Hamburg. Die Clubchefs Göttlich (St. Pauli) und Hoffmann (HSV) sprechen vor dem Spiel der Spiele über die Wahl, Parteien und Thüringen.
An diesem Wochenende findet das wichtigste Spiel des Jahres statt: das Stadtderby. Und vor diesem so wichtigen Spiel bat das Abendblatt mit Bernd Hoffmann (Vorstandsvorsitzender des HSV) und Oke Göttlich (Präsident des FC St. Pauli) die beiden wichtigsten Clubvertreter an einen Tisch, um aber nicht über das Derby zu sprechen. Sondern über die einzige Sache, die am kommenden Wochenende noch wichtiger ist als Fußball: die Hamburger Bürgerschaftswahl. Ein etwas anderes Gespräch über die Wahl, Politik, eine autofreie Innenstadt, Mietendeckel, das 365-Euro-Ticket, Demos und die Sorge vor einer Partei.
Hamburger Abendblatt: Herr Hoffmann, Herr Göttlich, Sie sind sehr schnell unserer Idee gefolgt, in diesem Derby-Gespräch nicht über das Derby zu sprechen, sondern ausschließlich über Politik und die Wahl. Warum?
Oke Göttlich: Weil auch Sport politisch ist. Sogar die Wahl meines Wassers ist politisch. Jeder Mensch ist zu jedem Zeitpunkt seines Seins politisch.
Haben Sie schon per Briefwahl gewählt?
Göttlich: Ich bin tatsächlich ein traditioneller Wahlurnengänger. Bei uns ist das Familientradition. Meine Frau und meine Kinder sind dann beim Wahlspaziergang natürlich auch dabei. Morgens nach dem Frühstück geht es los – und dann wird das Kreuzchen gemacht.
Hoffmann: Das ist bei mir ganz genauso. Dieses Ritual gibt es in meiner Familie seit Jahrzehnten – egal, wo auch immer ich da gerade gewohnt habe. Gemeinsam mit der ganzen Familie genieße ich das auch, im Wahllokal am Sonntag diese besondere Wahl-Atmosphäre mitzubekommen. Ich habe das auch schon häufiger gemacht, dass ich mir um 18 Uhr die Auszählung der Stimmen im Wahllokal angeguckt habe. Ich finde dieses ganze Prozedere unglaublich spannend. Und Oke hat natürlich Recht: Alles, was wir machen, ist politisch. So bin ich auch aufgewachsen. Politik spielte in meiner Familie als ich noch ein Kind war immer eine große Rolle – und genauso gebe ich das auch jetzt als Familienvater weiter.
Inwiefern spielt in Ihren Familien Politik eine Rolle am Abendbrottisch oder beim Frühstück?
Hoffmann: Montagmorgen gibt es in unserer Familie drei Frühstücksthemen: Die Fußballergebnisse, natürlich mit Schwerpunkt auf den HSV. Der Tatort vom Vorabend. Und die politische Lage der Nation, die ja üblicherweise nach dem Tatort bei Anne Will erörtert wird.
Göttlich: Auch bei uns in der Familie wird gerne über Politik gesprochen. Ich hatte gerade erst ein langes Gespräch mit meiner 15 Jahre alten Tochter. Wir haben die Frage diskutiert, ob sie bei einer Schulveranstaltung teilnehmen sollte, bei der sämtliche Parteien vertreten sind, die auch im Hamburger Senat Abgeordnete stellen. Wir haben darüber sehr lange diskutiert, ob man da hingehen darf, kann oder soll. Meine Empfehlung war ein klares Nein. Sie ist aber trotzdem hingegangen.
Zur Wahl darf sie mit 15 Jahren aber noch nicht gehen.
Göttlich: Noch nicht. Aber sie ist sehr interessiert an Politik. Und es macht auch richtig Spaß, mit ihr über Politik zu sprechen. Junge Menschen haben noch mal ganz andere Ideen und Herangehensweisen.
Und warum waren Sie gegen den Schulveranstaltungsbesuch?
Göttlich: Grundsätzlich fand ich es super, dass die Schule so eine Veranstaltung angeboten hat. Und mehr noch: Dass diese Veranstaltung sogar explizit von den Schülern und Schülerinnen gewünscht war. Der Disput mit meiner Tochter ging um die Frage, ob man bei so einer Veranstaltung tatsächlich jede Partei dabei haben muss.
Wissen Sie, was Ihre Tochter wählen würde, wenn Sie dürfte?
Göttlich: Wir sprechen viel über Politik, aber wenig über Parteien. Es gibt da zwischen Eltern und Kindern oft eine Art Urvertrauen. Ich denke schon, dass meine Kinder erahnen, was ich wähle. Und ich ahne auch, was meine Kinder wählen würden, ohne, dass sie das explizit sagen.
Wäre das deckungsgleich?
Göttlich: Das wäre wohl einigermaßen deckungsgleich.
Frageportal und Kandidatencheck von abgeordnetenwatch.de
Herr Hoffmann, Ihre ersten Zwillinge dürfen jetzt das erste Mal wählen, oder?
Hoffmann: Sie dürften das erste Mal wählen, wenn sie denn in Hamburg wohnen würden. Da aber die eine in München lebt und der andere in Köln studiert, können sie auch nicht in Hamburg wählen. Aber auch ich würde vermuten, dass die Kreuzchen meiner Kinder an ähnlicher Stelle gesetzt werden würden wie von ihrem Vater.
Und Sie wissen auch, was Ihre Kinder wählen würden?
Hoffmann: Wir haben jedenfalls einen familiären Unvereinbarkeitsbeschluss mit ganz rechts, also mit der AfD. Alles andere wird offen gelassen.
Wissen Sie, was Ihre Partner wählen?
Göttlich: Weiß ich nicht. Aber ich bin mir sicher, dass sie in einem ähnlichen Spektrum unterwegs ist wie ich. Ich würde eine Beziehung auch als schwierig empfinden, wenn der eine ganz links und die andere ganz rechts einzuordnen ist.
Sie können Ihre Frau an dieser Stelle überraschen und uns verraten, was Sie wählen.
Göttlich: Das hat gar nichts mit Thüringen zu tun, aber ich habe mich mein ganzes Leben links der bürgerlichen Mitte sehr wohl gefühlt. Und das wird auch so bleiben.
Hoffmann: In unserer Beziehung ist das sogar noch ein bisschen transparenter. Wir tauschen uns über Inhalte aus, aber auch über Parteien. Wir haben sogar gemeinsam den Wahl-O-Mat gemeinsam gemacht. Dementsprechend wissen wir beide ganz genau, wen wir wählen. Ohne hier zu viel zu verraten würde ich es mal auf das bürgerliche Mitte-Links-Lager eingrenzen.
Wir haben von allen Spitzenkandidaten politische Fragen erbeten, die wir Ihnen stellen wollen. Und die erste Frage kommt aus dem bürgerlichen Mitte-Links-Lager:
Katharina Fegebank (Die Grünen): Wie steht ihr zur autofreien Innenstadt?
Göttlich: Ich habe einen guten Freund, der im Golden Pudelclub arbeitet. Und dieser Freund hat mir schon vor acht Jahren ein blau-weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Autofreie Innenstadt Hamburg“ geschenkt. Damals fand ich die Idee noch sehr ambitioniert. Mittlerweile habe ich mich mit dem T-Shirt angefreundet. Zumindest finde ich es sehr nachdenkenswert, an bestimmten Punkten in der Stadt Möglichkeiten zu schaffen, wo Fußgänger und Fahrradfahrer die Stadt ganz anders genießen können.
In Ottensen gab es gerade so einen Versuch…
Hoffmann: …und der hat mir auch sehr gut gefallen. Auch beim Rathausmarkt gab es ja so einen Versuch. Das ist ein wunderbares Gefühl. Jeder kann sich an dieses Gefühl gewöhnen, autofreie Zonen zu haben. Allerdings muss es auch für Handel und Betrieb in der Innenstadt machbar sein. Und es muss auch an die gedacht werden, die nicht so einfach wie zum Beispiel ich in die Innenstadt mit den Öffis kommen können.
Wir wollen über Politik sprechen, aber das war eine politische Antwort. Die Frage ist, ob man eine radikale Lösung wie die Grünen will: also eine autofreie Innenstadt. Oder ob man es dabei belässt, einige Zonen verkehrsberuhigt anzubieten.
Göttlich: Manchmal kommt man eben nicht um etwas radikale Lösungen herum. Vielleicht ist in diesem Fall aber die Beschreibung konsequent besser. Und bei der autofreien Innenstadt sollte man meiner Meinung nach konsequent sein. Man braucht nicht jedes Mal jedes Detail links- und rechtsrum durchzudenken. Dann wird es am Ende zu verschwurbelt und schwammig. Das gilt für Fußballvereine genauso wie für politische Entscheidungen.
Ist es richtig, dass der eine oder andere St.-Pauli-Spieler auch mal mit dem Fahrrad zum Training kommt?
Göttlich: Ja. Und in einer Stadt wie Hamburg kommt man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und mit dem Fahrrad auch sehr gut zurecht. Wir als Familie haben unser Auto abgeschafft.
Herr Hoffmann, sind Sie auch schon mit dem Fahrrad zur Arbeit in den Volkspark gefahren?
Hoffmann: Das bin ich tatsächlich. Allerdings muss ich zugeben, dass der Weg in den Volkspark nicht gerade der schönste ist. Da wäre mir eine radikale Lösung tatsächlich sehr recht. Grundsätzlich bin ich aber für alle neuen Mobilitätskonzepte offen. Oke und ich sind ja auch beide passionierte Bahnfahrer. Ab und an trifft man sich beispielsweise auf den Weg nach Frankfurt zum DFB.
So wählt man in Hamburg
Zum Thema Mobilität hat Markus Weinberg (CDU) eine Nachfrage:
Markus Weinberg: Wir wollen stufenweise ein 365-Euro-Ticket für alle Hamburger einführen. Damit soll der Umstieg auf den ÖPNV attraktiver gemacht werden. Was halten Sie von dieser Idee?
Göttlich: Ich finde die Idee richtig. Auch bei diesem Thema zeigt sich, dass eine konsequente Umsetzung eine gute Idee ist. Tatsächlich haben ja auch andere Parteien als die, von denen man es möglicherweise annehmen würde, gute Ideen. Und ich muss gestehen, dass ich Markus Weinberg sehr schätze. Vielleicht kann man seine Idee noch mit anderen Mobilitätsangeboten kombinieren, zum Beispiel mit besseren Carsharing-Angeboten.
Hoffmann: Beim Thema Mobilität gibt es tatsächlich noch eine Menge Luft nach oben – nicht nur, um besser in den Volkspark zum HSV zu kommen. Das 365-Euro-Ticket ist da nur eine Idee. Wichtig ist vor allem, dass man schneller und in einer häufigeren Taktung von auch entlegeneren Gegenden von A nach B kommt.
Auch beim 365-Euro-Ticket kann man radikal sein: Manche sind für die stufenweise Einführung für viele, andere sind sogar für das verpflichtende 365-Euro-Ticket für jeden Hamburger.
Göttlich: Bei der Verpflichtung bin ich vorsichtig. Wir müssen schon die unterschiedlichen Lebenssituationen bedenken. Für viele Menschen sind 365 Euro sehr viel Geld. Darauf muss auch die Politik achten.
Haben Sie selbst ein HVV-Ticket?
Göttlich: Herr Hoffmann hat es ja schon angesprochen: Auch ich bin passionierter Bahnfahrer. Ich habe eine Bahncard100 und damit auch ein ganzjähriges HVV-Ticket. Ich bin beruflich sehr viel in Berlin und bin mit meiner Bahncard locker im Jahr mehr als 100.000 Kilometer unterwegs.
Sie müssen ja auch häufiger nach Frankfurt zum DFB, zum Beispiel bei Pyro-Verhandlungen. Ist für Sie beide völlig klar, dass Sie nach Frankfurt mit der Bahn fahren? Oder fliegen Sie bisweilen auch?
Hoffmann: Ich bin ein großer Fan des täglichen 6.15-Uhr-Zuges, der in Frankfurt um 10 Uhr ankommt. Wunderbar. Frankfurt ist wirklich eine herausragende Bahnstrecke.
Göttlich: Zu 95 Prozent fahre ich mit der Bahn. Aber ich gebe zu: Zu fünf Prozent fliege ich, wenn es terminlich gar nicht anders geht. Aber dann gibt es Ärger von meiner Tochter – und ich rümpfe auch über mich selbst die Nase.
Wie stehen Sie und Ihre Kinder zu Fridays for Future?
Göttlich: Es ist eine sehr wichtige Bewegung, die aus der Jugend hervorgeht. Ich finde es immer gut, wenn es Bewegungen gibt, die etwas verändern wollen. Auch meine Tochter und mein 13 Jahre alter Sohn waren schon häufiger bei den Friday-for-Future-Demos. Und dennoch finde ich auch, dass man ein paar Dinge hinterfragen darf, sollte und muss. Die Belastung für Greta Thunberg empfinde ich schon als sehr extrem. Da mache ich mir schon ein paar Sorgen.
Hoffmann: Auch meine Kinder waren schon ab und an mal auf einer Demos – und ich finde die auch wirklich richtig und wichtig.
Wann waren Sie das letzte Mal auf einer Demo?
Göttlich: Ich bin ein regelmäßiger Demogänger. Die letzte Demo war für die Seenotrettung im Mittelmeer. Ich bin kein lautstarker Demonstrant, aber ich finde es wichtig, Präsenz zu zeigen.
Hoffmann: Ich habe eine sehr klare politische Haltung und artikuliere diese auch gern. Allerdings muss ich gestehen, dass ich nicht gerade brillant im Demonstrieren bin. Als ich das letzte Mal auf einer Demo war, da war Oke Göttlich wahrscheinlich in der zweiten Klasse. Das war 1982 bei den Friedensdemonstrationen in Bonn. Da war eine halbe Million Menschen auf der Straße – da konnte ich mich auch nicht verweigern.
Am kommenden Freitag könnte es ja vielleicht ein Demonstrationsrevival geben: Greta is in town. Von Greta kommen wir zu Cansu Özdemir von den Linken. Sie hat folgende Frage an Sie beide:
Cansu Özdemir: Wie stehen Sie zum Mietendeckel?
Göttlich: Mieten ist ein Grundrecht, was sich jeder Bewohner einer Großstadt leisten können muss. Insofern finde ich das Anliegen sehr richtig. Eine Renditeerwartung für Wohnraum muss gedeckelt sein.
Wohnen Sie selbst zur Miete?
Göttlich: Ich habe Eigentum.
Hoffmann: Ebenfalls. Trotzdem halte ich es ebenfalls für dringend erforderlich, Wohnungsbaupolitik ganz oben auf der Agenda anzusiedeln. Ich habe in Hamburg aber auch das Gefühl, dass dieses Problem alle Politiker sehr ernst nehmen.
Das behaupten auch alle Politiker.
Hoffmann: Ja, aber in Hamburg habe ich auch tatsächlich ein besseres Gefühl als beispielsweise in Berlin. Ich bin definitiv für mehr sozialen Wohnungsbau, aber gegen einen Mietendeckel.
Ihre Spieler wohnen ja alle zur Miete. Haben Ihre Vereine mehrere Mietwohnungen in petto, die dann wechselweise an neue Spieler vermietet werden?
Göttlich: Diese Frage kommt immer mal wieder auf. Aber wir haben uns dagegen entschieden. Die Profis sollten dann schon eigenständig genug sein, sich selbst eine Wohnung zu organisieren.
Dürfen oder sollen sich Ihre Profis auch zu politischen Themen äußern?
Göttlich: Wir veranstalten kein Brainwash. Was wir allerdings sehr wohl machen, ist ein grundsätzliches Medientraining für jeden Profi. Bei Social-Media-Themen müssen wir dann ab und an das Einzelgespräch suchen. Ich erinnere da an den Fall Cenk Sahin, ...
...der Recep Tayyip Erdogan und dessen Militäreinsatz in Syrien bei Instgram gelobt hatte.
Göttlich: Richtig. Wir haben ihn freigestellt, weil es für beide Seiten das Beste war. Der FC St. Pauli hat einen klaren Wertekosmos – und diesen hat Sahin verletzt. Kriegerischen Handlungen sind für uns etwas nicht Unterstützbares. Aber – und auch das möchte ich betonen – diese Freistellung war auch für ihn die beste Lösung. Ich weiß nicht, wie der eine oder andere auf ihn reagiert hätte, wenn er noch bei uns aufgelaufen wäre.
Wie ist das beim HSV?
Hoffmann: Natürlich dürfen und sollen Spieler auch bei uns politisch Haltung zeigen. Die müssen sich dabei aber nicht unbedingt parteipolitisch äußern. Im Fall Bakery Jattas haben bei uns ja sehr viele sehr deutlich Haltung gezeigt. Dieses politische Statement haben wir sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen. Genauso wie St. Paulis frühzeitige Ansage, auf keinen Fall Einspruch einzulegen.
Göttlich: Das stand bei uns überhaupt nicht zur Debatte. Wir gewinnen oder wir verlieren sportlich gegen den HSV. Ich fand die ganze Art und Weise, wie damals versucht wurde, sogar mit Hilfe von Detektiven irgendetwas über den Menschen Bakery Jatta herauszufinden, sehr befremdlich.
Hatten Sie rund um den Fall Jatta das Gefühl, dass der HSV politischer und vielleicht sogar linker geworden ist?
Göttlich: Der HSV ist ein sehr menschlicher Verein. Und das ist gut. Dieses menschliche und humanitäre Antlitz steht dem HSV sehr gut. Auch deswegen möchte ich Bernd Hoffmann an dieser Stelle sehr gerne einladen, einen Tag vor dem Derby mit mir eine Bootstour zu machen. Eine privat gewonnene Bootsfahrt haben wir umfirmiert in eine antifaschistische Bootsfahrt der Omas gegen Rechts. Bernd, Du bist herzlich eingeladen.
Hoffmann: Das weiß ich sehr zu schätzen. Wenn es irgendwie passt, dann bin ich bei Omas gegen Rechts sehr gerne dabei.
Wir haben eben über mündige Profis gesprochen. Herr Hoffmann, was würden Sie sagen, wenn sich einer Ihrer Profis öffentlich zur AfD bekennt?
Hoffmann: Den würde ich schon zu einer intensiven Diskussion mal in mein Büro bitten. Grundsätzlich finde ich es problematisch, als Exponent eines Fußballclubs parteipolitisch aktiv zu werden. Und wenn es dann auch noch eine zutiefst abzulehnende Partei wie die AfD ist, dann haben wir aber mal ein richtiges Problem.
In Thüringen sind ein Viertel der Wähler von den Ideen dieser Partei, die ein überzeugter Faschist vorsteht, angetan. Machen Sie sich Sorgen?
Göttlich: Für mich ist es einfach unerklärlich, dass Ausgrenzung, Angst schüren und offen faschistische Meinungsbilder überhaupt bei Menschen verfangen können. Ich lehne das ab. Mich macht das wütend und böse. Ich würde mir sehr wünschen, dass die Menschen, die dort ihre Heimat sehen, noch einmal darüber nachdenken, was sie eigentlich tun und was sie uns allen antun.
Hoffmann: Die Vorkommnisse in Thüringen haben mich und meine Familie völlig fassungslos gemacht. Aber: Diese Vorkommnisse haben uns auch durch das Brennglas gezeigt, was möglich ist, wenn man gegen diese Dinge nicht rechtzeitig einschreitet. Nämlich: Dass ein Viertel der Wähler in Thüringen eine Partei wählt, die von einem Nazi geführt wird. Natürlich macht das Sorgen. Gut finde ich wiederum, dass die Haltung der Parteien und die veröffentlichte Meinung hinterher so eindeutig war, dass die etablierten Parteien ihr Tun und Handeln nochmal hinterfragt haben. Man will sich nicht von diesen Leuten hinter das Licht führen lassen.
In Thüringen war die FDP kurzzeitig der Gewinner und später der große Verlierer. Darunter wird wohl auch die Hamburger FDP noch zu leiden haben. Die Spitzenkandidatin hat trotzdem auch eine Frage an Sie:
Anna von Treuenfels: In der Politik wollen wir verhindern, dass Hamburg so wird wie Bremen: nämlich hoch verschuldet und schlecht regiert. Wie ist das bei Ihren Clubs: Wollen Sie so werden wie Bremen?
Hoffmann: Also mit dieser Frage habe ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht auseinandergesetzt.
Göttlich: Ich kann nun wirklich nicht sehen, dass Bremen als Stadt und als Fußballverein so viele Dinge falsch gemacht haben soll, dass wir uns als Hamburg über Bremen stellen. Und wenn ich das noch sagen darf: Ich finde im Gegensatz zu Frau von Treuenfels auch, dass in Hamburg eine sehr wohltemperierte Politik gemacht wird. Auch wenn ich nicht mit jeder einzelnen Entscheidung persönlich zufrieden bin, kann man nun wirklich nicht von schlechter Regierung sprechen. Und auch wenn mein Kreuzchen sich da vielleicht nicht wiederfinden wird, kann ich mit dieser rot-grünen Regierung der letzten Jahre sehr gut leben.
Sind Sie Ein-Parteien-Wähler oder Wechselwähler?
Hoffmann: Ich bin ja schon ein paar Semester älter und habe durchaus schon mal bei unterschiedlichen Parteien innerhalb eines gewissen Spektrums das Kreuz gemacht.
Göttlich: Ich bin Wechselwähler links der bürgerlichen Mitte. Sowohl in der Bürgerschaft als auch im Bund.
Schon mal die SPD gewählt?
Göttlich: Ja, auch die SPD habe ich schon gewählt.
Ein SPD-Kandidat würde sich sicherlich über Ihre Stimme freuen. Und auch er hat noch eine Frage an Sie:
Peter Tschentscher: Was können Politiker von Fußball-Clubchefs lernen?
Hoffmann: Vielleicht kann die SPD vom HSV lernen, wie man mit massiven Rückschlägen umgehen kann. Die Situation nicht nur zu ertragen, sondern sie auch in positive Energie umwandelt, um mittelfristig zu alter Größe und Stärke zu finden.
Göttlich: Von Fußballvereinen im Allgemeinen und vom FC St. Pauli im Speziellen kann die Politik sicher lernen, dass man nicht mehr Geld ausgibt als man einnimmt.
Hoffmann: Und vielleicht noch ein letzter Tipp an die Politik: Auch bei einem medialen Blitzgewitter sollte man sich von seinem roten Faden nicht abbringen lassen.
Haben Sie noch einen Wunsch an die Politik?
Hoffmann: Wie möchten in 2024 in Hamburg im Gastgeber der Fussball EM sein. Um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, benötigen wir die Unterstützung der Stadt, um das Volksparkstadion fit für die EM zu machen.
Göttlich: Wenn wir bei Wünsch-Dir-was sind, dann wünschen wir uns vor allem Sportflächen. Davon können wir gar nicht genug bekommen. Der Sport hat eine so große Integrationskraft, ist eines der großen Lagerfeuer unserer Gesellschaft, an dem sich wirklich alle versammeln. An diesem Lagerfeuer sitze ich auch mit HSV-Chef Bernd Hoffmann gerne zusammen.
Die letzte Frage, die wir allen unseren Podcast-Gästen stellen: Herr Göttlich, steigt der HSV auf?
Göttlich: Ja.
Und die allerletzte Frage: Herr Hoffmann, schafft St. Pauli auch den Klassenerhalt?
Hoffmann: Ich hoffe für das kommenden Wochenende auf ein stimmungsvolles, friedliches Derby, einen knappen Sieg für uns und eine hohe Wahlbeteiligung. Und ja, St. Pauli bleibt in der Liga.
Die ungekürzte Version des Gesprächs gibt es kostenlos unter www.abendblatt.de/hsv-podcast