Hamburg. HSV-Sportdirektor Mutzel bewegt sich zwischen Machtgewinn und Kompetenzverlust. Wie er das aktuelle Transfergeschehen bewertet.
Beim Vormittagstraining am Mittwoch hatte Michael Mutzel schnell einen neuen Freund gefunden. Mutzels neuer Buddy: knapp 16 Meter groß, aus verzinktem Stahl und mit einer ziemlich hellen Birne. Der überdimensionale Flutlichtmast mitten auf dem Trainingsplatz war die einzige Schattenquelle, die der HSV-Sportdirektor beim Beobachten der Einheit unter subtropischen Temperaturen in Anspruch nehmen konnte – und das dankbar tat.
An menschlichen Freunden mangelt es dem 40-Jährigen nach knapp anderthalb Jahren in Hamburg allerdings auch nicht. Im März des vergangenen Jahres wurde Mutzel von Ex-Sportvorstand Ralf Becker nach Hamburg geholt – und durfte noch vor seiner offiziellen Präsentation zusehen, wie nacheinander Trainer Hannes Wolf und kurze Zeit später auch Förderer Becker beurlaubt wurden. Doch wer nun dachte, dass damit auch Mutzels Tage in Hamburg gezählt sein dürften, der irrte. Becker-Nachfolger Jonas Boldt ließ sich schnell von Mutzels Qualitäten begeistern, wollte den gebürtigen Schwaben aber zunächst einmal aus dem Hintergrund arbeiten lassen.
HSV gibt Mutzel trotz Hrubeschs mehr Macht
Von nun an soll Mutzels Schattendasein allerdings lediglich auf das Beobachten des Trainings begrenzt sein. Ansonsten soll der umtriebige Direktor nach Absprache mit Boldt mehr in den Fokus rücken. „Es ist schon ein bisschen anders“, sagt Mutzel am Mittwoch, als er für wenige Minuten seinen Schattenplatz verlässt. „Ich bin jetzt näher an der Mannschaft und am Trainerteam dran.“
Mehr Macht für Mutzel. Eine schöne Alliteration, auf die intensive Beobachter des HSV-Geschehens in den vergangenen Tagen zunächst kaum gekommen wären. Denn die landauf, landab gefeierte Verpflichtung Horst Hrubeschs als neuem Nachwuchsdirektor wurde innerhalb des HSV von vielen als gleichzeitige Degradierung Mutzels gewertet.
Mutzel erst spät in Hrubesch-Deal involviert
Einer der wenigen, die das von Anfang an anders sahen, war: Michael Mutzel. „Mir wurde nichts weggenommen, ich habe Unterstützung bekommen“, sagt der frühere Mittelfeldmann aus Memmingen. „Beim Nachwuchs gingen im vergangenen Jahr ein paar meiner Ressourcen drauf. Aber diesen Bereich so nebenbei zu machen, das geht einfach nicht.“
Gesagt, getan. Obwohl Mutzel erst spät in die Verpflichtung Hrubeschs involviert war, ging der Sportdirektor direkt in die Offensive und traf sich mehrfach mit dem früheren DFB-Trainer. „Wir wollen es unbedingt miteinander machen“, sagt Mutzel, der jeden HSV-Nachwuchsspieler bis zur U 17 aus dem Effeff kennt. „Die Verzahnung nach oben muss eng sein. Ich bin mir sicher, dass das reibungslos funktionieren wird.“
Mutzel im Daueraustausch mit Scout Costa
HSV-untypisch hat Mutzel überhaupt keine Lust auf politische Spielchen und taktisches Geplänkel. Und dass es ihm hauptsächlich um den Inhalt geht, hat der frühere Chefscout von 1899 Hoffenheim bereits in der vergangenen Saison bewiesen. Als Boldt in einer seiner ersten Amtshandlungen seinen Vertrauten Claus Costa aus Leverkusen als neuen Chefscout holen wollte, bestand Costa darauf, sich zunächst einmal mit Mutzel zu treffen. Immerhin sei der als Sportdirektor sein Vorgesetzter und erster Ansprechpartner. Am Ende unterhielten sich die beiden vier Stunden lang über Fußball, Spieler und Trainer – und waren nach ihrem Blind Date sicher, dass sie auf einer Wellenlänge funken.
Seitdem vergeht kaum ein Tag, an dem Mutzel und Costa nicht mehrfach telefonieren, sich schreiben, treffen oder in Vor-Corona-Zeiten zusammen zu Spielen gingen. Im vergangenen November sahen die beiden Fußballnerds beispielsweise das U-21-Duell zwischen der Schweiz und Frankreich in Neuchâtel – und schwärmen noch heute von den hochtalentierten Franzosen. Doch auch ohne gemeinsame Scoutingreisen in Corona-Zeiten bleibt der Austausch eng. Zwischen den beiden Büros liegt nur noch das Durchgangszimmer von Teammanager Lennart Coerdt und Vorstandsassistentin Nadja Kischkat – und die Türen dazwischen stehen immer offen.
Der weitere Sommerfahrplan des HSV:
- 14. August: Test gegen Drittligist Lübeck
- 24. bis 30. August: Trainingslager in Bad Häring
- 5. September: Test gegen Erstligist Hertha
HSV-Interesse an Hofmann? Das sagt Mutzel
Im Gegenteil zum Fenster des nur schwer in die Gänge kommenden Transfermarkts. „Der Markt ist schwieriger als in den vergangenen Jahren. Die Corona-Krise hat Wirkung gezeigt“, gibt Mutzel zu. „Die Clubs sind vorsichtig. Auch wir wollen uns nicht treiben lassen.“
Dabei gibt es fast täglich neue Stürmerkandidaten, die medial mit dem HSV in Verbindung gebracht werden: Manuel Schäffler, Simon Terodde, Hendrik Weydandt, Moussa Konaté – und seit Dienstag nun auch noch Philipp Hofmann aus Mutzels Ex-Heimat Karlsruhe. „Philipp ist ein guter Spieler“, sagt Mutzel. „Aber gefühlt ist jeder Name jedes Zweitligastürmers bei uns schon mal gefallen. Wir halten Augen und Ohren offen, aber die Krise hat bei allen Clubs in Europa Wirkung hinterlassen. Auch bei uns.“
Ob der HSV unter den derzeitigen Voraussetzungen überhaupt in der Lage ist, zwei Millionen Euro für einen Spieler zu bieten, wird Mutzel am Mittwoch gefragt. „Die zwei Millionen Euro jetzt waren die acht Millionen Euro vor der Krise. Das ist nur noch nicht bei allen Vereinen angekommen. Aber der Markt wird sich schon noch ein wenig finden.“
Mutzel will beim HSV "mehr entwickeln"
Michael Mutzel scheint seinen Platz nach knapp anderthalb Jahren in Hamburg jedenfalls gefunden zu haben – mit Ausnahme vom Mittwochvormittag. Denn nach gut einer Viertelstunde in der prallen Sonne wird es dem Sportdirektor im Anschluss an das HSV-Training dann doch zu heiß.
Bevor sich Mutzel allerdings höflich verabschiedet, will er nur noch schnell klarmachen, dass er von der neuen Ausrichtung des HSV überzeugt sei. „Wir wollen mehr entwickeln als früher“, sagt er. „Diesen Weg wollen, können und müssen wir gehen.“
Und sein eigener Weg? Zunächst einmal ganz schnell raus aus der Sonne.