Wolverhampton Wanderers abgelehnt haben sollen, schmolz der Marktwert des Dauerpatienten durch die Corona-Zeit laut transfermarkt.de auf 2,3 Millionen Euro zusammen.
„Giorgi hatte großes Pech mit seinen Knien und braucht jetzt einen Neustart außerhalb Gents“, sagt Iaschwili. „Er will unbedingt zeigen, dass er noch immer ein besonderer Spieler ist.“
Daran glaubt auch Mutzel, der seit der U-19-EM 2017 den Karriereweg Chakvetadzes verfolgt hat. Der damals 18-Jährige galt als die EM-Entdeckung und durfte sich über viele Offerten freuen. Allerdings hatte sein Management bereits Gent den Zuschlag gegeben.
Die HSV-Scouts überprüften alle Chakvetadze-Fakten
Etwas mehr als vier Jahre später klappt es nun doch mit einer Zusammenarbeit. Und obwohl sich die HSV-Scouts bei Chakvetadze sämtliche Informationen einholten, kann niemand wissen, ob er wieder an sein Leistungsniveau herankommt. Deswegen will Trainer Tim Walter in dieser Woche den variablen Mittelfeldmann genau unter die Lupe nehmen, um vor dem Topspiel gegen Tabellenführer Darmstadt zu entscheiden, ob er ihm direkt Sonny Kittels Rolle als zentraler Mittelfeldchef zutraut. „Das sah schon gut aus. Aber für 90 Minuten wird es noch nicht reichen“, sagte Walter am Dienstag nach Chakvetadzes erster Einheit. Zur Erinnerung: Kittel muss am Sonntag gelbgesperrt pausieren.
Längst sind Fußballer zu gläsernen Sportlern geworden, von denen Daten und Fakten in großen Analyse-Apps gesammelt werden. Doch Chakvetadzes Statistiken geben nicht wirklich Aufschluss darüber, was der HSV in den verbleibenden 14 Saisonspielen erwarten darf. Der 22-Jährige hat laut einer detaillierten Analyse der Global Soccer Network (GSN), eine der führenden Datenscouting-Agenturen, mit 82 mehr Aktionen in 90 Minuten als Kittel (65), davon sind mit 74,39 Prozent mehr erfolgreich (Kittel 67,69). Chakvetadze geht öfter ins Dribbling (10:3,3) und kommt dabei deutlich öfter am Gegenspieler vorbei (6:1,6).
Doch Kittel ist laut der NDR-Auswertung dieser GSN-Analyse deutlich torgefährlicher (im Schnitt alle drei Spiele ein Tor, Chakvetadze braucht fünf), kreiert mehr Torchancen (1,47 zu 1,38), hat selbst mehr Chancen (1,01 zu 0,74) und mehr Ballkontakte im gegnerischen Strafraum (3,17 zu 2,54). Der Hesse sucht und findet zudem häufiger die Stürmer als Chakvetadze (13,86 zu 10,15 Prozent).
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Wegen Chakvetadze: Georgien träumt vom HSV-Aufstieg
Das alles: graue Zahlen-Theorie. In der Praxis soll Chakvetadze nach der Partie gegen Darmstadt gemeinsam mit Kittel das HSV-Spiel lenken. „Er kann uns im Zentrum und auf dem Flügel helfen. Giorgi hat super Fähigkeiten, wir müssen ihn aber nach einer nicht ganz einfachen Zeit in Gent ein wenig aufbauen“, sagt Mutzel, der sich den Neuzugang auch sehr gut anstelle des zuletzt formschwachen Faride Alidou im linken Mittelfeld vorstellen kann.
Im Gegensatz zu Alidou ist Chakvetadze aber kein klassischer Flügelflitzer. Er ist lediglich 10,04 km pro 90 Spiel unterwegs und kommt auch „nur“ auf einen ordentlichen Top-Speed von 32,95 km/h. Damit ist er schneller als Kittel (32,18), aber deutlich langsamer als die Außenstürmer Alidou (34,26) und Jatta (34,88).
Das weiß auch Mutzel, der bis zum letzten Tag der Transferfrist alles versuchte, einen zusätzlichen Flügelstürmer zu bekommen. Vergeblich. „Es war eine merkwürdige Wintertransferzeit. Insgesamt ist auf dem Markt weniger passiert als in den Vorjahren. Die grundsätzliche Bereitschaft, Spieler abzugeben, war in diesem Winter coronabedingt erkennbar geringer als sonst.“
Immerhin: Bei Chakvetadze hat es geklappt, was nicht nur Mutzel freute. So sei von einem auf den anderen Moment ein ganzes Land auf den HSV aufmerksam geworden, behauptet zumindest Mutzel-Kumpel Iaschwili. „Ganz Georgien träumt jetzt vom HSV-Aufstieg.“