Hamburg. Vor drei Monaten brach sich der 24-Jährige beim Training das Wadenbein. Ein Gespräch über Glück und Qualen.
Die Treppe hinauf zur Loge im zweiten Stock des Volksparkstadions läuft Jan Gyamerah mühelos. „Geht gut“, sagt der HSV-Verteidiger. Vor drei Monaten hatte sich der 24-Jährige beim Training im Laufduell mit Josha Vagnoman das Wadenbein gebrochen. Ein Schock für Gyamerah – und den HSV. 92 Tage später sitzt der Sommer-Neuzugang am Fenster zum Stadion, guckt auf den Rasen und freut sich, dass er bald wieder dabei sein kann.
Hamburger Abendblatt: Herr Gyamerah, fangen wir einfach an. Wie geht es Ihnen?
Jan Gyamerah: Danke, es geht mir schon viel besser. Ich war vor zwei Wochen das erste Mal wieder laufen. Das ist ein super Gefühl. Im Campus habe ich eine mit Kameras aufgezeichnete Laufanalyse gemacht. Es macht einfach wieder Spaß, sich quälen zu können, wieder bei der Mannschaft zu sein und mit den Jungs ein paar Witze zu reißen.
Nicht ganz so einfach dürfte es Ihnen fallen, die Bilder Ihres Unfalls zu sehen. Haben Sie die mal angeschaut?
Gyamerah: Die Bilder liefen bei Sky rauf und runter. Da konnte ich nicht weggucken. Aber ich habe es ja schon direkt auf dem Platz geahnt. Erst habe ich es knacken gehört, dann habe ich gleich hingeguckt und die Schmerzen gespürt. Die Momente vergingen wie im Film. Heute kann ich mir die Bilder aber problemlos angucken.
Was hat Ihnen nach dem Unfall am meisten gefehlt?
Gyamerah: Einfach nur rausgehen zu können, zum Beispiel in den Supermarkt. Wenn man nur liegen kann und dann wochenlang auf Krücken läuft, ist man dankbar über die vermeintlich normalen Dinge. Als mich meine Kumpels zu Hause besucht haben, konnte ich nur auf dem Sofa sitzen. Ich tat ihnen leid, und sie taten mir leid, weil ich mit Ihnen nirgendwohin gehen konnte. Das Schlimmste war wirklich, nicht rausgehen zu können.
Ihre Freundin dürften Sie auch noch mal besser kennengelernt haben.
Gyamerah: Für sie war es sicher am schwersten, weil sie ja auch selbst arbeitet. Dennoch war sie sieben Tage 24 Stunden für mich da. Sie hat mich viel gefahren. Aber es ist keine schöne Erfahrung, komplett abhängig von anderen Menschen zu sein. Man lernt es wieder mehr wertzuschätzen, sich frei bewegen zu können. Gesundheit ist ein großes Geschenk. Ich muss aber auch ganz klar sagen: Es war nur ein Bruch, der wieder heilt. Es gibt viel, viel schlimmere Krankheiten. Für mich gibt es keinen Grund zu jammern.
Zumindest dürften Sie viel Zeit gehabt haben, alle Weihnachtsgeschenke zu besorgen.
Gyamerah: Alle sagen immer, dass man als verletzter Spieler mehr Zeit hat. Aber durch die umfangreiche Reha ist das gar nicht so. Ich bin sechsmal die Woche hier beim HSV, dazu noch dreimal im UKE-Athleticum. Nur die Wochenenden sind natürlich etwas freier. Aber da wollte ich am liebsten ja spielen.
Also haben Sie alle Geschenke beisammen?
Gyamerah: Leider noch gar nicht. Ich bin da immer spät dran. Dazu kommt, dass meine Schwester gerade erst Geburtstag hatte. Den musste ich erst abarbeiten (lacht).
Wie verbringen sie die Weihnachtstage? Mit Freundin und Familie?
Gyamerah: Meine Freundin geht mit ihrer Familie traditionell Ski fahren. Ich bin bei meinen Eltern in Stadthagen. Wir freuen uns einfach, alle zusammen Zeit zu verbringen. Das ist nicht mehr wie früher, als meine Schwester und ich die ganze Zeit auf die Geschenke gewartet haben. Sie ist ja jetzt auch schon 17. Aber Geschenke gibt es natürlich schon noch.
Wer bekommt nach Ihren schweren Monaten das größte Geschenk?
Gyamerah: Das kann ich hier doch nicht sagen, das Interview erscheint ja vor Weihnachten (lacht). Aber meine Schwester hat als Jüngste natürlich gute Chancen. Sie ist nach meiner OP auch direkt nach der Schule mit dem Zug zu mir gekommen.
Wer war der erste Besucher des HSV?
Gyamerah: Die Anteilnahme war riesig, damit hatte ich in dem Ausmaß nicht gerechnet. Am Morgen rief mich direkt unser Mannschaftsarzt Götz Welsch an und fragte mich, ob er den Jungs die Zimmernummer verraten kann. Eine Stunde später ging es los. Als Erstes kam Alexander Hahn, unser Videoanalyst. Danach Kyriakos Papadopoulos mit einem Kumpel, beide die Hände voll mit Tüten. Das war der Hammer. Die Jungs gaben sich sprichwörtlich die Klinke in die Hand.
Sie waren in Bochum fast zwei Jahre lang verletzt mit einer Schambeinentzündung. Haben Sie an Ihrem Körper gezweifelt?
Gyamerah: Überhaupt nicht. Es war ein Unfall, das passiert im Fußball, da kann ich mir nichts vorwerfen. Ich bin mit meinem Körper im Reinen und weiß, dass alles wieder gut wird.
Sie wirken immer so fröhlich. Gab es auch traurige Phasen?
Gyamerah: Natürlich. Ich habe viel Fußball geguckt in der Zeit. Irgendwann erreichst du einen Punkt, an dem dich das traurig macht, weil du unbedingt wieder spielen willst. Daher war es gut abzuschalten, Fußball auch einfach mal sein zu lassen. Andere Dinge haben mir dann geholfen.
Zum Beispiel?
Gyamerah: Unser Physiotherapeut Christian Tambach hat mir am Tag nach der Operation ein Buch geschenkt. „It’s all good“ von Lars Amend. Ein Lifecoach, der beschreibt, wie man seine Perspektive auf das Leben verändern kann, um es wertzuschätzen. Das hat mir geholfen.
Haben Sie ein neues Hobby entwickelt?
Gyamerah: Das nicht, aber ich konnte viel mehr für mein Studium machen. Das hat mich gut abgelenkt, und es tat gut, etwas Sinnvolles zu machen. Außerdem wurde mir dabei wieder klar, dass ich auch andere Sachen ganz gut kann (lacht).
Ihr Fernstudium in Sportmanagement erfordert auch einige Klausuren.
Gyamerah: Ja, ich habe gerade eine Klausur bestanden. Es ging um Sporteventmanagement und Erfolgswirtschaft. Ich musste das Thema Corporate Identity beschreiben. Meine Fernuni hat viele Standorte, hier in Hamburg in Winterhude. Da gibt es einen Prüfungsraum. Du gehst einfach an deinen Platz mit deiner Matrikelnummer und hast dann 120 Minuten Zeit. Zwei Wochen später kommt dann die Mail, ob du die Klausur bestanden hast.
Verraten Sie Ihre Note?
Gyamerah: Ich habe bestanden (lacht). Als Nächstes steht Rechnungswesen an. Das dürfte mir liegen. In Mathe war ich ganz gut.
Wie wäre es mit einem Praktikum auf der Geschäftsstelle des HSV?
Gyamerah: Tatsächlich geht es in meinen Vorlesungen auch um die Struktur von Fußballunternehmen. Borussia Dortmund war ein Beispiel. Mit David Kinsombi spreche ich auch mal über das Studium. Er studiert auch BWL und Management. Mit David kann ich auch gut über meine Verletzung sprechen, er hatte im Januar einen Schienbeinbruch und somit ähnliche Momente durchlebt.
In Ihrem letzten Spiel vor der Verletzung standen Sie beide auf dem Platz. Das 3:0 gegen Hannover war Ihr bestes Spiel, oder?
Gyamerah: Das war geil. Die Stimmung, der Sieg, das Tor von Bakery Jatta. Hannover war für mich auch ein besonderes Spiel, weil ich eine halbe Stunde entfernt in Stadthagen groß geworden bin. In meiner Schule waren alle Hannover-Fans. Ich habe als Zwölfjähriger bei 96 mal ein Probetraining gemacht. Bei unserem Spiel jetzt waren viele Freunde von mir im Stadion. Die Atmosphäre war brutal.
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Gibt es einen Plan, wann Sie wieder mit dem Ball arbeiten können?
Gyamerah: Bislang ist alles top gelaufen, aber wir machen uns keinen Druck. Im Rehazentrum habe ich schon ein paar Pässe mit einem Softball gespielt. Wir haben hier echt eine sehr gute medizinische Betreuung. Die Ärzte, die Physios, unser Rehatrainer Sebastian Capel. Das macht Spaß.
Wann können sich die Fans auf Ihr Comeback freuen?
Gyamerah: Mein Ziel ist es, in dieser Saison wieder auf dem Platz zu stehen. Das ist auch realistisch.