Hamburg. Aufsichtsrat und Vorstand treffen sich zur wichtigsten HSV-Sitzung des Jahres. Es geht um die Folgen von Corona – und um Kühne?
Die Stühle im Volkspark werden nach Vorschrift aufgestellt, wenn sich die sieben Aufsichtsräte und drei Vorstände an diesem Donnerstag beim HSV versammeln. Ein bis zwei Meter Abstand müssen die Führungskräfte des Clubs einhalten, um die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts mitten in der Corona-Krise zu wahren.
Trotz aller Warnungen vor Zusammenkünften haben die HSV-Verantwortlichen entschieden, sich zur turnusmäßigen Aufsichtsratssitzung am frühen Abend persönlich im Volkspark zu treffen. Schließlich gibt es einiges zu besprechen. Und das hat natürlich ganz besonders mit dem Coronavirus und seinen Folgen zu tun.
Für den HSV geht es um drei Fragen
Eigentlich wollten die Kontrolleure heute von den Vorständen Bernd Hoffmann, Jonas Boldt und Frank Wettstein hören, wie die Finanzierung der kommenden Saison aussehen könnte. Nun aber geht es hauptsächlich noch um die Frage: Wie wird die Finanzierung der laufenden Saison gesichert, sollte es im schlimmsten Falle zu einem Abbruch kommen?
Aufsichtsratschef Max-Arnold Köttgen, der die Sitzung leitet, wird daher vor allem drei Punkte auf seiner Tagesordnung thematisieren. Erstens: Welche Szenarien sind in der aktuellen Situation für den HSV denkbar? Zweitens: Welche Auswirkungen würden die jeweiligen Szenarien für den HSV haben? Und drittens: Wie würde der HSV diesen Auswirkungen entgegensteuern?
Hoffmann vs. Boldt: Köttgen spricht Machtwort
Bevor Köttgen die Versammlung beginnt, dürfte er aber noch ein anderes Thema ansprechen: den Dissens im Vorstand, über den das Abendblatt in der vergangenen Woche berichtet hat. Ein schwelender Machtkampf im Hintergrund vor allem zwischen Vorstandschef Hoffmann und Sportvorstand Boldt, der sich in den vergangenen Monaten immer weiter zugespitzt hatte und nun auch den Aufsichtsrat erreicht.
Köttgen wird daher nach Abendblatt-Informationen vor der Sitzung deutlich machen, dass für persönliche und machtpolitische Streitereien gerade in dieser Krisenzeit kein Platz sein darf. Denn für den HSV geht es um existenzielle Fragen und einen drohenden Verlust von 20 Millionen Euro, sollte der Club bei einem möglichen Saisonabbruch die ausstehenden Fernsehgelder nicht mehr ausgezahlt bekommen. Umso mehr gilt es, interne Konflikte zu lösen.
Hoffmann-Interview sorgt bei HSV für Wirbel
"Es ist unabdingbar, dass Vorstand und Aufsichtsrat weiterhin vertrauensvoll zusammenarbeiten und schnelle Entscheidungen treffen“, sagte Vorstandschef Hoffmann in einem am Mittwoch erschienenen Interview mit der "Sport Bild". Darin nennt er Vorstandskollege Boldt ein "Alphatier", das immer eine eigene Meinung haben wird und diese auch vertritt.
Es war ein Interview, das beim HSV intern für weiteren Gesprächsstoff gesorgt hat. Zum einen, weil erstmals seit dem Fall Bakery Jatta ein Mitarbeiter des HSV ein Interview mit der "Sport Bild" geführt hatte. Zum anderen, weil Hoffmann mit seinem Vorgehen zuletzt selbst nicht gerade dafür gesorgt hat, dass das Vertrauen innerhalb der Führungsebene gewachsen ist. Etwa, als er Sportvorstand Boldt nicht über ein Treffen mit Investor Klaus-Michael Kühne informierte. "Dieser Vorgang war noch einmal Anlass, häufiger über alle Themen miteinander zu sprechen", sagte Hoffmann nun der "Sport Bild".
Jansen und Frömming reagieren irritiert
Im Aufsichtsrat dürfte allerdings nicht nur mit, sondern auch über Hoffmann gesprochen werden. Das Magazin schreibt sogar von einer möglichen "Kampfabstimmung über Hoffmanns Zukunft" und spekuliert darüber, dass die Aufsichtsräte Marcell Jansen und Markus Frömming in den Vorstand rücken könnten. Äußern wollten sich die Betroffenen dazu am Mittwoch nicht, sollen sich aber irritiert gezeigt haben.
Ob die aktuelle Coronakrise auch für den Vorstand eine Chance ist, wieder in eine Richtung zu arbeiten, oder ob das Verhältnis schon so belastet ist, dass der Aufsichtsrat eingreifen muss, wird sich möglicherweise schon in der heutigen Sitzung herausstellen. "Das sind genau die Zeiten, in denen der Aufsichtsrat seine Kontrollaufgabe wahrnehmen muss", sagte Carl Jarchow am Mittwoch im HSV-Podcast des Abendblatts.
Jarchow: Gemeinsame Linie nach außen vertreten
Der 64-Jährige arbeitete in der Vergangenheit sowohl im Aufsichtsrat als auch im Vorstand des HSV und weiß um die Bedeutung einer funktionierenden Führung. Konstruktives Streiten gehöre dazu, solange es nicht zum Gegeneinander wird.
"Auf Dauer ist es ganz wichtig, dass man eine gemeinsame Linie nach außen vertritt. Ein permanenter Streit kann einem Verein schaden“, sagt Jarchow, der Machtkämpfe beim HSV zwischen 2011 und 2015 ebenso erlebt hat wie den Kampf um die Existenz.
Hören Sie hier den HSV-Podcast mit Carl Jarchow:
Corona-Folgen: Muss Kühne den HSV retten?
"Die größte Gefahr ist, dass es beim HSV zu ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten kommt“, sagt Jarchow und meint damit nicht die Probleme im Vorstand, sondern den möglichen massiven Finanzschaden durch die Corona-Folgen.
Muss im Fall der Fälle Investor Kühne wieder einspringen? "Wenn es wirklich dramatisch eng wird und die Existenz in Gefahr ist, kann ich mir das vorstellen“, sagt Jarchow.
Aufsichtsratschef Köttgen muss nun mit seiner Ruhe, mit der er sein Recycling-Unternehmen Remondis führt, auch die Verantwortlichen des HSV auf eine Linie bringen. Denn eines ist klar: Was an diesem Donnerstag besprochen wird, dürfte die Zukunft des HSV ganz entscheidend beeinflussen.