Hamburg. Der Aufsichtsrat muss die Corona-Probleme und Machtkämpfe im Vorstand lösen. Doch das Gremium hat genug mit sich selbst zu tun.

Es kommt nur selten vor, dass sich Aufsichtsräte des HSV so ungestört treffen konnten wie am Donnerstagabend im Volkspark. Das war aber auch schon der einzige Vorteil, den die Folgen der Corona-Krise für den Hamburger Zweitligisten mit sich brachten.

Die weitaus dramatischeren Auswirkungen durch die Virusverbreitung wird der Club vor allem finanziell zu spüren bekommen. Und so lag es am Donnerstagabend bei der turnusmäßigen Sitzung des Aufsichtsrates der HSV Fußball AG vor allem an den Vorständen Bernd Hoffmann, Jonas Boldt und Frank Wettstein, dem Kontrollgremium Wege und Lösungen für alle möglichen Szenarien aufzuzeigen.

HSV-Aufsichtrat muss Vorstandsprobleme klären

Aufsichtsratschef Max-Arnold Köttgen wollte das Treffen der Verantwort­lichen aber gleichzeitig nutzen, um persönliche Differenzen innerhalb des Vorstandes auf den Tisch zu bringen und zu klären.

Das Abendblatt hatte in der vergangenen Woche von erheblichen Differenzen zwischen Hoffmann, Boldt und Wettstein berichtet, die sich längst zu einem internen Machtkampf zugespitzt haben. Und wie so häufig liegt es nun am Aufsichtsrat, die Probleme der operativ Verantwortlichen zu klären.

Köttgen so souverän wie zuletzt Bandow

Dabei ist der Aufsichtsrat der HSV Fußball AG selbst schon seit Jahren eines der größten Probleme des Clubs. In kaum einem anderen Verein steht das Gremium so oft im Fokus wie im Volkspark. Weil es eben auch innerhalb des Rates immer wieder um politische Machtkämpfe und persönliche Interessen geht.

Aktuell liegt es an Aufsichtsratschef Max-Arnold Köttgen, die Kon­trolleure an ihre eigentliche Aufgabe zu erinnern: die Kontrolle. Köttgen erfährt innerhalb des HSV eine hohe Akzeptanz. Ihm wird intern nachgesagt, das Gremium so souverän zu führen wie es zuletzt Udo Bandow in seiner langen Ära getan hatte. Bandow übte das Amt elf Jahre lang von 1996 bis 2007 aus.

Vorstandscchef Bernd Hoffmann (l.) und Ex-Aufsichtsratsboss Udo Danow bei der HSV-Mitgliederversammlung im Januar 2019.
Vorstandscchef Bernd Hoffmann (l.) und Ex-Aufsichtsratsboss Udo Danow bei der HSV-Mitgliederversammlung im Januar 2019. © Witters

Zehn Aufsichtsratschefs in nur elf Jahren

Innerhalb der vergangenen elf Jahre aber hatte der Club an der Spitze des Aufsichtsrates eine ähnliche Wechselquote wie bei seinen Trainern.

Horst Becker (2007–2011), Ernst-Otto Rieckhoff (2011–2012), Alexander Otto (2012– 2013), Manfred Ertel (2013–2014), Jens Meier (2014), Karl Gernandt (2014– 2017), Andreas Peters (2017–2018), Michael Krall (Februar 2018), Bernd Hoffmann (Februar bis Mai 2018) und Köttgen (seit Mai 2018) versuchten im kontinuierlichen Wechsel, Kontinuität an der Spitze des Gremiums herzustellen.

Nach Gernandt ein Rückfall in alte Zeiten

Ganz besonders unruhig waren die Zeiten von 2011 bis 2014, als nicht nur die Mitglieder des damals noch elfköpfigen Aufsichtsrates so schnell wechselten wie ihr Chef an der Spitze. Mit der Ausgliederung der Fußballabteilung im Sommer 2014 sollte sich dieser Zustand eigentlich ändern.

Jens Meier (l.) leitete das Gremium bis zur Ausgliederung 2014, Karl Gernandt (r.) wurde anschließend der erste Aufsichtsratschef der AG.
Jens Meier (l.) leitete das Gremium bis zur Ausgliederung 2014, Karl Gernandt (r.) wurde anschließend der erste Aufsichtsratschef der AG. © Witters

Doch spätestens seit dem Rückzug des ersten AG-Kontrollchefs Gernandt haben sich die früheren Zustände wieder eingeschlichen. Der Hauptvorwurf: Den Räten gehe es nicht um die Kontrolle des Vorstands, sondern vielmehr um den Posten innerhalb des Gremiums, der einen persönlichen Bedeutungsgewinn mit sich bringe.

Ex-Chef Ertel hat "fatale" HSV-Erinnerungen

In der aktuellen Phase müssen die Aufsichtsräte nun beweisen, dass es ihnen einzig und allein um das Wohl des HSV geht. Das sieht auch Manfred Ertel so. Der 69-Jährige leitete das Kontrollgremium zwischen 2013 und 2014 an der Spitze und zuvor als Stellvertreter und einfaches Mitglied.

"Ich erwarte, dass der Aufsichtsrat seine Kontrollpflichten ganz intensiv wahrnimmt und rechtzeitig ausübt", sagte Ertel am Donnerstag im HSV-Podcast des Abendblatts. Der Buchautor, der gerade an einem neuen Kriminalroman schreibt, erwartet vom aktuellen Aufsichtsrat vor allem, dass er den Vorstandskonflikt löst.

"Was der HSV in dieser Phase als Letztes gebrauchen kann, ist ein neues Kompetenzgerangel in der operativen Führung“, sagte Ertel. "Ich mache mir Sorgen um meinen HSV. Die Situation erinnert mich fatal an die Zeit von 2008 und 2009.“

Hören Sie hier den HSV-Podcast mit Manfred Ertel:

Ertel attackiert HSV-Boss Hoffmann

Ertel meint den Machtkampf zwischen den damaligen Vorständen Bernd Hoffmann und Dietmar Beiersdorfer mitten in der erfolgreichsten Zeit der jüngeren Clubgeschichte, der die stetige Talfahrt des HSV einleiten sollte. 2011 war Ertel als Aufsichtsratsmitglied eine der treibenden Kräfte, als Hoffmann vom Posten des Vorstandschefs abberufen wurde.

Nun spart Ertel erneut nicht mit Kritik am Vorgehen Hoffmanns, der nach seinen kurzen Phasen als Präsident und Aufsichtsratschef seit Mai 2018 wieder die Geschicke im Vorstand leitet. "Der HSV braucht keinen Vorsitzenden, der alles besser weiß als der Sportdirektor. Das erinnert mich fatal an die Vergangenheit", sagt Ertel.

"Eitelkeiten haben Kontrollaufgabe überschattet"

Viele Fans dürften sich aber auch an die Zeit erinnern, als Ertel selbst für die Kontrolle des Vorstandes verantwortlich war. 2014 trat er als Folge der Machenschaften im Aufsichtsrat zurück. Die damalige Größe von elf Mitgliedern sieht er im Nachhinein nicht als Problem an.

"Das war nicht so entscheidend. Da ist vieles sehr ordentlich und sachverständig gehändelt worden“, sagt Ertel. "Die Unruhe entstand durch die Indiskretion Einzelner. Bestimmte Interessen wurden nach außen getragen und eigene Eitelkeiten haben die eigentliche Kontrollaufgabe überschattet."

Ertel für e.V.-Präsident als Aufsichtsratschef

Ertel wünscht sich, dass der HSV e. V. als Mehrheitsgesellschafter der Fußball AG auch im Aufsichtsrat künftig eine stärkere Rolle einnimmt. Mit Marcell Jansen ist der Präsident des Vereins automatisch im Gremium vertreten.

"Für mich ist es alternativlos, dass der Präsident des e. V. auch Vorsitzender des Aufsichtsrats ist, um von dort aus die Geschicke des gesamten Clubs zu steuern“, sagt Ertel.

Jansen selbst hatte zuletzt aber immer wieder betont, dass er Max-Arnold Köttgen an der Spitze des aktuellen Aufsichtsrates für die richtige Besetzung hält.

Ertel: "Es geht nur um den HSV"

Doch wie einig sich die Kontrolleure sind, wenn es um die Bewertung des Vorstandes geht, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Denn dann muss der Aufsichtsrat nicht nur die Arbeit des Vorstandes bewerten, sondern möglicherweise auch Entscheidungen treffen.

"Es geht nicht um einzelne Personen, sondern es geht um den HSV“, sagt Ertel und wird deutlich. "Es geht um einen der wichtigsten Traditionsclubs im deutschen Fußball. Und da muss man nüchtern und sachlich analysieren und die richtigen Entscheidungen treffen."

Den ganzen Podcast mit dem ehemaligen Aufsichtsratschef Manfred Ertel hören Sie kostenfrei auf www.abendblatt.de/hsv-podcast