Hamburg. Straßenkicker, Käpt'n, Rekordmann, Tankwart, Nachwuchschef – und „immer gerade“: Jochen Meinke war ein außergewöhnlicher HSV-Typ.

Alle wussten, dass der Tag bald kommen würde, aber als Jochen Meinke am Sonntagmorgen in einem Hospiz in Rahlstedt nach langer, schwerer Krankheit friedlich eingeschlafen war, reagierte Uwe Seeler dennoch tief erschüttert: „Ich trauere um einen großartigen Freund. Mein Mitgefühl gehört seiner Frau Erika und den beiden Kindern Sabine und Andreas.“

Der Kapitän ist von Bord gegangen. Für immer. Jochen Meinke, einer der größten HSV-Spieler der Vereinsgeschichte, der mit dem Verein 1960 den Gewinn der deutschen Meisterschaft feierte, ist im Alter von 91 Jahren gestorben.

Nicht nur Seeler, Fußball-Hamburg verneigt sich vor einem ganz besonderen Menschen, der für Seeler ein Muster an Freundlichkeit, Zuverlässigkeit, Beständigkeit und Bodenständigkeit war, der stets stark, respektvoll, fair und optimistisch durch sein Leben gegangen ist, der keine Neider, keine Feinde kannte, dem nie ein böses oder menschenverachtendes Wort über die Lippen kam, der überall geschätzt und beliebt war. „Wie gerade er durchs Leben gegangen ist, war für uns alle vorbildhaft“, sagte Uwe Seeler am Sonntag.

Die HSV-Idole Uwe Seeler (l.) und Jochen Meinke hatten im Podcast-Studio des Abendblatts ihren Spaß.
Waren ein Herz und eine Seele: Die HSV-Idole Uwe Seeler (l.) und Jochen Meinke, hier im Dezember 2019 als Gäste des Abendblatt-Podcasts „HSV – wir müssen reden“. © Sebastian Becht / Funke Foto Services | Unbekannt

HSV-Legende Meinke bevorzugte das "Du"

Wer ihn und seine Offenheit kennenlernen durfte, konnte gar nicht anders, als ihn sofort ins Herz zu schließen. „Ich bin Jochen, bei Sportlern ist das Du doch normal“, sagte Meinke gerne mal. Seinen Optimismus erhielt er sich auch in den letzten, oftmals schweren Jahren. Mehrere Operationen musste er seit Anfang 2019 über sich ergeben lassen.

Als Meinke nach dem letzten schweren Eingriff (Blasentumor) wieder in seine Doppelhaushälfte in Rahlstedt zurückkehrte, hatte er zwölf Kilogramm verloren und wog nur noch 60 Kilo. Doch als ihn das Abendblatt im Oktober 2020 besuchte, schaute Meinke schon wieder nach vorne: „Ich hoffe, dass wir noch viele schöne Jahre haben.“ Da hatte ihn seine drei Jahre jüngere Frau Erika wieder auf 65 Kilo aufgepäppelt. „Mein Kampfgewicht aus Spielerzeiten“, witzelte er damals.

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Jochen Meinke ist Rekordspieler des HSV

Jochenfritz Meinke, wie der am 23. Oktober 1930 in Hammerbrook geborene Hanseat hieß, begann beim SC Sperber mit dem Fußball. Als 15-Jähriger wechselte er zum HSV, bei dem er am 9. Oktober 1949 als 19-Jähriger in der Liga debütierte. Was Meinke auszeichnete: Auch im hohen Alter konnte er sich noch an viele Details erinnern. „Wir haben am Rothenbaum 5:2 gegen Hannover 96 gewonnen, ein großartiges Erlebnis!“

Am Saisonende konnte Meinke, der als Halbstürmer begann, dann Außenläufer wurde, später Stopper und Mittelläufer war, seine erste von 13 Nordmeisterschaften bis 1963 feiern. Seine Frau Erika lernte Meinke ein Jahr später kennen, bei einer Tanzveranstaltung im Curio-Haus an der Rothenbaumchaussee. Erika spielte – mit Uwe Seelers Schwester Gertrud, genannt „Purzel“ – Handball und ging auch regelmäßig zur Leichtathletik.

Jochen Meinke (hier bei seinem 80. Geburtstag) und Erika führten eine glückliche Ehe.
Jochen Meinke (hier bei seinem 80. Geburtstag) und Erika führten eine glückliche Ehe. © Witters | Unbekannt

Mit 307 Einsätzen in der damaligen Oberliga Nord ist Meinke Rekordspieler des HSV. Hinzu kamen 52 Spiele um die deutsche Meisterschaft. Sein Wort hatte beim HSV jahrzehntelang Gewicht, auf ihn hörten sie alle.

Meinke stutzte Seeler im HSV-Spiel zurecht

Einst erzählte Jochen Meinke über seine Art, die Mannschaft zu führen: „In einem Oberligaspiel foulte Dieter Seeler, der Bruder von Uwe, so oft und auch schwer, dass ich ihm sagte: ‚Wenn du damit nicht aufhörst, dann schmeiße ich dich vom Platz, dann spielen wir hier mit zehn Mann weiter.‘ Nach dem Spiel kam Dieter und entschuldigte sich bei mir.“ Dieter Seeler war es auch, mit dem er 1945 sein erstes Jugendspiel für den HSV bestritten hatte: 2:1 hieß es am Ende gegen den Wandsbeker FC.

Auch ein Weltstar wie Uwe Seeler akzeptierte den „Chef“, fand bis zuletzt nur lobende Worte über ihn: „Jochen wird ewig mein und unser Kapitän sein.“ Sie hatten sich einst in den 1940er-Jahren beim Straßenfußball kennengelernt, damals spielte das Team Eppendorf gegen das Team Winterhude. Meinke war mit seinen 14 Jahren schon ein Halbstarker, Uwe mit acht Jahren ein kleiner, aber hochtalentierter Buttje. „Jochen war einmalig und fantastisch, ein Mann, mit dem man Pferde stehlen konnte“, sagte Seeler wehmütig, „er hatte immer ein aufbauendes Wort für uns. So einen wie ihn wird es nie wieder geben.“

Uwe Seeler, Jochen Meinke, Herbert Kühl und Willi Christoph (v.l.) 1946 in Eppendorf.
Uwe Seeler, Jochen Meinke, Herbert Kühl und Willi Christoph (v.l.) 1946 in Eppendorf. © Witters | Unbekannt

Meinke führte den HSV zum emotionalsten Titel

Und sie feierten gemeinsam den wohl schönsten und emotionalsten Titel, den der HSV in seiner Geschichte errungen hat. Für immer in Erinnerung bleiben wird Meinke durch die legendäre deutsche Meisterschaft von 1960, als der HSV mit seiner jungen Mannschaft die favorisierten Kölner in Frankfurt (Main) mit 3:2 besiegen konnte.

Jochen Meinke mit Kölns Hans Schäfer beim Wimpeltausch vor dem Finale 1960 in Frankfurt.
Jochen Meinke mit Kölns Hans Schäfer beim Wimpeltausch vor dem Finale 1960 in Frankfurt. © Witters | Unbekannt

Er selbst galt als Vater des mit elf Hamburgern bestückten Teams. Im Autokorso in VW Käfern fuhren die Spieler nach der Ankunft am Dammtor-Bahnhof die Rothenbaumchaussee hoch zum Stadion am Rothenbaum. Zehntausende Hamburger feierten ihre Mannschaft. Im ersten Wagen präsentierten Trainer Günter Mahlmann, Kapitän Meinke und Torwart Horst Schnoor der begeisterten Menge die Schale.


Bei Herberger konnte Meinke nicht landen

Trotz seiner starken Leistungen für den HSV klopfte Meinke nur einmal an die Tür zur deutschen Nationalmannschaft. Am 24. April 1954 absolvierte er ein B-Länderspiel gegen die Schweiz, mit Könnern wie den späteren Weltmeistern Heinrich Kwiatkowski, Werner Kohlmeyer, Werner Liebrich und Bernhard Klodt. Doch Deutschland verlor 1:3. Meinke, der auf ungewohnter Position spielen musste, zeigte eine schwache Leistung und wurde aus dem 40 Mann starken Kader vor der WM in der Schweiz gestrichen.

Auch wenn die DFB-Auswahl mit Sepp Herberger ohne Meinke erstmals Weltmeister wurde, dachte er an dieses Jahr dennoch stets glücklich zurück – 1954 heiratete er seine Erika. Übrigens in gewissem Sinne auch eine Pflichtheirat, schließlich wollte das Paar seine erste gemeinsame Wohnung in Hamm beziehen, und einen Mietvertrag ohne Trauschein zu bekommen, war zu jener Zeit nicht möglich.

HSV gab Meinke einen Ehrenvertrag

Mit Einführung der Bundesliga 1963 beendete Meinke seine aktive Karriere. Der HSV stattete ihn 1963 als Anerkennung für seine Leistungen für zwei weitere Jahre mit einem Ehrenvertrag aus, ein Bundesligaspiel absolvierte er allerdings nicht. Dennoch hatte er 1964 bei der USA-Reise des HSV noch einen letzten, überragenden Auftritt.

Der damalige Trainer Georg Gawliczek ordnete vor dem Spiel an: „Jochen, Sie spielen Libero!“ Meinke darauf: „Was ist denn Libero?“ Der Coach: „Das erkläre ich Ihnen gleich.“ Und Meinke spielte beim 2:0-Sieg des HSV über den FC Liverpool vielleicht das Spiel seines Lebens. Jedenfalls kam Gawliczek auf den Abwehrmann zu und sagte: „Jochen, Sie müssen bleiben, Sie sind künftig mein Libero.“ Meinke jedoch lehnte ab. Ein Mann, ein Wort eben. Wie immer.

Jochen Meinke spielte gegen die ganz Großen – wie hier Pelé beim Duell mit dem FC Santos zum 75-jährigen HSV-Geburtstag im Oktober 1962. Das Freundschaftsspiel im Volksparkstadion endete 3:3.
Jochen Meinke spielte gegen die ganz Großen – wie hier Pelé beim Duell mit dem FC Santos zum 75-jährigen HSV-Geburtstag im Oktober 1962. Das Freundschaftsspiel im Volksparkstadion endete 3:3. © Witters | Unbekannt

Meinke leitete das HSV-Nachwuchszentrum

Er trat in die Fußstapfen seines Vaters und führte bis 1979 eine Tankstelle im Heidenkampsweg, Ecke Billstraße. „Die Lkw-Fahrer waren fußballverrückt, das hat mir einige Kunden mehr eingebracht“, erinnerte er sich einst. Erst als die Esso auf einen 24-Stunden-Betrieb umstellen wollte, gab er die Tankstelle auf, was ihm leicht fiel, schließlich erfolgte in diesem Jahr auch erneut der Ruf des HSV.

Neben dem Fußball arbeitete Jochen Meinke 1959 auch auf der Tankstelle.
Neben dem Fußball arbeitete Jochen Meinke 1959 auch auf der Tankstelle. © Witters | Unbekannt

Zwischen 1979 und 1992 arbeitete er als Leiter des HSV-Leistungszentrums in Ochsenzoll, bis 2001 als Jugendtrainer. Und auch den Weg des Profiteams verfolgte er stets intensiv. Fast bei jedem Heimspiel saß er im Volksparkstadion auf der Tribüne.

HSV: Meinke kannte die tollsten Geschichten

Jochen Meinke war ein toller Erzähler mit unglaublichen Geschichten. 1952 spielte er mit dem HSV auf einem Hartplatz im Billtal-Stadion vor 15.000 Zuschauern gegen Indien. Und einige Inder spielten barfuß. „Ein sehr spezielles Spiel“, sagte Meinke lächelnd. „Menschen wie Jocki nannte man früher Wanderprediger“, beschrieb Erika beim letzten Besuch lachend die Erzählkünste ihres Mannes. Seine Stimme ist zwar verstummt, vergessen wird er nie.

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Als hätte er es genau für Meinke formuliert, sagte einst Albert Schweitzer: „Das schönste Denkmal, das ein Mensch bekommen kann, steht nicht auf irgendeinem Platz, sondern im Herzen seiner Mitmenschen.“

Auch der aktuelle Sportvorstand Jonas Boldt (r.) lernte Meinke noch kennen, hier beim HSV-Neujahrsempfang 2020 (mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann).
Auch der aktuelle Sportvorstand Jonas Boldt (r.) lernte Meinke noch kennen, hier beim HSV-Neujahrsempfang 2020 (mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann). © Witters | Unbekannt