Hamburg. Daniel Thioune muss sich nach drei Ausfällen von Stammkräften in der HSV-Abwehr entscheiden, wie mutig er in Fürth ist.

Am Donnerstag blieb es verhältnismäßig ruhig im Zirkus Profifußball. Olaf Thon meldete sich nirgendwo zu Wort, Bastian Schweinsteiger wollte keine Meinung kundtun, und sogar Lothar Matthäus hatte nichts mehr zu sagen. Oder vielleicht nur keinen, der ihm zuhörte. „Dass es in einer Phase, wo es mal nicht so gut läuft, den einen oder anderen Experten gibt, der es besser weiß, damit kann Jogi Löw sicher gut mit umgehen“, antwortete HSV-Trainer Daniel Thioune auf die Frage, wie er all die geballte Kritik an der Nationalmannschaft rund um ihr Defensivverhalten wahrgenommen habe. „Wenn man das Amt des Bundestrainers übernimmt, dann hat man 80 Millionen Ratgeber. Die hat auch Jogi Löw“, sagte Thioune.

Ganz so viele Ratgeber hat der HSV-Coach nicht. Nahezu die gleiche Thematik wie der von ihm geschätzte Kollege Löw hat er vor dem Auswärtsspiel des HSV in Fürth (Sa., 13 Uhr/Sky und Liveticker bei abendblatt.de) aber sehr wohl: Dreierkette? Viererkette? Lichterkette?

HSV: Gyamerahs Lippe muss genäht werden

Der größte Unterschied: Während sich Löw unter den 80 Millionen Ratgebern die Besten der Besten für seine Abwehrkette aussuchen darf, bleibt für Trainerkollege Thioune kurz vor dem Abflug in Richtung Süden kaum ein Defensivspezialist übrig. Mit Linksverteidiger Tim Leibold (Adduktorenzerrung), Innenverteidiger Stephan Ambrosius (Corona) und Rechtsverteidiger Josha Vagnoman (Bänderriss) fehlen dem HSV-Löw gleich drei von vier gesetzten Kettenspielern.

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Zudem kam am Donnerstagmittag beim Training noch ein kleiner Schreckmoment. Abwehrallrounder Jan Gyamerah stieß mit einem Kollegen zusammen, musste anschließend mit einer blu­tenden Lippe abtransportiert werden. Wenig später folgte aber die Entwarnung: Gyamerahs Lippe wurde genäht. Der 25-Jährige wird zwar nicht auf die Lippe, sehr wohl aber auf die Zähne beißen und ist für die Startelf in Fürth gesetzt.

Welche HSV-Kollegen neben ihm verteidigen und in welcher Ordnung, ließ Thioune dagegen offen. Nur so viel: „Wir sind variabel. Jeder Kader in der Ersten, Zweiten und Dritten Liga ist so aufgestellt, dass der Trainer sogar während des Spiels von Dreier- auf Viererkette wechseln kann“, so der Coach. „Vielleicht sollte man sich im Fußball auch ein wenig von diesen Systemen lösen.“

Es brauchte allerdings gar nicht Thon, Matthäus oder Schweinsteiger, dass das knappe Dutzend an Fans, das am Donnerstag beim Training zuschaute, sich ganz und gar nicht von den Systemen lösen wollte und die verschiedenen Optionen durchspielte. Denn obwohl gegen Fürth drei Abwehrrecken ausfallen, bleiben Thioune noch immer drei Varianten in der Defensive übrig. Variante eins: Dreierkette. In so einer dürften Moritz Heyer, Toni Leistner und Gyamerah gesetzt sein. Variante zwei: Viererkette mit Überraschungseffekt. In dieser dürfte sich Youngster Bryan Hein, der in den vergangenen Tagen auffällig oft von Thioune gelobt wurde, Außenseiterchancen auf einen Startplatz links in der Viererkette neben Heyer, Leistner und Gyamerah machen.

"Entwickler" Thioune setzt auf HSV-Youngster

Last but not least Variante drei, die am wahrscheinlichsten scheint: eine Viererkette mit Heyer als Links-, Gyamerah als Rechtsverteidiger und Gideon Jung neben Leistner in der Abwehrzentrale. Es wäre sicherlich die naheliegendste und erfahrenste Defensivformation, vielleicht aber auch die langweiligste.

Sehr viel mutiger wäre die Option mit dem 19 Jahre alten Talent Hein, dem Thioune immerhin schon einen Tag vor dem Abflug einen Kaderplatz garantierte. „Seine Entwicklung ist sehr positiv. Ihm tut es unheimlich gut, tagtäglich bei den Profis dabei zu sein und seine Einsatzzeiten bei der U 21 zu bekommen.“ Nach den Ausfällen der Außenverteidiger Leibold und Vagnoman wäre der Youngster eine ernsthafte Option für die vakante Position hinten links. „Bryan kann Linksverteidiger. Die Entscheidung werden wir dann am Sonnabend fällen.“

Neuzugang Moritz Heyer (l.) ist die defensive Allzweckwaffe von HSV-Trainer Daniel Thioune.
Neuzugang Moritz Heyer (l.) ist die defensive Allzweckwaffe von HSV-Trainer Daniel Thioune. © Witters

Man nimmt Thioune ab, dass er die Option mit Frischling Hein, der noch kein einziges Profispiel absolvierte, ernsthaft in Erwägung zieht. Schon bei Thiounes Vorstellung vor drei Monaten hatte Sportvorstand Jonas Boldt betont: „Wir müssen ab sofort viel mehr den Schwerpunkt auf das Wort ,Entwicklung‘ legen. Und in Daniel sehen wir den prädestinierten Kandidaten.“

Nun, „Entwickler“ Thioune brauchte nicht lange, um seinen eigenem Ruf gerecht zu werden. Vom ersten Spieltag an setzte der 46-Jährige mit Ambrosius (21) in der Abwehr und Manuel Wintzheimer (21) im Sturm auf zwei Youngster, die vor einem Jahr im Qualitätscheck von Vorgänger Dieter Hecking noch durchgefallen waren. Dazu vertraute Thioune im zentralen Mittelfeld dem gerade einmal 19-jährigen Amadou Onana, der schon jetzt zu den positivsten Entdeckungen des Saisonstarts gilt.

Jede Menge meinungsstarke Ex-Fußballer in Hamburg

Ob Bryan Hein nun Talent Nummer vier ist, das unter Thioune auf eine Beförderung hoffen darf, wird man am Sonnabend sehen. Ein Paradebeispiel für Thiounes Spaß an mutigen Entscheidungen ist mit Moritz Heyer kurioserweise Heins größter Konkurrent für die Position des Linksverteidigers. Vor einem Jahr holte er den damals 24-Jährigen aus der Dritten Liga vom Halleschen FC nach Osnabrück, setzte ihn direkt am ersten Spieltag ein und ließ den Zweitliga-Neuling zwischen defensivem Mittelfeld, Innenverteidigung und Außenverteidigung rotieren. „Moritz zeichnet eine Polyvalenz aus, die uns variabler macht“, begründete Thioune die Verpflichtung des Spätstarters, der anders als Hein nie ein Nachwuchsleistungszentrum von innen gesehen hat.

Wer am Sonnabend um 13 Uhr auf den Sportplatz am Ronhof letztendlich auflaufen wird, bleibt vorerst offen. Klar ist dagegen, dass sich Thioune auch ohne Thon, Matthäus und Schweinsteiger auf jede Menge meinungsstarker Ex-Fußballer in Hamburg freuen darf. Denn eine Gruppe hat auch in den schlimmsten Zeiten nie gefehlt: die der Experten.

Ansage: Nach der Einheit hat Trainer Thioune Torhüter Daniel Heuer Fernandes informiert, dass ab sofort Sven Ulreich seine neue Nummer eins sei: „Das war eine sehr, sehr harte Entscheidung, keine Frage. Vielleicht ist es auch nicht nachvollziehbar.“

Neue Nummer eins:

  • Annahme: Die verletzten David Kinsombi, Tim Leibold und Josha Vagnoman fallen voraussichtlich auch gegen Aue noch aus.
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