Hamburg. Der HSV-Neuzugang hätte auch zum Stadtrivalen wechseln können – sogar für deutlich weniger Geld. Entdecker schwärmt von Heyer.
Den Freitagabend hatte sich Ralf Heskamp eigentlich ganz anders vorgestellt. Der Sportdirektor des Halleschen FC hatte seinen Laptop aufgeklappt und wollte ganz in Ruhe das Auftaktspiel der Drittligakonkurrenten Kaiserslautern und Dynamo Dresden verfolgen. Nur nebenbei lief im Hintergrund der gleichzeitige Zweitligaauftakt zwischen dem HSV und Fortuna Düsseldorf.
Doch als der Sky-Reporter immer wieder von diesem Moritz Heyer schwärmte, der doch erst 24 Stunden zuvor in Hamburg einen Dreijahresvertrag unterzeichnet hatte, blieb dem 55-Jährigen gar nichts anderes übrig, als doch beim Spiel des HSV hängenzubleiben.
Heyer und Heskamp auch familiär verbandelt
„Moritz fällt eigentlich nie auf, macht aber nahezu alles richtig“, sagt Ralf Heskamp vier Tage nach dem doppelten TV-Erlebnis. Der frühere Scout des FC Bayern München muss es wissen, weil kaum ein Fußballverantwortlicher Heyer so gut kennt wie er. Seit acht Jahren verfolgt er Heyers Karriere gleich aus zwei Gründen auf Schritt und Tritt.
Grund Nummer eins: Der frühere Geschäftsführer des VfL Osnabrück hat schon sehr früh erkannt, dass Heyer, der fast alle Jugendmannschaften Osnabrücks durchlaufen hat, das Talent für eine Profilaufbahn hat. Und Grund Nummer zwei: Heskamp und Heyer sind sogar familiär verbandelt. Heskamps Sohn Sandro, der jahrelang mit Heyer in Osnabrück zusammengespielt hat, ist seit rund sieben Jahren mit dessen Schwester Lena zusammen. Die Fußballwelt ist eben auch nur ein Dorf.
FC St. Pauli hätte Heyer günstiger haben können
Dass Heyer nun aber Karriere in der großen Stadt machen will, ist für Mit-Entdecker Heskamp keine große Überraschung. „Moritz wächst mit seinen Aufgaben“, sagt der Sportdirektor, der Heyer erst vor zwei Jahren von den Sportfreunden Lotte zum Halleschen FC geholt hatte. „Er war in der Dritten Liga bei uns richtig gut, er war in der Zweiten Liga beim VfL Osnabrück richtig gut – und er wäre auch in der Bundesliga mit dem HSV gut. Moritz hat definitiv das Zeug, um in der Bundesliga zu spielen.“
Lesen Sie auch:
Diese Einschätzung teilt man in Hamburg nicht nur beim HSV. So hatte nach Abendblatt-Informationen ausgerechnet auch der FC St. Pauli großes Interesse an dem nur 1,85 Meter kleinen Heyer – holte sich aber genauso wie im Fall von Trainer Daniel Thioune einen Korb. Dabei hätte der Kiezclub den vielseitigen Defensivspezialisten sogar für deutlich weniger als für die 600.000 Euro (plus Bonuszahlungen) bekommen können, die der HSV am Ende zahlte.
Heyer hatte in Osnabrück eine Ausstiegsklausel
Was kaum einer wusste: Heyer hatte eine Ausstiegsklausel deutlich unter der nun gezahlten Ablöse, von der aus Corona-Gründen aber kein Club Gebrauch gemacht hat. Und weil der 25-Jährige zwar ein talentierter und vielseitig einsetzbarer Spieler, aber kein Lionel Messi ist, mussten sich die Verantwortlichen des VfL auch anders als beim Barcelona-Star keine Sorgen vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung über den Zeitpunkt des Auslaufens der Frist machen.
„Ich bin den Verantwortlichen des VfL dankbar, dass sie mir keine Steine in den Weg gelegt haben“, sagt Heyer am Dienstag. Gerade erst hatte er mit seinen neuen Kollegen zum vierten Mal trainiert. Der Neuzugang hat den Rücken durchgedrückt, lächelt etwas schüchtern. Warum er sich denn für den HSV (und gegen St. Pauli) entschieden hat? „Ich kenne das Trainerteam sehr gut, das war der ausschlaggebende Punkt.“
Thioune von Heyers HSV-Start bedingt überrascht
Zur Erinnerung: Vor der Saison war auch der FC St. Pauli an einer Verpflichtung Daniel Thiounes als Nachfolger des entlassenen Jos Luhukay interessiert. Doch beim HSV machte sich besonders Sportdirektor Michael Mutzel für eine Verpflichtung des VfL-Coaches stark – und darf sich nun, einige Wochen später, über eine 2:0-Führung auf dem Transfermarkt gegen den Kiezclub freuen.
Sportlich werden sich der HSV mit Thioune und Heyer erst in gut einem Monat mit dem FC St. Pauli messen. „Ich hatte schon eine gewisse Erwartung mit dem Transfer von Moritz verknüpft“, sagt Thioune. „Dass es direkt so gut läuft, war vielleicht nicht zu erwarten. Die größte Herausforderung war wahrscheinlich, dass direkt so viele neue Menschen um ihn herum waren.“
HSV schlägt Düsseldorf:
Zum Brüllen: HSV schlägt Fortuna Düsseldorf
Heyer setzte bewusst auf Lehrjahre im Osten
Thioune machte sich in diesem Sommer bereits zum dritten Mal für eine Verpflichtung Heyers stark. Zweimal, in diesem Jahr als HSV-Trainer und im vergangenen Jahr als Osnabrück-Coach, hat es geklappt, einmal erhielt aber auch er einen Korb. Denn schon vor zwei Jahren wollte Thioune den „verlorenen Sohn“ zum VfL zurückholen, musste sich aber dem Halleschen FC und Ralf Heskamp geschlagen geben. „Ich wollte einfach mal von zu Hause weg, das war mir wichtig“, sagt Heyer. „Und Ralf hat mir das Vertrauen geschenkt.“
Den Zwischenschritt in den wilden Osten hat Heyer jedenfalls nie bereut. Im Gegenteil. Das Jahr in Sachsen-Anhalt bei Heskamp sei „sehr, sehr wichtig“ gewesen. Sie hätten eine „sehr, sehr gute Mannschaft“ gehabt, seien „sehr, sehr erfolgreich“ gewesen. Kurzum: Es sei ein „sehr, sehr schönes Jahr“ gewesen. Gleich viermal „sehr, sehr“ – das muss beim HSV erst einmal getoppt werden.