Hamburg. Der Flügelstürmer spricht vor dem Spiel des HSV gegen St. Pauli erstmals ausführlich über die Debatte um seine Identität.

Der Empfang für Bakery Jatta verlief am Donnerstag wie gewohnt. Der HSV-Profi ging an der Seite seines Kollegen Rick van Drongelen die Treppe zum Trainingsplatz hinab, wo einige Fans auf die Mannschaft warteten. Ein kurzes „Hallo“ zu den Anhängern, dann begann für den Gambier die Vorbereitung auf das Stadtderby am Sonnabend (13 Uhr/Sky und im Abendblatt-Liveticker) gegen St. Pauli. In Jattas Leben, das wurde am Donnerstag noch einmal deutlich, ist Normalität eingekehrt.

Ein halbes Jahr ist es mittlerweile her, dass Jatta am 8. August die selben Stufen im Volkspark hinab ging. Zehn Kameras waren auf den 21-Jährigen gerichtet. 300 Zuschauer und zahlreiche Medienvertreter waren hauptsächlich seinetwegen gekommen. Es war der Tag nach dem Bericht der „Sport Bild“, in dem das Magazin die Identität des 2015 nach Deutschland Geflüchteten öffentlich infrage stellte, damit eine wochenlange Debatte initiierte und Ermittlungen der Hamburger Behörden bewirkte. „Jatta drohen 5 Jahre Haft und die Abschiebung“, titelte die „Bild“.

Jatta gewährt Einblicke in Gefühlswelt

Wer an diesem Freitag das Stadionmagazin des HSV in den Händen halten wird, der bekommt einen Eindruck, wie es Jatta in diesen Wochen ergangen ist. Erstmals seit Beginn der Debatte hat der Flügelstürmer ausführlich über sein Innenleben gesprochen. „Niemand kann sich vorstellen, wie ich mich in dieser Zeit gefühlt habe“, sagt Jatta in einem Interview, das er mit der eigenen Medienabteilung des HSV geführt hat und das in der HSV-App oder unter hsvlive.hsv.de zu lesen ist. Darin erzählt Jatta, wie er mit den Vorwürfen umgegangen ist: „Ich wurde öffentlich an den Pranger gestellt. Aber wofür? Was hatte ich verbrochen? Ich habe mich gefühlt, als wollte man mich wegsperren, mich ins Gefängnis stecken.“

Die „Sport Bild“ hatte berichtet, dass Jatta 2015 möglicherweise unter falscher Identität nach Deutschland eingereist sei und in Wahrheit Bakary Daffeh heißen und zwei Jahre älter sein könnte. Neben dem Bezirksamt Hamburg-Mitte ermittelte auch das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes, weil der 1. FC Nürnberg, der VfL Bochum und der Karlsruher SC Einspruch gegen die Niederlagen gegen den HSV eingelegt hatten. Darüber hinaus wurde Jatta von der AfD instrumentalisiert und beim Auswärtsspiel in Karlsruhe rassistisch angefeindet.

Jatta bedankt sich für Support von HSV und Fans

Als Reaktion darauf feierten die HSV-Fans den Stürmer vor zwei Wochen nach dem Rückspiel gegen den KSC vor der Nordtribüne mit Sprechchören. Jetzt schildert Jatta seine Glücksgefühle nach dem Spiel. „Als ich abends nach Hause gefahren bin, habe ich immer wieder gedacht: „Mein Gott, was ist da heute passiert?“ Es war nicht die erste große Unterstützung, die er vom HSV erfahren hatte. Seine Mitspieler, die Fans und die Mitarbeiter hatten sich von Beginn an hinter ihn gestellt.

„Meine Mannschaft, der ganze Club und alle Fans haben mich in dieser Zeit aufgefangen. Ich weiß bis heute nicht, wie ich diesen Menschen jemals das zurückzahlen kann, was sie mir gegeben haben“, sagt Jatta. „Hamburg und der HSV waren in dieser Zeit für mich wie Vater und Mutter für ein Kind: Man hat mich nicht weggeschubst, sondern mich behütet und beschützt, man stand und steht an meiner Seite. So viele Menschen haben in diesen Tagen zu mir gehalten wie in einer richtigen Familie. Ich werde das niemals vergessen.“

Jatta erinnert sich, wie alle seine Teamkollegen nach dem ersten Training über ihre Social-Media-Kanäle Statements für den Mitspieler veröffentlichten. „Ich erinnere mich, wie ich am Tag der ersten Zeitungsartikel in die Kabine kam und die Jungs mich fragten: „Baka, ist alles gut?“ Ich sagte: „Ja, alles gut.“ Aber natürlich war nicht alles gut. Es war schrecklich! Doch meine Mitspieler haben es gespürt, haben mich aufgebaut und zusätzlich diese unglaubliche Aktion gestartet.“

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Warum Jatta jetzt ein Interview gibt

Trainer Dieter Hecking hatte Jatta gegen alle Widerstände eingesetzt, auch Sportvorstand Jonas Boldt kämpfte für seinen Spieler und schützte ihn. „Er hat mir nur einmal in die Augen geschaut und ich wusste sofort, dass er bedingungslos hinter mir steht“, sagt Jatta, der sich mit sportlichen Leistungen bedankte. Der Höhepunkt war sein Tor zum 3:0 gegen Hannover im Hinspiel, als er anschließend in die Arme von Trainer Dieter Hecking lief. „Er wusste, wie hart die Zeit zuvor für mich gewesen war und er hat so bedingungslos zu mir gestanden, deshalb war dieses Tor für ihn. Er ist für mich und uns als Mannschaft wie ein Vater.“

Jattas emotionales Interview ist auch der Vorstoß des HSV, das Thema um die Identität des Gambiers abzuschließen. Wann und in welcher Form der HSV-Profi etwas sagen durfte, war ein langer Prozess. Erstmals hatte sich Jatta vier Wochen nach dem ersten „Sportbild“-Bericht und kurz vor dem Hinspielderby gegen St. Pauli über seine Instagram-Seite zu Wort gemeldet. Der HSV wusste davon zunächst nichts. Interview-Anfragen lehnte der Club bis heute ab. Auch als Jatta kürzlich nach dem 4:1-Sieg gegen Nürnberg über sein Tor sprechen wollte, wurde er von den HSV-Verantwortlichen zurückgewiesen.

Jatta mit emotionalen Abschlussworten

Diese Zeit soll nun vorbei sein und Jatta sich künftig vor allem wieder zu seinen sportlichen Leistungen äußern dürfen. Nachdem er im Heimspiel gegen Karlsruhe noch von den Gäste-Fans mit einem Poster im Block angefeindet wurde, kann er sich gegen St. Pauli sicher sein, von beiden Seiten herzlich empfangen zu werden. Schon im Hinspiel hatten ihn die Zuschauer am Millerntor mit freundlichen Plakaten begrüßt („Welcome Bakery Jatta“).

Beim HSV hat sich der schnellste Spieler der Zweiten Liga längst zu einem unverzichtbaren Teil des Teams entwickelt. Und das soll noch möglichst lange so bleiben. „Ich versuche, die negativen Energien von mir fernzuhalten und das Geschehene hinter mir zu lassen“, sagt Jatta zum Ende des Interviews. „Ich weiß, ich kann das schaffen. Denn ich bin in Hamburg, beim HSV und bei diesen Menschen zu Hause.“ Seine Abschlussworte: „Zu Hause ist da, wo man Frieden findet. Und ich habe hier meinen Frieden gefunden.“

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