Windhoek. Er hilft in seiner Heimat, Kindern eine bessere Zukunft zu eröffnen. Ein Kampf mit und gegen die Folgen der Vergangenheit.

Es ist Rushhour in Namibia. Der Verkehr in der Independence Avenue, der wichtigsten Verkehrsader der Hauptstadt Windhoek, stockt. „Steig ein, ich zeig dir meine Stadt“, ruft Collin Benjamin durch die Fensterscheibe seines VW. Der frühere Mittelfeldspieler des HSV ist seit drei Jahren wieder hier zu Hause. Und die Stadt, in der er sich mit dem Abendblatt verabredet hat, steht symbolisch für die Geschichte eines noch immer geteilten Landes, das auf dem Weg ist, sich von seiner Vergangenheit zu lösen.

Collin Benjamin, das wird während der einstündigen Fahrt durch Windhoek deutlich, ist ein wichtiger Teil dieses Weges. „Was wir hier machen, ist mein großer Traum“, sagt der 41-Jährige, der nach seiner Rückkehr in seine Heimat die „Collin Benjamin Football Academy“ aufgebaut hat, um Kindern in Namibia eine Perspektive zu eröffnen, die er selbst nicht hatte, als er in Windhoek aufwuchs. Sein großes Ziel: zwei neue Kunstrasenplätze zu bauen. „Das wäre ein Meilenstein. Dann können wir eine eigene Heimat haben. Dann sind wir unabhängig“, so Benjamin.

„Es wird nach Rasse gewählt, nicht nach Inhalt“

Genau wie sein Land. Benjamin fährt zum Ende der Independence Avenue. Bis 1990 hieß diese „Kaiserstraße“. Nicht nur des alten Namens wegen erinnert sie an die Zeit der Kolonie Deutsch-Südwestafrika von 1884 bis 1915. Zur linken Seite geht es hinauf zur Christuskirche und zum Reiterdenkmal. Hier im südöstlichen Teil der Stadt um Windhoek-Ludwigsdorf und Klein-Windhoek leben heute vor allem die Weißen. Wohlhabende Deutschnamibier, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geblieben sind. Auch Collin Benjamin wohnt auf dieser Seite der Stadt.

Doch der ehemalige Hamburger, der zwischen 2001 und 2011 für den HSV 146 Bundesligaspiele bestritt, biegt ab in den Norden von Windhoek, in den Stadtteil Katutura, ein ehemaliges Township. „Hier wohnen die Schwarzen. Hier bin ich aufgewachsen. Das ist meine Heimat“, sagt Benjamin. Seine Augen werden größer, die Stimme lauter. Am Straßenrand hängen noch Wahlplakate.

Namibia hat gerade einen neuen Präsidenten gewählt. Es ist der alte. Staatschef Hage Geinhop (78) von der Swapo-Partei hat sich mit 56,3 Prozent eine weitere Amtszeit gesichert. Die Swapo ist seit der Unabhängigkeit von Südafrika 1990 ununterbrochen an der Macht. Trotz eines Korruptionsskandals wurde Geinhop wiedergewählt. „Es gibt eine Dankbarkeit“, sagt Benjamin, der das politische System kritisch sieht. „Es wird nach Rasse gewählt, nicht nach Inhalt.“ Er sagt aber auch: „Wir sind politisch stabil. Es geht uns gut.“

Viele Menschen wohnen in Blechhütten

Doch der langjährige Nationalspieler will vor allem, dass es den Kindern hier in Katutura besser geht. Noch immer wohnen dort viele Menschen in Blechhütten. Fußball wird weitestgehend auf der Straße gespielt. So wie es Benjamin selbst getan hat. Eine echte fußballerische Ausbildung hatte er nicht, als er mit 21 Jahren sein Glück in die Hand nahm und trotz des Widerstands seiner Eltern einen Flug nach Deutschland buchte und über Germania Schnelsen und Raspo Elmshorn beim HSV landete.

Benjamin 2011 mit Tochter Zunaid und Sohn Zurique.
Benjamin 2011 mit Tochter Zunaid und Sohn Zurique. © Witters

Nach seiner Karriere als Spieler machte Benjamin den Trainerschein, arbeitete bei 1860 München als Co-Trainer. „Ich hätte auch in Deutschland bleiben und ein gutes Leben haben können“, sagt er. „Aber wenn ich das hier sehe, dann weiß ich, warum ich zurückgekommen bin.“ Benjamin parkt vor einem staubigen Sandplatz. Durch ein altes Stacheldrahttor geht er auf das Gelände, das er von der Stadt bekommen hat und das den Fußball in Namibia verändern soll.

Fußball bringt Menschen zusammen

Der Platz liegt direkt in der Mitte von Windhoek und könnte das Fußballzentrum für alle sein. „Fußball ist der beste Weg, um die Menschen zusammenzubringen“, sagt Benjamin. Bis zum Ende des Jahres 2020 sollen hier für seine Akademie zwei neue Kunstrasenplätze entstehen. In ganz Namibia gibt es bislang zwei, einer davon liegt im Sam-Nujoma-Nationalstadion in Katutura.

„Das ist doch nicht normal. Alleine in Hamburg gibt es doch mehr als 80, oder?“ 88, um genau zu sein. Doch in Windhoek ist es schwer, für den Fußball die Unterstützung der Regierung zu bekommen. Rugby ist der Nationalsport. Fußball ist in Namibia eine kleine Nummer. Das will Benjamin ändern. Er hat bereits einen privaten Investor gefunden. Einen Deutschen, der in Windhoek lebt. 400.000 Euro muss Benjamin zusammenbekommen. Dann kann es richtig losgehen.

Wird Benjamin 2020 Nationaltrainer?

„Wir haben Talente, aber wir brauchen auch Strukturen“, sagt Benjamin. Der Fußballverband ist derzeit führungslos und wird vom Weltverband Fifa gesteuert. Namibia liegt auf Rang 119 der Weltrangliste – direkt hinter Nordkorea. Die Stelle des Nationaltrainers ist ausgeschrieben. Benjamin bewirbt sich. „Ich glaube, dass ich gute Chancen habe“, sagt er und stoppt an einer Straßenecke von Katutura. Ein paar Jungs kicken auf einem Asphaltstreifen. „Hier habe ich als Kind auch gespielt.“

Benjamin fährt weiter zu der Wohnung, in der er aufgewachsen ist. Seine Mutter lebt noch immer hier. Er selbst wohnt mit seiner Frau, Tochter Zunaid (14) und Sohn Zurique (12) auf der anderen Seite der Stadt. Noch immer ist Wind­hoek eine geteilte Hauptstadt. „Aber es ändert sich.“ Wenn er seine in Hamburg geborenen Kinder heute erlebt, dann weiß er, dass die Rassentrennung in Zukunft kein Thema mehr sein wird. „Die Apartheid wird uns immer beschäftigen. Aber ob schwarz oder weiß, danach fragt in der Generation meiner Kinder keiner mehr.“

Und wenn seine Kunstrasenplätze fertig sind – davon ist Benjamin überzeugt –, wird auch der Fußball in Namibia neue Grenzen durchschreiten.