Hamburg. Tim Walter und Julian Hübner haben beim KSC mit dem System experimentiert, mit dem sie nun bei der Rückkehr mit dem HSV punkten wollen.

Julian Hübner saß auf den Seychellen an der Hotelbar, als Marcelo Díaz sich den Ball zurechtlegte. Der Freistoß landete im Netz, der HSV blieb in der Bundesliga, und Hübner ärgerte sich. Es war der 1. Juni 2015. Der damalige Co-Trainer der U 19 des Karlsruher SC war mit seiner Frau in den Flitterwochen und musste auf der Trauminsel mit ansehen, wie sein Verein einen Albtraum erlebte.

Dabei hatte Hübner kurz zuvor einen großen Erfolg gefeiert. An der Seite von Tim Walter zog er mit der A-Jugend des KSC in das Halbfinale der Deutschen Meisterschaft ein und scheiterte nur knapp am späteren Meister FC Schalke 04. Schade für Hübner, gut für seinen Urlaub. Wäre der KSC weitergekommen, hätte er sich zwischen Finale und Flitterwochen entscheiden müssen. „Ich hätte mich natürlich ganz klar für meine Frau entschieden“, sagt Hübner sechs Jahre später im Abendblatt-Gespräch und lacht, wie er so häufig lacht.

Ex-Karlsruher Walter und Hübner beim HSV wieder vereint

An diesem Sonnabend sitzt der 37-Jährige wieder an der Seite von Walter, wenn der HSV im Karlsruher BBBank Wildpark spielt (20.30 Uhr/Sport1, Sky und Abendblatt-Liveticker). Seit fünf Monaten arbeiten die beiden in Hamburg. Und spielen mit ihrem neuen Club nun in ihrer alten Heimat. An dem Ort, an dem beide die längste Zeit ihrer Trainerkarriere verbracht haben. Walter war von 2006 bis 2015 fast zehn Jahre im KSC-Nachwuchs tätig, Hübner zwischen 2014 und 2019 fünf Jahre. Schon vor seinem Beginn in der Karlsruher Jugend lernte Hübner seinen heutigen Chef an der Sportschule Schöneck im Karlsruher Stadtteil Durlach kennen.

Hübner arbeitete als Realschullehrer, Walter nach seinem Studium der Sportwissenschaft im KSC-Nachwuchs. Hübner wollte mehr, als nur Lehrer sein. Über den Bruder seiner späteren Frau, der in der KSC-Jugend spielte, kam er dem Verein näher, über Ex-KSC-Profi Helmut Behr lernte er den damaligen Nachwuchsleiter Ede Becker kennen. Das passte. Hübner konnte sich einen Job aussuchen: Co-Trainer unter Lukas Kwasniok, heute Cheftrainer beim SC Paderborn. Oder Assistent von Walter in der U 19. Weil er Walter ein wenig besser kannte, entschied er sich für ihn. Zusammen erlebten sie auf Anhieb das erfolgreichste Jahr ihrer KSC-Zeit.

Auch dem FC Bayern gefiel Walters Spielidee

Es war nicht nur der sportliche Erfolg, sondern vor allem die inhaltliche Arbeit, die Walter und Hübner aneinander schätzten. Mit Walters ungewöhnlicher Spielidee, die er heute auch beim HSV umsetzt, hatten die beiden schon damals für Aufmerksamkeit gesorgt. „Es ist in erster Linie Tims Idee. Ich durfte sie mit ihm zusammen weiterentwickeln“, sagt Hübner, der sich an die experimentierfreudige Zusammenarbeit erinnert. „Im Jugendbereich versucht jeder, seine Handschrift einmalig zu machen. Unsere Philosophie war immer offensiv ausgerichtet. Das Prinzip Spielen und Gehen war damals schon drin. Wir haben viele Tore schossen. Das hat vielen Vereinen gefallen, auch den Bayern.“

Nach ihrer ersten Saison rief Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß bei Walter an und holte ihn als Nachwuchstrainer an die Säbener Straße. Hübner ging in die U 17 des KSC und traf nur wenige Monate später an der Seite von Ramon Gehrmann wieder auf Walter, der die U 17 des FCB betreute. Die Münchner gewannen zwar mit 1:0 gegen Karlsruhe, taten sich aber schwer mit der Taktik des KSC. „Ich wusste, was wir machen müssen. Darüber hat sich Tim tierisch aufgeregt“, sagt Hübner und grinst. Er weiß, wie viel er von Walter lernen konnte. „Tim war ein guter Lehrmeister. Er hat mir geholfen, mutig zu sein.“

Hübner jobbte als Totengräber

Über Walters Führungsstil sagt Hübner heute: „Tim kriegt eine Mannschaft schnell hinter sich. Das kann ich aus meiner pädagogischen Sichtweise gut beurteilen. Er kann auch der große Bruder sein, ein Beschützer, wenn jemand unfair behandelt wird.“

Die Wege der beiden trennten sich, die Verbindung aber blieb. Hübner besuchte Walter auf dessen Stationen in München, Kiel und Stuttgart. Seine eigene Trainerkarriere unterbrach er vor zwei Jahren. Hübner nahm sich ein Sabbatical und reiste mit seiner Frau und ihrer zwei Jahre alten Tochter um die Welt. Südafrika, Australien, Neuseeland, Hawaii – kurz vor dem ersten Corona-Lockdown kamen sie zurück.

„Ich hatte immer Wendungen in meinem Leben, habe vieles ausprobiert“, sagt Hübner, der sich in verschiedenen Jobs versuchte. Er arbeitete als Animateur und DJ, analysierte im Schlaflabor unter anderem die Nachtaktivitäten eines saudi-arabischen Prinzen, er hielt Nachtwache in der Psychiatrie und jobbte als Totengräber. „Ich wollte immer neue Dinge machen. Es passt in meine Vita, dass ich zum HSV gekommen bin.“

Hübner erkundigte sich bei KSC-Coach Eichner

Denn auch der Wechsel nach Hamburg war alles andere als geplant. Nach der Rückkehr von der Weltreise kümmerte sich Hübner um seinen Hausbau in Bad Bergzabern unweit seiner Pfälzer Heimat Landau. Eigentlich wollte er den Verbandsligisten SV Rülzheim übernehmen. Doch nach nur vier Trainingseinheiten kam der Anruf von Walter. „Es gab die Überlegung, dass wir noch einmal zusammenarbeiten, wenn mal wieder etwas kommt.“ Es kam der HSV.

Hübner erkundigte sich beim heutigen KSC-Trainer Christian Eichner, den er aus der Jugend kennt, über HSV-Sportdirektor Michael Mutzel. Dieser hatte seinen Freund Eichner auch selbst auf dem Zettel für den Trainerposten beim HSV. Am Ende fiel die Wahl auf Walter – und Hübner. Der Pfälzer ist von seinem neuen Arbeitgeber durchaus erstaunt. „Was hier für ein Zusammenhalt herrscht, hat mich positiv überrascht. Wir haben so viele junge Mitarbeiter, das erinnert mich fast an ein Start-up.“

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In St. Georg hat Hübner mit seiner Familie ein neues Zuhause gefunden. Seine Heimat aber bleibt neben der Pfalz auch die Stadt Karlsruhe. Nicht nur Walters Vater Reinhard (75) wird am Sonnabend im Stadion sitzen. Auch Hübners Familie kommt im Großaufgebot.

Wenn er selbst am Abend an der Seite von Walter im Wildpark sitzt und unter anderem sein ehemaliges U-16-Talent Tim Breithaupt spielen sieht, wird er sich wahrscheinlich mal wieder wundern, welche Wendungen das Leben für ihn immer wieder bereithält.