Hamburg. Der Gelbe-Karten-König hat einen der ungewöhnlichsten Karrierewege hinter sich. Seine HSV-Rolle überrascht sogar den Ziehvater.
An das erste Treffen kann sich Rico Schmitt noch gut erinnern. Am 13. Juli 2014 spielte er in Bad Kreuznach ein Saisonvorbereitungsspiel mit den Kickers Offenbach gegen Bayer Leverkusen II. Regionalliga Südwest gegen Regionalliga West. „Klaus Gjasula war mir von einer Agentur angeboten worden. Unser Kader war dicht. Aber ich habe mir den langen Kerl dann mal angeschaut“, sagt der damalige Offenbach-Trainer über den damaligen Offenbach-Testspieler.
Das Ende der Geschichte: Gjasula überragt, die Kickers gewinnen 6:1, und Schmitt will diesen baumlangen Mittelfeldkämpfer „um jeden Preis“. Was Gjasula zu dem damaligen Zeitpunkt noch nicht weiß: Um jeden Preis heißt seinerzeit noch 1500 Euro. Brutto. Im Monat.
Gjasula über HSV-Angebot: „Geil, geil, geil!“
Sechs Jahre später steht der damalige Regionalliga-Testspieler auf dem Trainingsplatz im Volkspark, blinzelt in die Sonne und sagt: „Durch Rico hat sich meine Karriere verändert.“ Schmitt sei so eine Art fußballerischer Ziehvater von ihm gewesen, sagt Gjasula, der seinem früheren Coach vor gut drei Wochen eine Sprachnachricht schickte: „Geil, geil, geil“, schrie der mittlerweile 30-Jährige in sein Telefon, als er kurz zuvor beim HSV einen gut dotierten Zweijahresvertrag unterzeichnet hatte. Nicht als Testspieler, sondern als Führungsspieler. Nicht für 1500 Euro im Monat, sondern für geschätzt das 20-Fache.
„Für viele Fußballer ist es ein Traum, hier zu spielen“, sagt nun Gjasula. Sein Erfolgsgeheimnis: „Alles, was du in den Fußball investierst, bekommt du irgendwann auch zurück.“
Und Gjasula hat viel investiert.
Gjasula – Profi über zweiten Bildungsweg
Man darf wohl ungeprüft behaupten, dass Gjasulas Weg zu den ungewöhnlichsten Karrieren im deutschen Profifußball gehört. Eines der vielen Nachwuchsleistungszentren hat der gebürtige Albaner noch nie von innen gesehen. Er habe es „auf dem zweiten Bildungsweg“ geschafft, sagt HSV-Sportvorstand Jonas Boldt. „Wer seinen Weg sieht, der weiß, dass er Ellenbogen auspackt und sich nie hat aufhalten lassen“, sagt Trainer Daniel Thioune. „Er hat seinen Weg von ganz unten nach oben gefunden.“
Geboren in Tirana, mit der Familie als Baby geflüchtet, aufgewachsen in Freiburg-Weingarten. „Das Viertel galt als Getto. Krotzinger Straße, mieser Ruf, viele Hochhäuser, viele Nationen“, sagte Gjasula kürzlich der Zeitschrift „11Freunde“. Seine erste Herrenstation im Fußball: der Freiburger FC, Verbandsliga Südbaden. Es folgten der Bahlinger SC, Waldhof Mannheim, MSV Duisburg II und schließlich Rico Schmitt.
In der Hitze des Volksparks: HSV-Training am Donnerstag:
„Klaus ist ein Anführer, ein Vorangänger. Er ist ein Krieger. Wenn man ihn auf seiner Seite hat, dann kann einem nichts passieren“, schwärmt der Trainer, der zunächst drei Jahre lang mit Gjasula in Offenbach arbeitete. „Klaus hat die deutschen Tugenden mit dem albanischen Herzblut kombiniert.“
Der Fußballlehrer erinnert sich noch, als sie nach einer guten Serie in Offenbach ins Schwärmen gerieten und er mit Gjasula und dem Innenverteidiger Giuliano Modica in der Kabine zusammensaß. „Wir sind dann ins Plaudern gekommen, wohin die Reise noch gehen kann. Wir waren gerade im Flow. Giuliano war aber Argentinier mit italienischen Wurzeln. Dem musste ich sagen, dass es mit der Nationalmannschaft wohl nichts mehr wird. Aber Klaus war Albaner. Dem habe ich gesagt: Warum denn nicht?“
Fünf Jahre danach feierte Gjasula sein Debüt für die albanische Nationalmannschaft. Mit 29 Jahren. Gegen Weltmeister Frankreich. „Ich musste mich natürlich mal wieder entschuldigen, bei Blaise Matuidi von Juve“ erinnerte sich Gjasula in der „11Freunde“ an sein Debüt. „Ich hatte ihn nach meiner Einwechslung mit gestrecktem Bein am Fuß erwischt, klare Gelbe Karte, was auch sonst? Also meinte ich, dass er mir leidtäte. Und dass ich auch ein bisschen den Ball erwischt hätte. Da meinte er: ,Nee, war nur mein Fuß.‘“
Gjasula hält in zwei Ligen den Gelbe-Karten-Rekord
Gjasula und die Gelben Karten. Dass er in der vergangenen Saison mit dem SC Paderborn den Bundesliga-Rekord für die Ewigkeit des Polen Tomasz Hajto gebrochen hat und am Ende auf 17 Verwarnungen kam, weiß mittlerweile jeder. Was kaum einer weiß: Auch in der Regionalliga Südwest ist er mit 16 Gelben Karten in nur einer Spielzeit Rekordhalter. „Beim Klaus gibt es nur ganz oder gar nicht“, sagt Rico Schmitt. „Entweder 100 Prozent, wenn er von der Sache überzeugt ist. Oder, wenn er von einer Sache nicht wirklich überzeugt ist, kann man ihn eben nicht gebrauchen.“
Als Gjasula Offenbach und Schmitt im Winter 2016 verließ, um bei den Stuttgarter Kickers in der Dritten Liga sein Glück zu versuchen, war der Mittelfeldkämpfer schon bald nicht mehr wirklich überzeugt. Stuttgart stieg ab – und Gjasula überlegte, auszusteigen. „Ich war schon kurz davor, aufzuhören“, gibt der Familienvater heute zu, der auch schon mal kurz davor war, mit einem Kumpel eine Kneipe aufzumachen.
Doch dann kam erneut Ziehvater Schmitt, ein zweites Mal, diesmal Trainer beim FC Halle – und das Märchen Gjasula ging weiter. „Mein Weg spiegelt ein bisschen mein ganzes Leben wider. Von ganz unten angefangen, Schritt für Schritt nach oben“, sagt der HSV-Neuzugang, als er am Donnerstag zwischen den zwei Einheiten auf seine ungewöhnliche Karriere angesprochen wird.
Markenzeichen: Helm
Dass aber „KG8“, wie Gjasula von Schmitt in Anlehnung an seine Rückennummer bei der albanischen Nationalmannschaft genannt wird, nun Führungsspieler beim HSV werden soll, hätte selbst „RS10“ (Gjasulas Spitzname für Schmitt) nicht für möglich gehalten. „Natürlich war ich überrascht. Ich würde schwindeln, wenn ich behaupten würde, dass ich das schon immer gewusst hätte“, sagt er. Doch wie sagte Schmitt noch vor fünf Jahren im Hinblick auf die albanische Nationalmannschaft: „Warum denn nicht?“
In Hamburg wird Gjasula neben den Gelben Karten auch sein zweites Markenzeichen pflegen: seinen Helm. Nach einem Jochbeinbruch in einem Spiel mit Offenbach gegen Hessen Kassel hatte er sich zum Schutz eine Spezialanfertigung aus Carbon anfertigen lassen. Nur für ein paar Wochen, dachte er. Mittlerweile sind es ein paar Jahre. „Als er zu mir nach Halle gewechselt ist, wollte er seinen Helm abnehmen“, sagt Rico Schmitt. „Ich habe ihm dann gesagt, dass er das Ding schön auf dem Kopf behalten solle. Der Helm sei schließlich sein Markenzeichen. So sieht er aus wie der ideale Mann für die Mission einer Spezialeinheit.“
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