Hamburg. Der HSV hat durch eine veränderte Spielweise in die Erfolgsspur gefunden. Wie der Trainer zu seiner Erkenntnis kam.
Tim Walter hat in dieser Woche ein Sky-Interview gegeben, das der Sender am Sonntagmittag ausstrahlen wird. Alles außer Fußball, lautet das Motto. Darin offenbart Walter, dass Otto Waalkes zu seinen Lieblingskomikern zählt. Er erzählt, dass er das Meer liebt, auf einem Konzert von Janet Jackson war, mit seinem Staff gerne mal Kniffel spielt und seine Spieler dazu aufgefordert hat, HSV-Hymnen in die Kabinenplaylist aufzunehmen. Ein Interview, in dem sich der HSV-Trainer von einer ganz anderen Seite präsentiert.
Am liebsten aber spricht der Übungsleiter noch immer über Fußball. So wie am Freitag auf der Pressekonferenz vor dem Auswärtsspiel bei Hannover 96 am Sonntag (13.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de). Über den viel zitierten Tim-Walter-Fußball zum Beispiel. Doch der 46-Jährige hat nicht nur eine zweite Seite seiner Persönlichkeit, sondern auch eine zweite Seite seines Fußballsystems, die seit einigen Wochen immer offensichtlicher wird. Oder anders ausgedrückt: Der Tim-Walter-Fußball beim HSV hat sich verändert.
HSV: Wie sehr sich Walters Fußball verändert hat
Das gab der Fußballlehrer am Freitagnachmittag zu. „Wir haben schon die ganze Zeit justiert. Insgesamt ist es eine stetige Entwicklung“, sagte Walter über die veränderte Ausrichtung in den vergangenen Wochen. Konkret sah das zuletzt bei den Heimsiegen gegen Jahn Regensburg (4:1) und den FC Ingolstadt (3:0), aber auch schon in den Wochen zuvor so aus, dass der HSV im Ballbesitz nicht mehr ganz so viel rotiert, weniger Positionswechsel vornimmt und auch mal einen langen Ball spielt, wenn die Anspielstationen beim mutigen Aufbauspiel über den Torwart fehlen.
Für seine veränderte Herangehensweise hat Walter eine einfache Erklärung: „Dadurch, dass wir anderes Personal auf dem Platz haben, ist das Spiel ein anderes. Weil die Jungs spät zu uns gestoßen sind und die Positionswechsel erst kennenlernen müssen, agieren wir zwangsläufig etwas anders.“ Konkret meint Walter Torhüter Marko Johansson und Innenverteidiger Mario Vuskovic, die erst kurz vor Ende der Transferperiode zum HSV gewechselt waren und die gesamte Vorbereitung verpasst hatten, in der Walter über Wochen sein System einstudierte und insbesondere Torwart Daniel Heuer Fernandes und Verteidiger Jonas David die Hauptrollen im komplexen Spielaufbau übernahmen.
HSV ist nicht mehr konteranfällig – die Gründe
Auch am Sonntag in Hannover werden die beiden Dauerbrenner des ersten Saisondrittels wegen ihrer Verletzungen fehlen. Mit ihren Vertretern Johansson und Vuskovic wird Walter wieder deutlich ruhiger spielen lassen. Der junge Kroate Vuskovic geht seltener ins Dribbling als David, spielt dafür gerne mal einen langen Ball. Sein Nebenmann Sebastian Schonlau, der in den ersten Saisonwochen gerne mal auf Linksaußen auftauchte, hält sich mittlerweile hauptsächlich in der Abwehrmitte auf. Moritz Heyer spielt rechts hinten in der Viererkette deutlich defensiver ausgerichtet als Risikodribbler Jan Gyamerah, dem Heyer den Stammplatz abgenommen hat.
Auch Linksverteidiger Miro Muheim, der nach seinen muskulären Problemen in Hannover wieder auflaufen kann, fokussiert sein Spiel stärker auf die Defensive. Dadurch steht der HSV bei Ballverlusten kompakter und ist nicht mehr so konteranfällig wie zu Saisonbeginn. Ihre Offensivgefahr haben die Hamburger trotzdem nicht eingebüßt. Nur Werder Bremen (241) schoss in dieser Saison bislang häufiger auf das Tor als der HSV (240).
HSV-Taktik: Ließ sich Walter intern überzeugen?
Auffällig war in den vergangenen Wochen auch, dass Walters Elf weniger Aufwand für das Angriffsspiel betreibt. Zuletzt gegen Regensburg und Ingolstadt lief der HSV mit jeweils rund 115 Kilometern zwar wie immer mehr als der Gegner, aber deutlich weniger als in den teils wilden Heimspielen gegen Dresden (1:1), Darmstadt (2:2), Düsseldorf (1:1) und Kiel (1:1), als die Hamburger immer mehr als 120 Kilometer zurücklegten. Auch weil sie wegen der hohen Positionierung nach Ballverlusten weite Wege zurücklegen mussten.
„Taktisch stur ins Verderben“, schrieb die „Bild“ nach dem 1:1 gegen Düsseldorf über die Walter-Taktik, als sich der HSV in Überzahl einmal mehr auskontern ließ und am Ende die Führung aus der Hand gab.
Intern hat es in dieser Phase durchaus viele Diskussionen über die Spielweise gegeben. Walter, so heißt es, sei dabei nicht so stur, wie er öffentlich gerne dargestellt wird, und zeige sich offen für Anpassungen und Veränderungen.
Weitere HSV-Berichte:
„Wir haben die ganze Zeit justiert und immer versucht, uns zu verbessern“, sagt Walter, der im Team eine zunehmende Bereitschaft für die Defensivarbeit festgestellt hat. „Das System und die Art, wie wir spielen, ist sehr abhängig davon, wie wir verteidigen. Ohne Gegenpressing und Restfeldverteidigung funktioniert gar nichts im Fußball.“ Und diese beiden Facetten funktionierten gut in den vergangenen Wochen. Der neue Tim-Walter-Fußball ist dadurch vor allem eines geworden: erfolgreicher.
Macht Walter dem HSV ein Geschenk?
Und so konnte Walter auch am Freitag noch über andere Dinge sprechen als über Fußball und seine Taktik. Zum Beispiel über die bevorstehende Weihnachtszeit. „Ich liebe Weihnachten. Zu Hause mit meiner Familie zu feiern, in die Kinderkrippe zu gehen, Geschenke auszupacken – das ist einfach schön. Ich werde mir etwas überlegen, was wir mit der Mannschaft machen können“, sagte Walter am Freitag zum Abschluss.
Die einfachste Idee wäre es, in den letzten drei Spielen vor Weihnachten noch neun Punkte zu sammeln. Damit würde sich der HSV selbst das größte Geschenk machen.
Die voraussichtlichen Aufstellungen
- Hannover: Hansen – Muroya, Franke, Krajnc, Hult – Kaiser, Ondoua – Beier, Kerk, Ochs – Hinterseer.
- HSV: Johansson – Heyer, Vuskovic, Schonlau, Muheim – Meffert – Reis, Kittel – Jatta, Glatzel, Alidou.