Hamburg. Nach einer Leihsaison in Bochum fühlt sich der 21 Jahre alte Stürmer dem Druck und den Erwartungen beim HSV gewachsen.

Wer im Internetlexikon Wikipedia bei Manuel Wintzheimer nach „Erfolge und Auszeichnungen“ sucht, der findet derzeit noch eine ziemlich knappe Übersicht. 2016 wurde der damals noch 17-Jährige Torschützenkönig der B-Junioren-Bundesliga Staffel Süd/Südwest. 2017 Meister der A-Junioren-Bundesliga, 2018 erneut Torschützenkönig – und vor allem Gewinner der bronzenen Fritz-Walter-Medaille als Deutschlands drittbestes U-19-Talent. Was allerdings nicht bei Wikipedia steht: 2020 könnte man guten Gewissens nach den inoffiziellen Titel „Gewinner der HSV-Vorbereitung“ hinzufügen.

Spricht man Wintzheimer nach der nun fast abgeschlossenen Vorbereitung darauf an, sagt er das, was man als junger Fußballer nun mal so sagt: Die Kollegen hätten ihm viel geholfen. Natürlich. Und er könne und müsse noch immer viel lernen. Selbstverständlich. Und überhaupt: Alle seien doch Gewinner der Vorbereitung. Natürlich und selbstverständlich.

Und doch kommt man nicht darum herum, dass „der Manu“, wie Trainer Daniel Thioune sagt, die Erwartungen der meisten bislang deutlich übertroffen habe. Drei Tore hat er in den Testspielen bislang erzielt. Keiner traf häufiger. Und die beiden Treffer durch Aaron Hunt und Lukas Hinterseer beim 2:0 gegen Hertha hat er direkt oder indirekt vorbereitet. „Er hat viel Potenzial nach oben. Er nimmt an, er adaptiert sehr schnell“, sagt Thioune. Und: „Er kann und will weiter wachsen.“

HSV-Stürmer Wintzheimer: „Ich bin im Herrenfußball angekommen“

Am Montagmorgen sitzt „der Manu“ in seiner Wohnung in Lokstedt und freut sich im Gespräch mit dem Abendblatt über die Komplimente. Zumindest ein wenig. Und über zwei freie Tage. Ziemlich doll. „Zwei freie Tage am Stück in Hamburg hat man ja nicht so häufig.“

Nimmt man es genau, dann ist es in dieser Vorbereitung, in der Wintzheimer bislang so formidabel durchgestartet ist, das erste Mal. Sucht man nach Gründen für sein „Hoch von heute“, landet man schnell beim Gestern. „Mir hat die Ausleihe nach Bochum sehr geholfen. Ich bin reifer geworden, habe ordentlich Spielpraxis sammeln dürfen“, sagt Wintzheimer, der in 20 Zweitligaspielen für den VfL dreimal traf. „Mir hat das Jahr in Bochum jedenfalls gutgetan.“ Und dann sagt er noch einen Satz: „Ich bin im Herrenfußball angekommen.“

Tatsächlich waren alle HSV-Verantwortlichen mächtig stolz, als man 2018 Wintzheimer direkt aus Bayerns Nachwuchs verpflichtete. Mit ihm und Supertalent Fiete Arp habe man nun die beiden vielversprechendsten U-19-Stürmer Deutschlands, frohlockte seinerzeit Ex-HSV-Chef Bernd Hoffmann.

Im Fußball braucht man Geduld

Doch im Fußball braucht man Geduld. „Der Schritt aus dem Nachwuchsbereich direkt zu den Profis ist ein sehr großer Schritt, den nicht jeder ohne Weiteres schafft“, sagte nicht Hoffmann. Sondern Wintzheimer. „Das ist ein Lernprozess, den auch ich absolviert habe.“

Zwei Jahre später spielt Talent Nummer eins, Fiete Arp, Jahrgang 2000, in Bayerns zweiter Mannschaft. Zumindest manchmal. Talent Nummer zwei, Manuel Wintzheimer, Jahrgang 1999, hat dagegen in Bochum gelernt, dass man als junger Spieler auch mal „einen Zwischenschritt machen muss, um vielleicht einen Schritt nach vorne zu machen.“

Auch auf dem Platz muss und soll Wintzheimer nun öfters mal ein paar Schritte zurück machen, um dann nach vorne durchzustarten. Der gebürtige Unterfranke ist unter Thioune als hängende Spitze im variablen System mit zwei Stürmern vorerst gesetzt. „Mir bringt das Spaß, mich auch mal fallen zu lassen, den Ball am Fuß zu haben und ihn dann zu verteilen. Ich komme gerne ein wenig aus der Tiefe“, sagt Wintzheimer, der daran erinnert, dass Thioune da keine Weltneuheit beim Patentamt anmelden brauche.

„Ich bin froh, wenn ich auf dem Platz stehen darf“

Auch in der vergangenen Saison habe er hinter Silvère Ganvoula drei oder vier Spiele als hängende VfL-Spitze gespielt. Und auch Sebastian Hoeneß, der gerade von 1899 Hoffenheim als neuer Chefcoach verpflichtet wurde, habe ihn in Bayerns U19 ab und an als „abkippende Spitze“ ausprobiert.

Früher, vor noch gar nicht allzu langer Zeit, hätte man einen wie Wintzheimer wahrscheinlich als polyvalenten Offensivspieler bezeichnet. Auf Normaldeutsch: ein Stürmer, der in der Offensive variabel einsetzbar ist. Heute sagt Wintzheimer selbst: „Ich bin froh, wenn ich auf dem Platz stehen darf.“

Mutzel und Boldt hielten das Jahr über Kontakt

Wintzheimers Bescheidenheit kommt an – auch bei den Verantwortlichen. Die waren nach der Vorbereitung vor einem Jahr noch alles andere als sicher, ob der Jungprofi tatsächlich in der Zweiten Liga seinen Mann stehen würde. Am letzten Tag der Transferfrist ging dann plötzlich alles ganz schnell

. „Als ich vor einem Jahr hörte, dass Martin Harnik kommen würde, fiel mir die Entscheidung, nach Bochum für eine Saison zu wechseln, nicht schwer. Als junger Spieler braucht man einfach Spielpraxis“, sagt Wintzheimer, der den Kontakt nach Hamburg über das Jahr aber nicht verlor: „Michael Mutzel und Jonas Boldt haben sich regelmäßig bei mir gemeldet. So etwas regis­triert man natürlich.“

Genau wie der HSV hofft nun auch Wintzheimer auf seinen dritten Anlauf in Liga zwei. „Ich möchte jetzt auf jeden Fall beim HSV bleiben und hier mein Glück suchen“, sagt der Stürmer, der nur zu gerne noch ein weiteres Erfolgskapitel in seinem bislang eher übersichtlichen Wikipedia-Lebenslauf hinzufügen würde: 2021, Aufstieg in die Bundesliga.