Hamburg. Marketingchef Bindzus muss den HSV durch die Krise leiten – und dabei auch Kündigungen verkraften. Neue Strategie nach NDR-Aus?

Es ist schon erstaunlich, wie groß manchmal die Unterschiede zwischen den beiden Adjektiven theoretisch und praktisch sein können. Beispiel gefällig? Theoretisch durfte sich Henning Bindzus am Montag als echter Glückspilz fühlen. Der Marketingdirektor des HSV war genau dort, wo alle HSV-Fans so gerne gewesen wären: im Volksparkstadion.

Doch ganz praktisch konnte Bindzus mit seinem privilegierten Glück nicht viel anfangen. Denn obwohl den 36-Jährigen und die HSV-Profis, die nach drei Wochen Pause erstmals wieder trainierten, nur wenige Meter Luftlinie voneinander trennten, konnte Bindzus eben nicht einfach mal beim Geschehen auf dem Platz zuschauen. Ihm fehlte ganz einfach die Zeit – theoretisch und auch praktisch.

Bindzus galt als enger Hoffmann-Vertrauter

Wohl kaum einer beim HSV ist in der derzeitigen Coronakrise so stark beschäftigt wie Henning Bindzus. So ist es gerade einmal ein paar Tage her, dass Clubchef Bernd Hoffmann beurlaubt wurde, die Vorstände Frank Wettstein und Jonas Boldt dessen Aufgaben neu verteilten und eben jenen Bindzus ab sofort mehr denn je fordern wollen.

Ausgerechnet Bindzus, muss es heißen. Denn theoretisch wurde dem früheren Torhüter des SC Schwarzenbek seit Jahren ein sehr enges Vertrauensverhältnis zu Hoffmann nachgesagt. Ganz praktisch arbeitet Bindzus allerdings auch seit vergangenem Jahr genauso eng mit Hoffmann-Antipode Wettstein zusammen.

Bindzus hält Kontakt zu den HSV-Partnern

"Die allermeisten Gespräche auf der operativen Ebene werden von unserem Direktor Henning Bindzus, seinen Mitarbeitern und den Mitarbeitern unseres Vermarktes Lagardère Sports geführt“, sagte Wettstein zuletzt, als er erklären sollte, wer nach der Entlassung Hoffmanns denn nun die Sponsorengespräche führe.

"Die derzeitige Lage ist natürlich extrem herausfordernd“, sagt Bindzus selbst, der bislang noch keiner breiten Öffentlichkeit bekannt war, der aber nicht erst seit Hoffmanns Entlassung den engsten Kontakt zu den zahlreichen Partnern des HSV hält.

"Natürlich gibt es auch bei unseren Partnern eine große Unsicherheit, wie es mit ihren Unternehmen in der näheren Zukunft weitergeht. Keiner weiß aktuell abschließend, welche konkreten Auswirkungen die Coronakrise auf die Wirtschaft beziehungsweise auf das eigene Unternehmen hat“, sagt der studierte Sportökonom. Was er nicht sagt: Natürlich weiß auch niemand im Volkspark, welche konkreten, wirtschaftlichen Auswirkungen Corona auf das Unternehmen HSV hat.

Bindzus dachte früh an die Coronakrise

Fast auf den Tag einen Monat ist es her, dass Bindzus beim Abendblatt zu Besuch war. Ein Monat, der sich wie eine andere Zeitrechnung anfühlt. Bernd Hoffmann war noch Vorstandsvorsitzender und sprach davon, am liebsten irgendwann im Volkspark in Rente zu gehen.

Der HSV gewann an dem Wochenende 2:1 gegen Regensburg, ein Großteil der 41.317 Zuschauer war glücklich und Bindzus sprach am Tag danach im Podcast "HSV – wir müssen reden" über die Marke HSV, die Imagebildung des Clubs und neue Pläne in der Auslandsvermarktung. Zum Schluss des Podcasts kam Bindzus auch auf Corona zu sprechen. "Das wird uns natürlich erheblich betreffen, aber in welcher Form, kann ich noch gar nicht vorhersehen“, sagte er damals.

HSV verhandelt mit Emirates, Adidas und Popp

Knapp einen Monat später ist Bindzus schlauer. "Innerhalb der vergangenen vier Wochen ist es zu einer ganz anderen Priorisierung der Arbeitsabläufe gekommen, sodass wir mit größtem Einsatz und einem klaren Vorgehen bestmöglich durch diese Situation steuern“, sagt er nun. Seine aktuelle Hauptaufgabe in den Gesprächen mit den Sponsoren und Partnern: "Natürlich ist unser Ziel, die Verluste durch die Coronakrise so gering wie möglich zu halten.“

Ganz konkret ist der Schleswig-Holsteiner in Gesprächen mit Hauptsponsor Emirates (zahlt jährlich 1,8 Millionen Euro/Vertrag bis 2022), Ausrüster Adidas (2,25 Millionen Euro/2024), Ärmelsponsor Popp (1,5 Millionen Euro/2022) und Bierpartner König Pilsener (1,1 Millionen Euro/2023).

Etliche Hospitality-Kunden haben gekündigt

Der HSV hat acht Exklusivpartner, acht "normale" Partner, 18 Supplier, neun Hamburger-Weg-Partner und sechs HSV-Kids-Partner – und mit allen muss coronabedingt genauso gesprochen werden wie mit den vielen Hospitality-Kunden. Rund 40 Prozent von ihnen hatten fristgerecht zum 31. März gekündigt oder ihren auslaufenden Vertrag nicht verlängert. Nun sei die Herausforderung, so viele wie möglich zurückzugewinnen. Trotz Corona.

"Die Gespräche sind nicht einfacher, durch die Umstände, dass persönliche Treffen derzeit nicht möglich sind. Derzeit läuft alles nur über Videokonferenzen und über das Telefon", sagt Bindzus. "Mein Handy hängt eigentlich den ganzen Tag an der Powerbank. Das ist ein anderes Arbeiten als bisher, der persönliche Kontakt fehlt. Aber das geht ja jedem derzeit so."

Keine traditionelle Medienpartnerschaft mehr?

So erfuhr Bindzus auch nur am Telefon von den guten und schlechten Nachrichten der vergangenen Woche. Die gute: Trotz wirtschaftlicher Turbulenzen bekannte sich Hauptsponsor Emirates am vergangenen Dienstag auf Abendblatt-Nachfrage deutlich zum HSV und versicherte, dass man selbst im Falle des Nicht-Aufstiegs die dann mögliche Ausstiegsklausel nicht ziehen würde. Die schlechte: Medienpartner NDR, der rund 300.000 Euro im Jahr zahlen soll, kündigte nur zwei Tage später an, dass man sich aus finanziellen Gründen zum Saisonende zurückziehen würde.

"Das Ende dieser Partnerschaft bedauern wir natürlich, aber es kam nicht überraschend für uns, da wir stets in einem vertrauensvollen Austausch waren", sagt Bindzus. Und überhaupt: "Wo sich eine Tür schließt, öffnet sich eine nächste." Wer durch diese nächste Tür gehen wird, wollte Bindzus noch nicht verraten. Allerdings sei es durchaus möglich, dass man das Konzept der traditionellen Medienpartnerschaften grundlegend neu überdenken würde.

HSV steckt in "doppelter Vermarktungsphase"

Komplett neu überdenken müssen Bindzus und sein Team auch die Einnahmestruktur. So hat gerade erst Peter Rohlmann (PR Marketing) die Studie "Coronavirus und die wirtschaftlichen Folgen für den Profifußball" veröffentlicht, laut der 26 Prozent der Einnahmen der Clubs durch das Spieltagsgeschäft generiert werden. So würden dem HSV in Coronazeiten pro zu erwartetem Geisterspiel 1,755 Millionen Euro entgehen.

"Es gibt ja vielfältige Szenarien, wie und wann die Saison weitergehen kann", sagt Bindzus. "Darüber hinaus haben wir aber trotz der Coronakrise auch die Zukunft im Blick. Wir haben also gerade quasi eine doppelte Vermarktungsphase, die wir so noch nie hatten."

Stadionname: Bindzus braucht Alternativen

Eine doppelte Strategie braucht der HSV auch bei der Vermarktung des Stadionnamens. Nach dem Ende des Vorstandsstreits sind Wettstein und Aufsichtsratschef Marcell Jansen wieder mit Investor Klaus-Michael Kühne im Kontakt. Die seit 2015 laufende Partnerschaft über die Namensrechte hat dem HSV pro Saison vier Millionen Euro eingebracht. Im Sommer läuft der Kühne-Vertrag allerdings aus – und auch hier muss Bindzus Alternativen parat haben.

Theoretisch braucht sich Bindzus also weder im Homeoffice noch in seinem verwaisten Büro im Volksparkstadion über mangelnde Arbeit zu beschweren. Ganz praktisch hofft er inständig, dass der ganze Spuk schon bald ein Ende hat – und er dann vielleicht auch mal wieder kurz beim Training zuschauen kann.