Hamburg. Gegen keinen Club hat der HSV eine schlechtere Bilanz. In der vergangenen Saison stolperten Wolf und Titz über Kiel.

Dieter Hecking wusste, dass die Frage kommt. Der Fußballlehrer, 55 Jahre alt, seit 19 Jahren Trainer, musste knapp sechs Minuten am Donnerstag auf der Pressekonferenz vor dem Auswärtsspiel des HSV bei Holstein Kiel (Sa, 13 Uhr/Sky) warten, ehe ihm das Wort „Angstgegner“ entgegengeschmettert wurde. „Angstgegner?“, stellte Hecking die Gegenfrage und verzog das Gesicht, als ob er gerade in eine Zitrone gebissen hätte. „Wir haben zweimal gegen Kiel verloren. Medial ist das sicherlich ein toller Aufhänger, aber ich bin von diesen Plattitüden weit entfernt.“

Hecking hat natürlich recht. Zweimal gespielt, zweimal verloren. So what? Aber Angstgegner? Na ja... Bayern München darf da schon eher als handelsüblicher Angstgegner betitelt werden. Mehr als zehn Jahre warten die Hamburger gegen die Bayern auf einen Sieg. 17 Spiele in Folge gab es keinen Erfolg mehr, gewürzt mit einem Torverhältnis von 6:73. Kurz und knapp: Hallo, Angstgegner!

HSV mit 1:6 Toren in zwei Spielen gegen Kiel

Aber Kiel? Nun ja, einigen kann man sich vielleicht darauf, dass die Nordlichter den Hamburgern nicht so wirklich liegen. Tatsächlich gibt es im deutschen Profifußball nur zwei Clubs, gegen die der HSV in der Bundesliga oder in der Zweiten Liga noch nie gewinnen konnte: Natürlich die Bayern – allerdings nicht der FC, sondern der SSV Jahn Regensburg. Und eben Kiel.

„Gegen Regensburg haben wir ja immerhin gerade erst Unentschieden gespielt“, wandt Hecking ein – und hatte natürlich erneut recht. Doch während sich die Hamburger gegen den Jahn nach zwei Pleiten immerhin ein 1:1 erkämpften, lautet die desaströse Holstein-Bilanz: zwei Spiele, zwei Niederlagen, 1:6 Tore. Eins zu Sechs!

„Holstein macht es richtig gut“, lobte also Hecking, der sich Kiel gegen Hannover (1:2) live im Stadion und die Partien gegen Bochum (2:1) und Bielefeld (1:2) auf DVD anschaute. „Man sieht eine Entwicklung in der Mannschaft, die nach wie vor den fußballerischen Ansatz sucht“, sagte der Coach. „Sie hat fast einen ähnlichen Aufbau wie wir auch.“

Viele Personalwechsel bei Kiel und dem HSV

Ebenfalls ähnlich ist, dass hier wie da seit dem letzten Duell vor knapp einem Jahr so ziemlich „jeder Stein umgedreht wurde“ (Bernd Hoffmann). Beim notorischen Steineumdrehclub HSV wurden Trainer (Wolf/Hecking), Sportvorstand (Becker/Boldt) und Sportdirektor (Spors/Mutzel) ausgetauscht. Aus der Startelf vom 23. Dezember dürften am Sonnabend noch zwei Profis übrig sein: Rick van Drongelen und Aushilfs-Rechtsverteidiger Khaled Narey.

Doch auch die Kieler haben zwischenzeitlich ein Großreinemachen veranstaltet. An der Förde wurde der Trainer im besten HSV-Stil sogar zweimal getauscht. Von Tim Walter über André Schubert bis nun zu Ole Werner. Beim Sportchef gab es einen Wechsel (Wohlgemuth/Stöver). Und aus der vorweihnachtlichen Startelf des 3:1 dürften am Sonnabend auch nur vier Profis (Wahl, Mühling, Serra und Lee) übrig bleiben.

David Kinsombi erzielte damals einen Doppelpack für Kiel gegen den HSV. Im Sommer wechselte er für drei Millionen Euro nach Hamburg.
David Kinsombi erzielte damals einen Doppelpack für Kiel gegen den HSV. Im Sommer wechselte er für drei Millionen Euro nach Hamburg. © Cathrin Mueller/Bongarts/Getty Images

„Da waren unsere Spieler wohl schon im Weihnachtsurlaub“, witzelte Hecking, der sich auch an die 0:3-Pleite des HSV zum Auftakt der vergangenen Saison ganz genau erinnern kann. „Das Spiel habe ich im Mannschaftshotel von Gladbach gesehen. Das war der erste heftige Dämpfer für den HSV.“ Man könnte auch sagen: Es war der Anfang vom Ende von Vor-Vorgänger Christian Titz.

Hecking warnt vor Niederlage in Kiel

Titz sprach seinerzeit von einer „unglücklichen Kettenreaktion“, der er selbst nur neun Spiele später zum Opfer fiel. Die Niederlage habe brutal wehgetan, sagte unmittelbar vor der vorweihnachtlichen Neuauflage Ex-Sportvorstand Ralf Becker, dem das 1:3 in Kiel wie ein schlechtes Déjà-vu vorgekommen sein muss.

Es war nach sieben Siegen und einem Unentschieden die erste Niederlage für Titz-Nachfolger Hannes Wolf, der entsprechend bedient war: „Wir müssen natürlich aufpassen, dass wir nicht denken, wir sind die Allergeils­ten“, schimpfte der Coach. „Wir haben die direkten Duelle nicht ein bisschen verloren, sondern komplett. Und nicht nur einmal, sondern andauernd.“

Schiedsrichter Christian Dingert pfeift das Nordderby des HSV in Kiel.
Schiedsrichter Christian Dingert pfeift das Nordderby des HSV in Kiel. © imago / Zink

319 Tage später war es nun Wolf-Nachfolger Hecking, der die Sinne schärfte. „Wenn wir wieder so fahrig spielen wie in Wiesbaden, werden wir in Kiel nicht gewinnen“, sagte Hecking. „Wir brauchen eine deutliche Leistungssteigerung, um in Kiel zu gewinnen.“

HSV ohne Hunt und Harnik

Die Routiniers Aaron Hunt und Martin Harnik werden ausfallen, dafür hat sich der zuletzt kranke Torhüter Daniel Heuer Fernandes wieder gesund gemeldet. Das reicht, um beim vermeintlichen Angstgegner zwar für keine Angst, aber durchaus für Respekt zu sorgen. „Der Verein und die Mannschaft strahlen eine große Stabilität aus. Sie lassen sich nicht beirren und bleiben ihrem Stil treu“, lobt Neu-Trainer Ole Werner überschwänglich. „Außerdem hat der HSV eine hohe individuelle Qualität auf dem Platz.“

Und was, wenn dieser HSV seine hohe individuelle Qualität am Sonnabend nicht unter Beweis stellen kann? Dann, aber auch nur dann, darf man gegen 14.50 Uhr wahrscheinlich doch von einem echten Angstgegner sprechen und schreiben. Dieter Hecking, Deutschlands Fußballtrainer des Jahres 2015, jedenfalls ist gewarnt. Und will die Angstgegnergefahr durch einen simplen Trick umgehen: einfach gewinnen.