Hamburg. Straßenrapper trifft Straßenfußballer: Milonair und HSV-Kapitän Aaron Hunt über Brudiletten, Rollentausch, Jugendsünden und ihre Kids.

Aaron Hunt (33) ist großer Fan von Deutschrap – besonders von Milonair. Milad Nejad (33), Künstlername Milonair, ist großer HSV-Fan – besonders von Kapitän Hunt. Für das Abendblatt trafen sich der Straßenrapper aus Bergedorf und der Straßenfußballer aus Goslar zum gemeinsamen Interview, um über Musik und Fußball zu sprechen. Als die beiden sich in der Loge im HSV-Stadion begrüßen, könnte man meinen, sie wären beste Freunde.

Hamburger Abendblatt: Sie kennen sich schon seit drei Jahren, haben Sich aber noch nie richtig kennengelernt. Warum nicht?

Milonair: Gute Frage. Jetzt ist es ja so weit. Wir sind uns schon ein paarmal über den Weg gelaufen. Vor drei Jahren habe ich über Freunde von Aaron ein Trikot von ihm bekommen. Da stand drauf: Für den besten Rapper. Im Gegenzug habe ich ihm dann ein Paket geschickt mit Brudiletten meiner Hausmarke für die ganze Mannschaft.

Brudiletten?

Aaron Hunt: Das sind Badelatschen. Mit dem Wort Brudi drauf. Das Paket war in der Mannschaft schnell vergriffen. Die tragen mittlerweile viele Spieler in der Kabine.

Der Begriff Brudi ist in der HSV-Kabine mittlerweile geläufig. Sie nutzen es offenbar schon länger.

Milonair: Haftbefehl, mein Rap-Kollege, hat ihn salonfähig gemacht mit dem Lied „Chabos wissen wer der Babo ist“. 2013 war das. Das war auch mein Durchbruch. Das Wort „Babo“ wurde zum Jugendwort des Jahres. Wir waren damals sogar bei Angela Merkel eingeladen.

Herr Hunt, seit wann hören Sie die Musik von Milonair?

Hunt: So richtig erst, seit ich beim HSV spiele. Mittlerweile hört sogar mein Sohn Fin die Musik. Er ist jetzt zwölf. Ich habe versucht, die Musik so lange wie möglich von ihm fernzuhalten (lacht). Aber jetzt hört er Deutschrap rauf und runter, auch Milonair. Er lebt ja in Bremen. Wenn ich ihn dann freitags fürs Wochenende abhole, dann wird Milo im Auto laut aufgedreht. Da ist kaum eine Chance für Kommunikation (lacht).

Hören Sie Milonair auch vor dem Spiel zur Motivation?

Hunt: Auch mal vor den Spielen, ja. In der Kabinenplaylist ist er in jedem Fall dabei. Meistens höre ich Milo aber im Auto. Ich bin ja viel unterwegs.

Milonair: Habt Ihr eine gute Anlage in der Kabine?

Hunt: Klar. Rick van Drongelen oder Gideon Jung machen meistens den DJ. Die hören dich beide auch.

Sie sind in der Mannschaft offenbar sehr beliebt. Bekommen Sie das mit?

Milonair: Ich freue mich natürlich übertrieben, wenn die Mannschaft mich feiert. Ich bin HSV-Fan mit Herz. Aber ganz ehrlich: Spieler kommen und gehen. Am Ende des Tages bin ich Fan des Vereins. Wenn dann ein korrekter Typ dabei ist wie Aaron, dann ist das cool.

War seine Bremer Vergangenheit für Sie kein Thema?

Milonair: Ich würde lügen, wenn ich Nein sage. Aber Aaron hat hier schon viel geleistet. Man hat ja gesehen in der vergangenen Saison, was passiert, wenn er ausgefallen ist. Dann war Desaster angesagt. Das weiß jeder HSV-Fan. Ich finde geil, wie er spielt. Bei anderen habe ich oft nur gedacht: Diiiggaaaaa …

Wie sind Sie eigentlich HSV-Fan geworden?

Milonair: Als Kind war ich eigentlich Karlsruhe-Fan, weil ich Fan von Thomas Häßler war. Ich habe auch da in der Nähe gespielt und war eng befreundet mit Sean Dundee. Kennst' den noch?

Hunt: Natürlich. Das Crocodile.

Milonair: Ein geiler Typ. Dann bin ich zurück nach Hamburg, und das war die Zeit von Mehdi Mahdavikia. Iran hatte nie so große Aushängeschilder im Fußball. Mehdi war unser ganzer Stolz. Das Spiel gegen Juve! Was hat der hier gemacht, Bruder? Der hat alles zersägt auf der rechten Seite. Das ganze Stadion hat Meeeehdiiii gerufen.

Also hat Sie Mahdavikia zum HSV-Fan gemacht?

Milonair: Auch. Ich bin Hamburger Jung. Wenn dich im Urlaub jemand fragt, wo du herkommst, sagst du ja nicht St. Pauli. Du sagst Hamburg. Hamburger Jung, Hamburger Sportverein. Das hat für mich gepasst. Jetzt ist der HSV sogar auf meinem Arm tätowiert. Da ist mein Leben drauf. Mein Land. Meine Musik. Mein Sternzeichen. Das Letzte waren die Initialen meines zweiten Sohnes. Der ist jetzt fünf Monate alt.

Hunt: Ich habe mir meinen ersten Sohn auch auf den Arm tätowieren lassen. Ich war sehr jung. Eigentlich stehe ich heute nicht mehr auf Tattoos. Meine Frau Semra sowieso nicht. Jetzt habe ich natürlich ein Problem, wenn mein zweiter Sohn mich irgendwann fragt, warum er da nicht steht (lacht).

Ihr zweiter Sohn Noah kam im Januar zur Welt. Haben Sie sich sehr verändert, seit Sie 2007 das erste Mal Vater wurden?

Hunt: Natürlich. Es wäre ja schlimm, wenn nicht. Man wird reifer im Leben. Nicht nur beim Fußball. Den Charakter, den ich als Jugendlicher hatte, den habe ich immer noch. Den habe ich immer versucht beizubehalten. Aber natürlich bin ich als Vater viel ruhiger geworden.

Milonair: Das kann ich bestätigen. Mein älterer Sohn wird im Januar vier. Wir gehen manchmal zusammen zum HSV. Meine Jungs haben mich ruhiger gemacht. Ich habe von vielen Dingen Abstand genommen. Ich gehe nicht mehr übertrieben auf Partys, verknalle mein Geld nicht mehr und denke auch mal an die Zukunft. Ich ärgere mich mittlerweile über jeden Cent, den ich auf Partys gelassen habe. Meine Rechnungen waren wie Toilettenpapier.

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Herr Hunt, Sie haben als junger Fußballer in Bremen auch Schlagzeilen abseits des Platzes gemacht.

Hunt: Ich hatte damals das Glück, dass Thomas Schaaf hinter mir stand. Ich saß oft in seinem Büro und musste mir von ihm und Klaus Allofs einiges anhören. Aber sie haben mich immer durchgeboxt. Dafür bin ich ihnen dankbar. Das wäre heute unvorstellbar.

Worum ging es genau?

Hunt: Disco-Besuche. Wenn ich am Wochenende unterwegs war, stand das am Montag in der Zeitung. Das wusste ich, wenn ich montagmorgens wieder zum Trainer ins Büro musste. Es waren keine schlimmen Sachen. Ich war mit 18 im Kopf noch nicht so weit und musste ein paar Fehler machen, um daraus zu lernen. Ich bereue da nichts.

Sie dagegen saßen mehrfach im Jugendgefängnis. Bereuen Sie Ihre Geschichte?

Milonair: Nein. Du lernst aus allen Sachen, die du gemacht hast. Sie gehören zu meiner Geschichte. Sonst würde ich schließlich nicht hier sitzen neben Aaron Hunt.

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Hat Ihr Erfolg Sie verändert?

Milonair: Ich bin immer noch derselbe Milo mit denselben Freunden. Aber du musst aufpassen. Es gibt Leute in der Szene, die haben richtige Höhenflüge. Die waschen sich dreimal die Haare, bis das Gel gut sitzt, und benehmen sich auf Partys teuer. Ich bin dieses Jahr mit meinem Album G.T.A. (Gangster ticken anders) in die Top Ten gegangen. Vor mir war Rammstein. Ich hätte auch abheben können. Aber das mache ich nicht. Auch meine Musik hat sich verändert. Ich versuche mit weniger Schimpfwörtern auszukommen. Ich hatte Erfolg damit. Aber ich habe keinen Bock mehr drauf, andere zu beleidigen.

Als Gangsterrapper kann man Sie aber schon noch bezeichnen?

Milonair: Gangsterrap heißt, dass der Rapper von der Straße kommt. Daher kommt auch mein Name. Ich hatte auf der Straße den Ruf, alles in Cash zu machen. So kam es zu Milonair. Angefangen zu rappen habe ich aber erst, als ich im Knast war. Als ich rauskam, habe ich dann Haftbefehl auf einem Konzert kennengelernt. Und der wollte dann, dass ich für ihn rappe.

Trifft auf Sie der Begriff Straßenfußballer zu?

Hunt: Auf eine gewisse Art ja, obwohl ich ja schon lange Profi bin. Da ist der Straßenfußballer nicht immer gefragt. Ich kann ja nicht auf den Platz gehen und machen, was ich will. Ein bisschen Straßenfußballer steckt aber noch in mir drin.

Milonair: Man erkennt am Style der Spieler auf dem Platz, wer von der Straße kommt und wer nicht. Bei Aaron erkennt man es.

Hunt: Es gibt viele, die meinen Spielstil nicht mögen, weil er eine gewisse Lockerheit und Lässigkeit ausstrahlt. Dann denken viele, der ist nicht bei der Sache oder arrogant. Aber das ist einfach mein Stil. Das hat nichts mit meiner Haltung zum Spiel zu tun. Das können viele nicht unterscheiden.

Sie sind früh ins Internat von Werder Bremen gezogen. Blieb da noch Zeit für Straßenfußball?

Hunt: Immer. Wenn ich um 13 Uhr aus der Schule kam und um 17 Uhr war Training, habe ich vorher noch auf einem Kunstrasen vor dem Stadion gespielt. Auch in der Halle habe ich viel gezockt, manchmal sogar nach dem Training noch.

Milonair: Ich habe als Junge auch immer und überall Fußball gespielt. Mit Kollegen, Kumpels und Kanacken in Bergedorf und Lohbrügge. Vor unserer Hochhaussiedlung in der Korachstraße. Jeden Tag.

Vor Ihrer kriminellen Jugend konnte Sie der Fußball nicht schützen?

Milonair: Leider nicht. Du musstest schon ein Ausnahmetalent sein, um von der Straße wegzukommen. Ich konnte schon was, ich kann immer noch was. Jetzt bin ich Trainer meines eigenen Vereins, des Milonairs Club auf der Veddel. Kreisklasse B. Das bringt richtig Bock.

Wollen Sie auch Trainer werden nach Ihrer Karriere? Sie werden nächstes Jahr 34. Nach der Saison läuft Ihr HSV-Vertrag aus.

Hunt: Das könnte ich mir schon vorstellen. Aber wenn ich ehrlich bin, will ich noch gar nicht an die Zeit nach der Karriere denken. Das wird dann schon schlimm genug. Ich bin noch viel zu sehr Fußballer. Fußball ist die Sache, die ich in meinem Leben nach meiner Familie am meisten liebe. Ich will noch ein paar Jahre spielen. Natürlich muss es Sinn ergeben. Wenn ich jeden Tag mit Schmerzen aufstehen würde oder nicht mehr mithalten kann, dann müsste ich eine Entscheidung treffen. Aber das ist noch nicht der Fall.

Ziemlich beste Brudis: Musiker Milonair und Fußballer Aaron Hunt.
Ziemlich beste Brudis: Musiker Milonair und Fußballer Aaron Hunt. © HA | Roland Magunia

Die muskulären Probleme sind Ihr ständiger Begleiter. Haben Sie in der Rückrunde nicht gezweifelt, als Sie eine Verletzung nach der nächsten erwischte?

Hunt: Gezweifelt habe ich nicht. Ich weiß ja, woran es lag. Ich wollte unbedingt wieder schnell zurück ins Training, bin jede Woche zu Dr. Müller-Wohlfahrt nach München gereist, wurde viel gespritzt. Das hat am Ende nicht so geholfen, wie ich es mir erhofft habe. Ich habe alles probiert und wurde am Ende leider nicht belohnt.

Sie sind jetzt seit 15 Jahren Profifußballer, haben Champions League und Nationalmannschaft gespielt. Reizt es Sie noch, bei Wehen Wiesbaden zu spielen?

Milonair: Na, na, na! Der HSV hat doch an Attraktivität nichts verloren (lacht).

Hunt: Es ist wirklich nicht so, dass ich ständig daran denke, dass ich mal Champions League und Nationalmannschaft gespielt habe. Das gehört zu meiner Karriere dazu. Genauso wie es dazu gehört, dass ich nun mit dem HSV versuche, unsere Saisonziele zu erreichen.

Milonair: Aber sag mal, wer war der mieseste Gegenspieler, den du je hattest?

Hunt: Ronaldinho. Ich habe ein paarmal gegen ihn gespielt, mit Bremen gegen Barcelona. Das war schon ein Highlight, ihm beim Aufwärmen zuzusehen. Das sah immer so aus, als ob er gerade mit seinen Jungs am Strand spielt. Der war schon sehr krass.

Was war denn die größte Bühne, auf der Sie gerappt haben?

Milonair: Das war auf einem Festival vor 45.000 Zuschauern. Aber ich muss Aaron noch mal fragen: Wie ist das, wenn man vor 45.000 Zuschauern ein Tor schießt?

Hunt: Du vergisst alles um dich herum. Wenn du dich dann manchmal im Fernsehen siehst, kannst du dich oft schon gar nicht mehr daran erinnern. Schon im Bus auf dem Heimweg weißt du nicht mehr, wie es zu dem Tor gekommen ist.

Würden Sie gerne mal die Rollen tauschen?

Milonair: Übertrieben gerne. Einmal hier einen Elfmeter schießen und vor der Kurve jubeln. Bääm. Jaaaaa. Bruder, wie ist das, wenn die Leute deinen Namen rufen?

Hunt: Man ist meistens in seinem eigenen Tunnel, sodass du alles ausblendest. Gerade nach einem Tor. Da denkst du manchmal hinterher: Was hast du da eigentlich gemacht? Besonders bei einem emotionalen Tor wie beispielsweise in Regensburg.

Wären Sie gerne mal in Milonairs Rolle?

Hunt: Das wäre schon interessant. Ein ganz anderes Leben. Als Fußballer bist du immer auch abhängig von anderen. Du hast immer deinen Plan. Du kannst auch nicht einfach mal abends mit Freunden in eine Shisha-Bar gehen. Dann steht das übermorgen in der Zeitung.

Milonair: Ich sag dir, als Rapper kannst du machen und sagen, was du willst. In Deutschland ist das zum Glück möglich. Im Iran ginge das nicht, deswegen musste meine Familie fliehen. Meine Eltern waren gegen das Regime. Mein Vater war auch Sänger, er hatte auch einen Plattenvertrag. Dann wurde er zur Fahndung ausgeschrieben, weil er Musik gemacht hat.

Können Sie als Fußballer Ihre Meinung sagen?

Hunt: Es ist kein Geheimnis, dass du nicht immer deine Meinung sagen kannst. Man muss ja auch die Interessen des Arbeitgebers wahren. Nach dem Spiel ist das manchmal nicht so leicht. Man ist oft noch voller Emotionen und muss einmal mehr überlegen, was man sagt. Manchmal muss ich Selbstgespräche im Kopf führen, um mich zusammenzureißen. Fünf Minuten nach dem Spiel hast du noch so viel Adrenalin im Blut.

Milonair: Für mich ist das vor allem ein Problem der Medien.

Hunt: Die Medien wollen Emotionen, schreiben aber kritisch darüber, wenn so wie neulich Marco Reus mal jemand deutlich seine Meinung sagt. Dann heißt es danach in einem Kommentar, er sei nicht der richtige Kapitän. Das finde ich schade.

Im Fall Bakery Jatta haben Sie sehr deutlich Ihre Meinung gesagt. Warum?

Hunt: Weil ich es einfach unfair fand, wie Baka vorverurteilt wurde, obwohl nichts bewiesen war. Die Art und Weise war nicht korrekt.

Milonair: Der Kapitän ist mit seiner Meinung vorangegangen. So ist das auf der Straße selbstverständlich. Das war ein Babo-Move!

Hunt: Es war auch das erste Mal, seit ich hier bin, dass der Verein so geschlossen hinter einem Spieler stand. Das war sehr stark. Da muss man unseren Verantwortlichen ein großes Kompliment machen.

Milonair: Der HSV hat bewiesen, dass er in einer schweren Situation zusammenstehen kann. Das hat mich auch stolz gemacht. Was mit Jatta in Karlsruhe passiert ist, war schlimm. Da wurde an seiner Würde gekratzt. Da kann ich nur sagen: Grundgesetz, Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ich bin echt froh, dass wir in Hamburg in einer Multikulti-Stadt leben. Ich habe hier Freunde aus aller Welt. Türken, Kurden, Afghanen, Jugos. Hamburg ist meine Heimat.

Hunt: Das kann ich nur bestätigen. Wir fühlen uns hier wohl. Mein Sohn wird zweisprachig erzogen. Ich mochte Hamburg schon zu meiner Bremer Zeit. Man kann gar nicht sagen, dass man Hamburg nicht mag.